Und es geht nicht um „blindes Vertrauen“; es geht um das rationale Kalkül, dass alle Beteiligten vom Vertrauen in gegenseitiges Vertrauen profitieren könnten, wenn alle Beteiligten vom vertrauensvollen Zusammenarbeiten einen Vorteil hätten. Und dies ist häufiger der Fall als wir glauben: im Verkehr ist es beispielsweise für uns alle und fast immer so. Die Teilnahme am öffentlichen Verkehr wäre unerträglich, wenn wir nicht regelmässig darauf vertrauen würden, dass sich alle anderen Beteiligten an die vereinbarten Regeln halten. Wir vertrauen hierbei so oft, dass wir vergessen, dass unser Handeln auf Vertrauen basiert.
Warum reduziert sich im wirtschaftlichen Leben unserer Zeit dann der Verweis auf Vertrauen auf Werbesprüche („Vertrauen ist der Anfang von allem“)? Warum können, ja warum dürfen wir nicht vertrauen, wenn wir in Unternehmen zusammenarbeiten? Warum feiern wir auch intern zunehmend den effizienzsteigernden Effekt des Wettbewerbs? Und warum sind partnerschaftliche Beziehungen zwischen externen Dienstleistern und ihren Auftraggebern mehr und mehr suspekt? Warum ist der „Pitch“ über den Kommunikationsbereich hinaus längst zum routinemässigen, regelmässigen und beliebten Gesellschaftsspiel des modernen Managers geworden?
Denn eigentlich lehrt doch jede Erfahrung, dass der „Dauer-Pitch“ – routinisiert, mechanisiert, inhaltsleer, ubiquitär, – Qualität nicht fördert und langfristig kostspielig ist. Und jede systematische Reflektion offenbart stützend: Rational ist dieses Misstrauen gegenüber vertrauensbasiertem Zusammenarbeiten nicht. Spieltheoretische Überlegungen und Analysen weisen seit Jahrzehnten immer wieder nach, dass man am erfolgreichsten mit anderen etwas zusammen unternimmt, wenn man zunächst in eine solche Beziehung einseitig investiert – und sich danach immer so verhält wie das Gegenüber. Vertrauen sorgt so also im Ergebnis hauptsächlich für gemeinsame Erfolge.
Natürlich bindet der Aufbau von Vertrauen Ressourcen – zudem Ressourcen, die immer knapper werden. Da ist zunächst und vor allem die Ressource Zeit. Vertrauen muss sich entwickeln. Es wächst. Es gedeiht am besten, wenn es das Erlebnis hatte, erwidert zu werden. Und so weiter. Misstrauen ist da vergleichsweise preiswerter: man spart sich schon den Aufwand, sich überlegen zu müssen beziehungsweise zu prüfen, ob man dem Gegenüber denn vertrauen sollte.
Dennoch: Gemessen an Ergebnissen (vor allem: Qualität) ist Misstrauen in Konstellationen des verschärften Wettbewerbs keineswegs zielführend. Ihre Anhänger argumentieren in der Regel dann mit der Angst vor Abhängigkeiten. Gefeiert wird der Gewinn an Eigenständigkeit. Aber ist dies ein wirklich eigenständiges Ziel in hart umkämpften Wettbewerbsumfeldern? Macht es Sinn, die Vermeidung des Risikos des Enttäuschtwerdens so in den Mittelpunkt zu stellen? Dieses Risiko vermeidet der Misstrauische natürlich, denn wenn keine Zusammenarbeit zustande kommt, kann sie auch nicht scheitern. Konsequent weitergedacht isoliert Misstrauen dann aber auch.
Der Soziologe Rainer Paris fasst im Merkur die Diskussion um die fortwährende, schwierige und richtige Balance zwischen Vertrauen und Misstrauen jüngst so zusammen: „Der Misstrauische verspielt also nicht nur Gewinne, die eine Zusammenarbeit womöglich eingebracht hätte, sondern vermeidet am Ende jeden Kontakt.“ Er verweist dann im politischen Raum eindrücklich auf die verheerenden Entwicklungsperspektiven von „Gesellschaften des öffentlichen Misstrauens“. Dort mündet die „Spirale des Argwohns“ fast zwangsläufig in eine „Dynamik der Destruktion“.
Wir können bisher nur spekulieren, welche Werte in wirtschaftlichen Zusammenhängen zerstört werden beziehungsweise welche Werte nicht geschaffen werden, weil Vertrauen zunehmend aus dem Wortschatz des modernen Managers verbannt wird. Und wir sollten dieser Entwicklung in jedem Fall erst einmal massiv misstrauen.
Über den Autor: Dr. Jürgen Häusler ist CEO von Interbrand Zintzmeyer & Lux