Bilder erstellen, Texte schreiben, Kampagnen kreieren: Künstliche Intelligenz hat in den vergangenen Monaten das Marketing im Sturm erobert. Mit ChatGPT, Midjourney und Co. ist nun erstmals eine Generation von KI verfügbar, die sich intuitiv bedienen lässt und sofort sichtbare Ergebnisse liefert. Was bisher Programmierer*innen vorbehalten war, hat die Massen erreicht und inspiriert kreative Marketer. Ein Beispiel: Die Biermarke Becks ließ sich von der Künstlichen Intelligenz eine neue Biersorte kreieren und überließ ihr zusätzlich die komplette Vermarktungsstrategie. Und Afri Cola erstellt jede Woche seine Website-Inhalte mithilfe generativer KI neu. (Weitere Einblicke in die Arbeit von Unternehmen gibt’s online in unserer Serie „KI im Marketing“.)
Die Möglichkeiten scheinen unbegrenzt. Aus Sicht von Erik Siekmann, CEO der unabhängigen Unternehmensberatung Digital Forward, ist Neugierde das Wichtigste. Nur sie kann Anwender*innen in die Lage versetzen, bestehende und zukünftige Potenziale und Anwendungsbereiche der KI immer wieder neu zu entdecken und einzuschätzen. Für den Digitalexperten ist dies der Beginn einer langen Reise. „KI ist ein sehr gutes Beispiel für lebenslanges Lernen. Nicht nur im Marketing“, so Siekmann.
Von anderen Branchen lernen
Mit Blick auf die Potenziale von Künstlicher Intelligenz können Marketer auch von anderen Branchen lernen. Die Medienbranche nutzt KI zum Beispiel häufig dafür, aus einer Flut von Daten Informationen herauszufiltern, um Trends zu erkennen. Redaktionen können auf diese Weise schnell herausfinden, welche Geschichten aktuell im Gespräch sind. „Dabei geht es nicht nur darum, was gerade Trend ist, sondern auch darum, wer es konsumiert“, sagt Jochen Schon, Geschäftsführer des KI- und Big-Data-Spezialisten Convit. Für die Medienbranche ist KI also sehr hilfreich dabei, die Zielgruppen genauer zu analysieren, deren Vorlieben besser zu verstehen und Inhalte zu personalisieren.
Auch im Content Marketing kann KI helfen, Content zu erstellen, der auf die spezifischen Bedürfnisse und Interessen der Zielgruppen zugeschnitten ist. Die dafür nötige datengetriebene Herangehensweise birgt aber auch Herausforderungen. „Es reicht nicht aus, lediglich Daten zu sammeln; das Team muss auch in der Lage sein, diese zu interpretieren, Muster zu erkennen und daraus sinnvolle Strategien abzuleiten“, sagt Schon.
Ganzheitliche Schulungskonzepte nötig
Während KI-gestützte Analysen bereits früher schon möglich waren, ist die neue Generation generativer KI prädestiniert, zielgruppenrelevante Inhalte zu generieren. So verfasst die KI zum Beispiel automatisch Social-Media-Posts, schlägt Strukturen und Gliederungen für Blogartikel vor, entwirft Kampagnenmotive oder erstellt sogar suchmaschinenoptimierte Landingpages. Nicht zuletzt stellen Werbetreibende mithilfe der KI sicher, dass die generierten Inhalte der Corporate Identity entsprechen und sie die Markenbotschaft wie gewünscht transportieren. Dies alles kann die KI lernen – wenn der Mensch, der sie bedient, es auch lernt.
Um sich in generative KI-Modelle einzuarbeiten, reicht es in der Regel nicht aus, sich mit den neuen Werkzeugen vertraut zu machen. „Es geht um ein fundiertes Verständnis der Mechanismen, die die KI antreiben“, so KI-Experte Schon. Nur ein tieferer Einblick in diese Technologien stelle sicher, dass die maschinell generierten Inhalte sowohl den qualitativen Ansprüchen als auch den spezifischen Bedürfnissen des Zielpublikums entsprechen.
