Was heißt „zweitklassig“? Marken, die zufriedene Kundinnen und Kunden haben. Marken, die Erwartungen erfüllen und gute Leistungen erbringen. Marken, mit denen man sich gerne umgibt und mit denen man gerne gesehen wird. All dies ist gut, scheint aber nicht gut genug. Der vernichtende „terminus technicus“ dafür: alles Hygienefaktoren. Erfüllt werden bestenfalls funktionale Erfordernisse, die wir an Angebote stellen, die wir konsumieren. Aber eben ohne jede emotionale Beziehung und daher immer in Gefahr, von uns verstoßen zu werden. Nur das eine große Gefühl schafft es, uns dauerhaft und intensiv zu binden: nur Liebe macht blind für Alternativen. Nur Lovebrands sind mächtige und wertvolle Marken.
Lieben wir also die Marken, mit denen wir uns in der Regel umgeben, die unseren Alltag bestimmen, die wir im beruflichen Umfeld wählen? Werden also alle Marken geliebt, die so wertvoll sind, weil sie fast jeder kennt, fast jeder versteht, und fast niemand je vergisst? Werden all die Marken geliebt, die effiziente Kommunikation ermöglichen, die immer wieder neue Nachfrage schaffen, und die jahrzehntelang unhinterfragt genutzt werden? Sind wertvolle Marken also tatsächlich notwendigerweise Lovebrands?
Nein. Das tiefliegende Gefühl, das viele dieser Marken in uns hervorrufen, ist nicht Liebe. Es ist Vertrauen. Vertrauen in vermeintlich „nur“ funktionale Nutzendimensionen. Die Zahncreme, die scheinbar mithilft, dem Zahnarztbesuch den Schrecken zu nehmen. Die Gesichtscreme, die über Generationen hinweg ohne Angst vor Ausschlag eingesetzt werden kann. Der Kleinwagen, der läuft und läuft und daher verlässlich zum Arbeitsplatz transportiert. Die Fluglinie, die Sicherheit ausstrahlt und der Pünktlichkeit zugetraut wird. Das Versicherungsunternehmen, dem man glaubt, dass es im Schadensfall zahlt. Das Telekommunikationsunternehmen, das Verbindungen überall und jederzeit garantiert. Das Logistikunternehmen, das Geburtstagsgeschenke und erfolgskritische Ersatzteile verlässlich zu liefern scheint. Der Anbieter von Wirtschaftsdaten, deren Korrektheit man nie in Frage stellen würde. Der Stahlhersteller, dem man zutraut, dass seine Rohre auch im Tiefseeeinsatz nicht bersten. Der Hersteller von Energieanlagen, von dem man zu hoffen wagt, auch Umweltkatastrophen beherrschen zu können.
Was eint diese Marken, im Massenmarkt wie auch im sogenannten Business-to-Business-Markt? Sie erbringen funktionale Leistungen, die angesichts ihrer Bedeutung für individuelle Konsumenten, Unternehmen, letztlich für die Gesellschaft, in tief emotionale Dimensionen eindringen. Sie bearbeiten Unsicherheiten und Risiken, die uns persönlich ängstigen oder im professionellen Umfeld existenzielle Bedeutung erlangen können. Sollten sie versagen, drohen Schweißausbrüche, schlaflose Nächte, persönliche Tragödien, kleine und große Katastrophen.
Ihr emotionaler Nutzen über die funktionale Leistung hinaus ist Verlässlichkeit, die Abwesenheit von Sorgen und Ängsten, ein Gefühl des gut-aufgehoben-Seins. Attraktive Angebote gerade in unsicheren Zeiten, mit immer undurchschaubareren globalen Zusammenhängen, mit zunehmend anonymen und virtuellen Beziehungsgeflechten. Dennoch ist das Gefühl, das sie in uns wecken, nicht Liebe. Es ist Vertrauen. Nicht Lovebrands treten hier auf. Wir verlassen uns auf Trustbrands.
Warum bedauern diese Marken beziehungsweise die dahinterstehenden Markenbesitzer und -macher, die CEOs und CMOs, dies? Weil nur Liebe blind macht? Dann vergessen sie, dass Liebe sich immer wieder als vergänglich erweist und dass Rosenkriege dann auch töten können. Sie müssen sich von den Apologeten der Lovemarks nicht in die Zweitklassigkeit verbannen lassen: „To be trusted is a greater compliment than being loved“ (George MacDonald, 1824-1905, schottischer Schriftsteller). Trustbrands gehören in die Champions-League der Markenwelt.
Über den Autor: Prof. Dr. Jürgen Häusler ist Chairman von Interbrand Central and Eastern Europe.