Lohnender Trend: User Experience als Business-Strategie

Der Return-on-Investment (ROI) ist eine vielzitierte Kennziffer. Viel zu selten wird die Messlatte allerdings bei Usability-Tests und Nutzerstudien angelegt. Die Ergebnisse vieler Referenzprojekte zeigen jedoch: Wer das Re-Design von Websites, Webshops oder digitalen Produkten plant, sollte mindestens zehn Prozent des Budgets in Usability-Tests investieren.
Jakob Biesterfeldt rät Unternehmen, auf den Nutzer fokussierte Designlösungen in der gesamten Unternehmenskultur zu verankern und so für eine konsistente Customer-Experience zu sorgen. (© UserZoom)

Von Jakob Biesterfeldt

Wer dies tut, erhöht die Performance damit verbundener Geschäftskennzahlen nach dem Re-Launch um durchschnittlich 135 Prozent, wie aus einer Studie der Nielsen Norman Group hervorgeht. Die Daten beruhen auf der Analyse von 863 Designprojekten, bei denen zwischen acht und 13 Prozent des Budgets für die Optimierung der Usability angesetzt wurden. Ausgaben für Usability-Tests verhalten sich dabei nicht linear zur Projektgröße. Im Gegenteil: Ein zehnfach größeres Projekt erfordert lediglich vier Mal höhere Ausgaben.

Wissen, wo man steht

„Was man nicht messen kann, kann man auch nicht verbessern“, ist ein vielzitierter Business-Grundsatz. Egal, ob man ein großes Re-Design-Projekt oder kontinuierliche Website-Anpassungen plant, als Leitfaden für erfolgsversprechende Websiteoptimierungen gilt: Wer in Nutzertests investieren möchte, sollte zu Anfang strategische Business-KPIs benennen und ihre Performance vor und nach den Usability-Optimierungen messen. Nur so lässt sich überprüfen, wie viel Budget zu welcher Steigerung der Geschäftskennzahlen-Performance geführt hat. Über einen ersten Test erhält man auch Bezugswerte für Folge-Projekte und kann innerhalb eines Geschäftsjahres feststellen, welche Maßnahmen die Seiten-Performance insgesamt verbessert haben.

Existierende Fehler beheben

KPIs lassen sich mithilfe von Usability-Tests vor allem verbessern, weil Fehler frühzeitig aufgespürt und dadurch Folgekosten eingespart werden. Wer Nutzer kontinuierlich in Entwicklungsprozesse neuer Landingpages oder Seiten-Features miteinbezieht, lenkt unternehmensinterne Teams gezielter in Richtung User-Nutzen.

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Je später Usability-Schwächen gelöst werden, desto höher sind die Kosten. Copyright: UserZoom

Je mehr ein Angebot auf Nutzer ausgerichtet ist, umso schneller und intuitiver surfen sie und umso weniger müssen sie Kontakt zum Kundenservice aufnehmen oder den Hilfebereich besuchen. So lassen sich Ressourcen einsparen und die Nutzerakzeptanz erhöhen, wie Joe Gebbia, CPO und Mitbegründer des Wohnungs-Sharing-Portals Airbnb erklärt: „Als wir anfingen, mit unseren Kunden zu sprechen und ihnen dabei zusahen, wie sie unseren Service nutzten – das war der entscheidende Moment, als wir den Dreh zum Erfolg der Firma fanden.“ Der in Silicon Valley ansässige Tech-Kenner spricht den späten Erfolg seines Start-ups insbesondere den aus Nutzerstudien gewonnenen Erkenntnissen zu. Airbnb passte die für den Unternehmenserfolg wichtigen Design-Features und Prozesse nach und nach an die Bedürfnisse der User an. Was Gebbia geschafft hat, lässt sich auch über zwei Ansätze auf andere Webseitenanbieter übertragen.

Ansatz 1: Das Gespräch eröffnen

Um Nutzer in Projekte zu integrieren, sollten Betreiber zu Testbeginn am besten herausfinden, mit welchen Surf-Absichten diese auf eine Seite kommen. Online-Nutzerstudien bieten hier eine interessante Möglichkeit: Während Besucher auf der Live-Seite surfen, erscheint ein Fragebogen-Layer, sobald sie eine Seite öffnen oder verlassen möchten. Mithilfe dieser Voice-of-the-Customer-Umfragen (VoC) ist es möglich, Teilnehmer über ihre Antworten in verschiedene Profile einzuteilen. Eine für ein E-Commerce-Unternehmen wie Airbnb wichtige Segmentierung ist etwa, Besucher in so genannte Looker und Booker zu unterteilen. Informationssuchende und Kaufinteressenten haben unterschiedliche Bedürfnisse, wenn sie auf eine Buchungsseite treffen.

