Herr Rellecke, derzeit sind Sie wieder viel unterwegs zu Modemessen und Fashionshows. Ihre Eindrücke: Welche neuen Trends halten ab wann Einzug in den Schaufenstern?
JOHANNES RELLECKE: In bin in der Tat von einem Fashionweek-Hopping zurück. Tja, was ist mir aufgefallen an der Mode für 2014? Vielleicht, dass der Grad an Innovationsfreude geringer war als sonst. Die Kollektionen setzen eher auf schon erfolgreiche Stilmittel. Womöglich auch ein Ergebnis des zurückliegenden schwierigen Absatzjahres optimiert auf die Bedürfnisse der Händler. Die Farbigkeit ist gemäßigter: Nach einer Flut von Tönen beobachte ich eine Rückkehr zu klaren Konzepten mit weniger Strahlkraft. Kurzum: Das Grelle geht zurück. Dafür ist der Materialmix stärker ausgeprägt: Kompositionen aus Baumwolle, Leder und Nylon sind nicht selten. Schwarz bleibt auf jeden Fall die wichtigste Farbe, aber in klar reduziertem Designstil wie in den frühen 2000er-Jahren. Weniger spektakuläre Waschungen gehören auch dazu.
Lag Liebeskind mit Kollektion für 2014 angesichts der von Ihnen gesichteten Modetrends richtig?
RELLECKE: Unser Vintage-Look liegt voll im Trend. Wir sind rechtzeitig noch schlichter geworden mit glatten Oberflächen, die nicht gewaschen sind. In der Mode haben Sie auch viel seltener als in anderen Branchen echte Durchbruchsinnovationen oder bahnbrechend neue Technologien. Es sind mehr die kleinen Innovationen und neuen Kombinationen die im Detail den Unterschied machen.
Gibt es unter den soeben gesichteten Entwicklungen auch welche, die das Zeug zum dauerhaften Phänomen in Stoffen, Farben und Design haben?
RELLECKE: Grundsätzlich gilt das wohl für eine Beruhigung in der Mode über klare Formen, Farben und Themen. Wir planen jetzt ja schon bis ins Jahr 2015 hinein und rechnen dabei nicht mehr mit so extremen Bewegungen innerhalb der Stilrichtungen. Als mittelfristiges Phänomen sage ich voraus: Der Materialmix fängt gerade erst an.
Beobachten Sie im Konsum von Damenhandtaschen neue Vorlieben oder neue Kaufanlässe?
RELLECKE: Klar, wir sind ja schließlich nah dran an unseren Kundinnen. Was wir feststellen ist nach einer langen Phase großer Taschen, die von den meisten Frauen quer geschultert werden, nun die Vorliebe hin zu kleinen und mittelgroßen Formaten. Die großen Shopper waren lange ein starker Trend, insbesondere die Cross-over-Taschen. Die Kaufanlässe sind heute mehr auf Themen bezogen, also nicht saisonal, sondern auf den Bedarf zugeschnitten. Frauen suchen darauf abgestimmt die Farbe und das Material aus.
Soziologen haben sich schon in Studien den Gewohnheiten und Geheimnissen von Frauen und ihrer Handtaschen angenommen. Müssen Sie eigentlich auf echte Schrullen reagieren?
RELLECKE: Ja, wir bekommen schon außergewöhnliche Wünsche angetragen. Manches Feedback ist auch bemerkenswert. Sicher gibt es darunter auch viele Schrullen, aber das ist wirklich alles sehr sympathisch. Nehmen wir beispielsweise eine mit künstlichen Diamanten besetzte Tasche, auch wenn es die bei uns nicht gibt.
Erwachsen aus dem Tascheninhalt auch außergewöhnliche Anforderungen an die Aufteilung?
RELLECKE: Oh, ja. Die Aufteilung entwickelt sich in Details immer weiter. Dazu sprechen wir in unserem Berliner Designstudio auch gezielt mit Frauen, etwa übers Handling. Eine einfache Erkenntnis lautet: Das Handyfach mit einem Reißverschluss verschließbar auszustatten, sonst fliegt ihnen das Mobiltelefon dauern in der Tasche herum.