„Um den Übergang zu einem KI-gestützten Content Marketing reibungslos zu gestalten, sollte das Schulungskonzept ganzheitlich sein“, sagt Schon. Notwendig dafür sind sowohl technische Experten als auch Content-Spezialisten. Während die Ersteren die technischen Feinheiten und Kapazitäten der KI-Systeme erläutern, sorgen die Letzteren dafür, dass die erzeugten Inhalte konsistent, markenkonform und zielgruppenorientiert sind. „Das ultimative Ziel ist es, eine Balance zwischen technischem Sachverstand und kreativem Gespür zu finden, die in der modernen Marketinglandschaft unabdingbar ist“, so der Experte.
Prompting-Know-how intern aufbauen
Sind die neuen KI-Tools erst mal implementiert und verstanden, scheint die nun folgende Bedienung nun wirklich keine Raketenwissenschaft zu sein: Über eine Texteingabe in natürlicher Sprache teilen die Marketer der Maschine mit, was sie tun soll. Genau hier liegt aber der Hase im Pfeffer. Mitarbeitende müssen lernen, welche Anweisungen sie der KI zu geben haben, damit diese die gewünschten Inhalte in der geforderten Form und Tonalität generiert. Das ist mitunter ein komplexes Unterfangen; dieses sogenannte Prompt Engineering spielt die zentrale Rolle dabei, generative KI-Modelle optimal zu nutzen.
Um Prompts einzusetzen, gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Ein Ansatz ist, Mitarbeiter*innen die KI frei verwenden zu lassen, wodurch sich nach und nach Kompetenzen innerhalb des Teams aufbauen. Alle nötigen Kontextdaten zu identifizieren und einzugeben, ist aber recht zeitaufwendig und kann durch unterschiedliche Erfahrungen der Mitarbeiter*innen auch zu unterschiedlich guten Ergebnissen führen. Ein zweiter Ansatz verzichtet auf freies Prompting und setzt stattdessen auf vordefinierte Prompts. In diesem Fall stellt eine Software die „Funktionen“ bereit, die alle erforderlichen Kontextdaten für die Anfrage bündeln. Dieser Ansatz garantiert eine gleichbleibend hohe Qualität der Antworten. Der Nachteil ist, dass der Spielraum für individuelle Anpassungen begrenzt ist. Nach Einschätzung des KI-Experten Schon könnte eine Kombination beider Ansätze ein guter Mittelweg sein, bei der Mitarbeitende sowohl vordefinierte Prompts verwenden als auch die Freiheit haben, die KI bei Bedarf eigenständig zu nutzen.
Digitale Lerninhalte nutzen, sich persönlich austauschen
Strategieberater Siekmann rät allen Marketern, die Inhalte produzieren, dazu, Prompting zu lernen. „Und zwar auf mehreren Plattformen und unterschiedlichen Anwendungsgebieten.“ Es gibt ein großes Angebot digitaler Lerninhalte, mit denen sich dieses Know-how in das eigene Unternehmen holen lässt. Insbesondere im englischsprachigen Raum sind für nahezu jeden Reifegrad und jedes Anwendungsgebiet passende Lerninhalte verfügbar. „Die große Kunst ist es, aus diesem Content für mein Geschäftsziel das Relevante herauszufiltern und nicht nur einfach auf spektakulären, eher anekdotischen Beispielen zu bleiben.“
Siekmann empfiehlt außerdem, zum Lernen die eigenen Ressourcen zu engagieren. Dies könnten etwa AI-Hackathons im eigenen Unternehmen sein oder ein strukturierter Austausch mit anderen Unternehmen oder in Verbänden. „In der Praxis hat das den großen Vorteil, dass realistische Erwartungen im Unternehmen entstehen – anders als teilweise bei Vendoren-Präsentationen.“ Außerdem können Implementierungsoptionen für relevante Geschäftsprozesse auf diese Weise besser im Unternehmen „anwachsen“.
Die Lernkurve dabei ist steil. Jederzeit können Marketer neue Einsatzmöglichkeiten ausloten, sie mutig ausprobieren und ihre Lehren daraus ziehen. „Die Use Cases müssen durch gut strukturierte Tests validiert werden, bevor man Erwartungen und Prozesse zementiert“, so Siekmann. Denn auch KI entbinde nicht von der Notwendigkeit, Projekte richtig zu priorisieren. Entsprechend sollten Marketer bei allen Learnings klar unterscheiden, welche KI-Verfahren einem Unternehmen Effizienzsteigerungen ermöglichen und wo tatsächlich echter, neuer Kundennutzen entsteht.