Geben Nutzer in einer VoC-Studie an, sie seien auf der Suche nach Produktinformationen, kann man sie direkt auf den Prototyp der neuen Seite lenken. Indem sie Feedback zu der neuen Navigationsführung und den Produktkategorien geben, erkennen Unternehmen frühzeitig im Re-Design-Prozess, ob Nutzer Informationen verstehen. Booker hingegen bittet man eher darum, Fragen zum Kaufverhalten und zu Buchungs- oder Zahlungspräferenzen zu beantworten. Wer den Anteil an Bookern einer Seite kennt, hat noch einen weiteren Vorteil: Betreiber erhalten so einen realistischeren Bezugswert für Conversion-Rate-Vorhersagen.

Ansatz 2: Zusehen, wie Kunden den Service nutzen

Sind Besucher in Segmente eingeteilt, bieten sich aufgaben-basierte Usability-Tests an, um ihnen beim Surfen über die Schulter zu schauen. Teilnehmer erhalten dann je nach Profil eine Testaufgabe, um gängige Abläufe durchzuspielen. Für Informationssuchende könnte es dann heißen: „Finden Sie heraus, wie viele Tage nach einer Wohnungsbuchung Sie diese kostenlos stornieren können.“ Kaufinteressenten bittet man eher darum, den Buchungsprozess exemplarisch durchzuführen, um Kaufbarrieren zu identifizieren.

Hier endet eine Analyse aber noch nicht: Eine Software für Online-Nutzerstudien nimmt neben zurückgelegten Klickpfaden und Screen-Recordings auch Videos der Teilnehmer auf, in denen sie ihre Surf-Experience live kommentieren. Der Blick auf das User-Verhalten wird damit präziser. Wenn viele Nutzer den Zahlungsprozess abbrechen, liegt höchst wahrscheinlich ein Usability-Problem vor. Besonders über Nutzervideos können Betreiber Konversionsbarrieren identifizieren, beheben und dadurch den Umsatz erhöhen.

„Design Thinking“ als Trendansatz

Der Trend – weg von Ad-hoc-Optimierungen als Qualitätskontrolle hin zu strategischem User-Experience (UX)-Management – zeichnet sich bereits seit einigen Jahren in der Tech-Welt ab. So kaufte Google bereits 2012 das Design-Studio Mike & Maaike, Facebook ein Jahr später Hot Studio und CapitalOne 2014 Adaptive Path. Je mehr Unternehmen ihre Geschäftsaktivitäten digitalisieren, umso stärker verschwimmen die Grenzen zwischen Unternehmens-, IT- und Marketing-Strategie. Früher am Rande der Business-Strategie angesiedelt, bilden UX-Design und Usability-Tests nun das Herzstück.

Wie Joe Gebbia müssen sich Unternehmen heute bewusst dafür entscheiden, mithilfe ihrer Kunden auf die Nutzung ausgerichtete, ansprechende und intuitive Tools und Seiten zu bauen. Unternehmen wie Airbnb verankern auf den Nutzer fokussierte Designlösungen in der gesamten Unternehmenskultur. Wenn „Design Thinking“ über alle Bereiche hinweg integriert wird, schaffen Unternehmen an allen Berührungspunkten zwischen Kunden und Unternehmen eine einheitliche und konsistente Customer-Experience. Der Erfolg stellt sich dann ganz von alleine ein: Die Benutzerfreundlichkeit der Seite steigt, das Design bleibt up to date und das Markenversprechen wird jederzeit eingelöst. Ein Weg, den neben Airbnb viele andere Web-Größen bereits beschreiten

Über den Autor: Jakob Biesterfeldt ist Geschäftsleiter von UserZoom und verantwortet Remote Usability Testing (RUT)-Studien mit Online-Teilnehmern für Großkunden aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. UserZoom ist eine internationale B2B Softwarefirma (SaaS) für online-basierte Nutzerstudien, die eine selbstentwickelte Software vertreibt.