Wie sind Männer erfolgreich anzusprechen – nur im Businessbereich?
RELLECKE: Männer sind mit dem Taschenthema nur sehr schwer zu erreichen. Für Handtaschen sind sie gar nicht zugänglich. Unsere Produkte für Männer sind durch unsere Kundinnen getrieben. Sie shoppen für sich und suchen dann auch ein Portemonnaie für ihren Mann. Die Produkte dürfen aber nicht zu modisch sein. Männer mögen keine häufigen Wechsel und wollen eine überschaubare Auswahl. Für diese Zielgruppe ein geeignetes Portfolio zu entwickeln, bleibt also schwierig. Entsprechend erzielen wir 98 Prozent unseres Umsatzes mit weiblicher Kundschaft. Gleichwohl bringen wir für „Männersachen by Liebeskind“ eine Menge an Leidenschaft auf. Bei Schuhen haben wir noch viele spannende Produkte anzubieten. Wir sind davon überzeugt, dass es hier noch viel Platz für einen innovativen Schuh aus Berlin gibt.
„Der Anspruch der Verbraucher an die Unternehmen wird immer höher“
Im Luxussegment sehen Experten einen Wandel vom rein Dinglichen zu immateriellen Werten. Könnte die Sinnsuche von Verbrauchern zur Gefahr für Sie werden?
RELLECKE: Die viel beschworene Sinnsuche diskutieren wir in der Konsumforschung schon seit zehn Jahren. Früher war Liebeskind eine Marke, die kaum nach außen aufgetreten ist. Aber sowohl der Handel wie auch Verbraucher wollen sich mit starken Marken identifizieren. Die Abkehr vom Dinglichen ist also kein Massenphänomen oder Trend in der Mitte. Die Identifikation mit Marken in der Mode ist so stark, dass ich darin keine Bedrohung für uns sehe. Was ich aber im Hochpreisigen feststelle: Die Menschen sind nicht mehr bereit, mit dem Kauf einer teuren Gucci-Tasche eine gigantische Marketing-Maschine zu unterstützen. Der Anspruch der Verbraucher an die Unternehmen wird immer höher. Sie geben zwar ihr Geld für gute Produkte aus, wollen aber nicht mehr per se Luxuspreise bezahlen. Das Hinterfragen setzt eben nicht nur vor dem Kauf eines Bio-Huhns ein, sondern auch und gerade angesichts einer 1000-Euro-Tasche.
Ihre Eltern führen im sauerländischen Warstein in dritter Generation einen Schuhladen. Sie selbst haben mit eigenen Schuhläden im Münsterland begonnen. Wie wichtig ist für Sie diese Herkunft für die Liebeskind-Markenidentität?
RELLECKE: Für unsere Markenidentität spielt das eine untergeordnete Rolle, für die Geschichte und Entwicklung des Unternehmens eine stärkere. Mein Bruder und ich haben viel mitgenommen für die Selbstständigkeit. Liebeskind Berlin war für uns nicht nur eine phantastische Idee, sondern war von Anfang an begleitet von viel Realismus. Ein Beispiel: Im Zweifel wissen wir, wie schwer es ist, ein Produkt dauerhaft erfolgreich im Handel zu platzieren. Wir sind entsprechend streng mit uns selbst. Der eigene Druck nach Erfolgen ist durchaus hoch. Unsere Herkunft hat uns also unternehmerisch geholfen.
Würden Sie aus Erfahrung auch ein Plädoyer für mehr Gründerwillen und Mut hierzulande halten?
RELLECKE: Unbedingt. Mein Bruder ist ja zuerst und von Anfang an in die Selbstständigkeit hineingewachsen. Ich musste mich später noch gegen das Angestellten-Dasein entscheiden. Und heute kann und muss ich sagen: Es ist ein großes Glück, eine eigene Marke zu gestalten. Unternehmertum, das diese Freiheit als Geschenk begreift, gibt es hierzulande für meinen Geschmack zu selten. Universitätsabsolventen haben sich zu selten schon mit dieser guten Alternative beschäftigt. Das Unternehmer-Gen ist eindeutig unterentwickelt. Wir brauchen an den Unis – am besten mit einem eigenen Lehrstuhl – mehr Studiengänge, die Unternehmensgründer ausbilden. Gerade die Betriebswirtschaft, die schließlich lehrt, wie Marken- und Marketingkonzepte funktionieren, halte ich darin für prädestiniert.
Wie lautet Ihre Botschaft an den Nachwuchs?
RELLECKE: Statt Euch als Absolventen durch irgendwelche Assessmentcenter zu quälen, solltet Ihr lieber Eure Ideen für eine eigene Firma schmieden.
Neben Ihrem Zwillingsbruder Julian, Ihnen und Ihrem Studienkollegen Semih Simsek als Gründertrio gehören zwei weitere Mitglieder zur Geschäftsführung. Warum wurden diesen beiden Positionen in der Geschäftsführung zuletzt ausgetauscht?
RELLECKE: Wir haben die Geschäftsführer Struktur an neue Herausforderungen angepasst. Wir sichten den Markt nach Partnern für neue Lizenzen, diese Aufgabe verantwortet Bernd Freiers Tochter Kathrin auch schon bei sOliver und kümmert sich nun auch in unserer Geschäftsführung darum. Unser Konzept dafür, die richtigen innovativen Partner zu finden, muss in Ruhe geplant werden, denn jedes neue Geschäft muss zu unserer Marke passen. Darüber hinaus haben wir uns im Bereich der kaufmännischen Geschäftsführung mit Andreas Wölfer verstärkt.
Gegen welche übermächtigen Wettbewerber der Modebranche treten Sie bei der Weiterentwicklung Ihres Geschäftes an, und wie gestaltet sich das Marktumfeld?
RELLECKE: Gegen ganz viele Wettbewerber in ganz unterschiedlichen Produktgruppen. Viele kommen aus Italien, Frankreich und den USA. Nehmen wir das erfolgreiche US-Label Michael Kors, das für unsere Marke zwar unproblematisch ist, aber durchaus druckvoll auftritt. Offen gesagt achten wir auch nicht so sehr darauf, was unsere Wettbewerber machen. Wir konzentrieren uns lieber darauf, unsere Stärken zu entwickeln. Denn wir sind davon überzeugt, dass Liebeskind als Fashionlabel eine internationale Rolle spielen kann.
Allerdings erklärte einst Ihr Bruder, in Ihrer Branche reelle Gewinne zu erzielen sei „ein haarsträubendes Abenteuer“. Fällt bei 80 Prozent Ihrer Kollektion in Preislagen um 200 Euro nicht genug Marge ab?
RELLECKE: Doch. Das Zitat bezog sich mehr auf den Aufbau unseres Unternehmens und die Entwicklung unseres Produktportfolios. Allein die richtigen Schritte für eine eigene Damenoberbekleidung einzuleiten, gleicht schon einem Abenteuer. Sie haben hohe Investitionskosten und einen enormen zeitlichen Vorlauf. Dafür müssen Sie dann Mindestumsätze realisieren. Aber Liebeskind ist profitabel.
„Es ist ein Trugschluss, dass man bei Taschen eine Mördermarge einstreichen kann“
Welche Finanzergebnisse empfehlen Sie denn insbesondere Jungunternehmern Ihrer Branche? Und erzielen Sie nicht prima Margen mit ihren Handtaschen?
RELLECKE: Ziel in der Modebranche sollte eine Umsatzrendite von zehn Prozent sein. Oft wird die allerdings nicht erreicht. Es ist auch ein Trugschluss, dass man bei Taschen eine Mördermarge einstreichen kann. Um ein Produkt herum sind viele Instrumente zu bespielen. Wenn alles gut läuft, steht unterm Strich eine gute Rendite. Eine Lederhandtasche für 199 Euro profitabel zu produzieren, zu liefern und zu verkaufen ist aber schon eine Herausforderung.
Welche Vertriebskanäle bedienen Sie offensiv, welche vorsichtig, welche gar nicht?
RELLECKE: Wir sind groß geworden über den Fachhandel und über Key Player wie dem Fashion- und Lifestyle-Einzelhändler Breuninger. Diese Partner stellen nach wie vor mit 80 Prozent unseren stärksten Vertriebskanal. Wir haben im vergangenen Jahr 17 neue Läden eröffnet, davon acht im Ausland, 14 in Franchise und drei eigene. Die Shops werden immer wichtiger, weil wir dort unsere Produktausweitung in eigenen Markenwelten ausgiebig inszenieren können. Insgesamt betreiben wir weltweit 25 Shops für Endkunden und 13 Showrooms für den Handel. In großen Kaufhausketten sind wir gar nicht präsent. Im Wholesale (Großhandel; Anm. d. Red.) greifen unsere Auswahlkriterien für beste Anbieter. Für das Vertriebsgebiet D-A-CH (Deutschland-Österreich-Schweiz; Anm. d. Red.) haben wir einen Neukunden-Stopp. Wir entwickeln unseren eigenen Online-Shop stärker, nachdem wir damit anfangs zurückhaltend agiert haben. So haben wir dort nicht alle Produkte gezeigt; künftig gibt es online bei uns die gesamte Kollektion zu sehen.
Wie hoch ist schon der Umsatzanteil über den Onlinehandel?
RELLECKE: Der gesamte Online-Anteil ist schwierig zu beziffern, denn einige Großkunden verkaufen auch schon stark über ihren eigenen E-Commerce unsere Produkte. Unser eigener Online-Anteil liegt aber noch unter fünf Prozent. Grundsätzlich gilt: Der E-Commerce wächst – schon allein über unsere bestehenden Wholesale-Partner.
In Namensähnlichkeit gibt es schon den berühmten Architekten Daniel Libeskind und den relativ jungen Münchener Literaturverlag in Ihrer Schreibweise. Zudem gründete Wolfgang Joop fast zeitgleich mit Ihnen sein Label Wunderkind. Bestehen Verwechslungsgefahren? Sehen Sie gar Kooperationsmöglichkeiten?
RELLECKE: (lacht) Eine Verwechslungsgefahr sehe ich nicht. Kooperationsmöglichkeiten gibt es immer. Konkret kooperiert haben wir bislang mit der deutschen Soul- und R&B-Sängerin Joy Denalane, mit der wir für einen guten Zweck die Charity Bag „Joy“ gemeinsam entwickelt haben, eine Limited Edition von nur 5.000 Taschen weltweit. Aus dem Verkauf jeder Tasche gingen 40 Euro an Pfefferminzgreen e.V. für den Aufbau eines Jugendzentrums im äthiopischen Tita.
Wie hohe Aufwendungen fließen in Ihre Kommunikation und Werbung – und auf welche Instrumente setzen Sie besonders im Mediamix?
RELLECKE: (schmunzelt) Spendings nennt ein verschwiegener Westfale nicht. Der Etat liegt in einem vernünftigen Verhältnis zum Umsatz. Es fließen etwa fünf bis zehn Prozent ins Marketing, womit nicht nur Werbung gemeint ist. Wir setzen immer stärker auf eine Kombination aus interaktiven, digitalen Medien, Social Media und erlebbaren Markenaktionen etwa mit Künstlern in unserem Atelier in Berlin. Wir bewegen uns weg von klassischen Printanzeigen hin zu virtuellen und klassischen Events. Nicht zu unterschätzen ist auch die Bedeutung von Face-to-Face-Kommunikation bei einem echten Berliner Kindl in unserem Atelier. Sponsoring betreiben wir nicht. Unsere B-to-B-Kommunikation konzentriert sich auf die Modemessen, vor allem an den Modestandorten Berlin als Heimspiel, Kopenhagen als wichtigste nordeuropäi-sche Modemetropole sowie an den internationalen Fashion-Plätzen in Paris oder New York.
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