Leadership-Krisenkommunikation: Lernen von Angela Merkel

In Zeiten von Corona, von Krisen, Unsicherheit und Ungewissheit sehnen sich Menschen nach Sicherheit, Stabilität und wollen Vertrauen. Doch wovon hängt es ab, ob die politischen Anführer Menschen in Extremsituationen für sich und ihre Vorhaben gewinnen? Die TV-Ansprache von Bundeskanzlerin Angela Merkel war ein Lehrstück, das Sie auch für Ihre Leadership-Kommunikation nutzen sollten. Eine Analyse.
Angela Merkel
Die Methoden, Stilmittel und Prinzipien, die Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer TV-Ansprache zur Corona-Krise genutzt hat, sind essentiell, um Menschen für sich und seine Ideen zu gewinnen. (© Imago)

Die Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich zum ersten Mal in Ihrer Amtszeit außerhalb der obligatorischen Neujahrsrede in einer TV-Ansprache an die BürgerInnen der Bundesrepublik Deutschland gewandt. Diese Rede war nicht nur wichtig für die Bevölkerung, sie ist darüber hinaus ein Musterbeispiel für perfekte Leadership-Kommunikation. Jeder, der Führungsaufgaben übernimmt, kann daraus Schlüsse für seine eigene Führungskommunikation ziehen.

Die Methoden, Stilmittel und Prinzipien, welche Merkel in ihrer Corona TV-Ansprache genutzt hat, sind essentiell, um Menschen für sich und seine Ideen zu gewinnen. Ich nutze nachfolgend einige Zitate von Bundeskanzlerin Merkel.

Punkt 1 – Mission: „Ich will Ihnen sagen, was mich leitet

Nur wer eine klare Absicht, ein Why oder eine Mission kommuniziert, wird Menschen von Beteiligten zu Betroffenen machen, und diese als Teil einer Bewegung hinter sich versammeln. „…gibt es nur eines, und das ist die Richtschnur all unseren Handelns: die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, sie über die Monate zu strecken und so Zeit zu gewinnen. Zeit, damit die Forschung ein Medikament und einen Impfstoff entwickeln kann. Aber vor allem auch Zeit, damit die Erkrankten bestmöglich versorgt werden können.“

Es geht nicht nur darum, dass Menschen ihre sozialen Kontakte einschränken, sondern aus welchem Sinn heraus wir das tun sollen. Die Mission wird zum Schlüsselkriterium, um Aufgaben nicht delegieren zu müssen, sondern damit Menschen sich die Aufgabe aus dem Gefühl, Teil der Bewegung zu sein, selbst auferlegen: „Ich glaube fest daran, dass wir diese Aufgabe bestehen, wenn wirklich alle Bürgerinnen und Bürger sie als ihre Aufgabe begreifen.“ „Aber ich möchte Ihnen auch vermitteln, warum es Sie dafür braucht, und was jeder und jede Einzelne dazu beitragen kann.“

Starke Leader machen Beteiligte zu Betroffenen, indem sie ihnen die Mission klar machen und sie zum Teil der Lösung, nicht zum Teil des Problems machen.

Diese Mission betonte Merkel als rhetorisches Mittel der Wiederholung immer wieder (sag, was Du sagen willst – sag es – sag, was Du gesagt hast): „Jetzt zu dem, was mir heute das Dringendste ist: Alle staatlichen Maßnahmen gingen ins Leere, wenn wir nicht das wirksamste Mittel gegen die zu schnelle Ausbreitung des Virus einsetzen würden: Und das sind wir selbst.“: Starke Leader machen Beteiligte zu Betroffenen, indem sie ihnen die Mission klar machen und sie zum Teil der Lösung, nicht zum Teil des Problems machen.

Punkt 2 – Verdichtung: „Es ist ernst.

Im Zeitalter der Informationsüberflutung nehmen die Menschen die Botschaften der Leader zwar auf. Ob sie sie verstehen, sich merken und weitertransportieren, hängt aber davon ab, wie sehr diese so verdichtet werden, dass sie sich in der Informationsüberflut durchsetzen. Das Statement „Es ist ernst.“ hinterlässt keine Zweifel und ist unmissverständlich.

Punkt 3 – Schlüsselkriterien

Um Vertrauen systematisch aufzubauen bedarf es drei zentraler Elemente:

  1. Integrität
  2. Empathie
  3. Kompetenz

Integrität

Integrität bedeutet, eine eindeutige Position einzunehmen, einem klaren und transparenten Wertesystem als Handlungsrahmen zu folgen, und als Leader seine Entscheidungen, seine Botschaften, Signale und Maßnahmen danach auszurichten. Spannend zu beobachten waren bei Merkels Auftritt nicht nur die folgenden inhaltlichen Bestandteile ihrer Ansprache, sondern auch das absolut integre Aussenden von Signalen über Ihre Gestik und Mimik.

Ihr höchster Wert ist die Demokratie und das freiheitliche Zusammenleben. Sie sagte: „Wir sind eine Demokratie. Wir leben nicht von Zwang, sondern von geteiltem Wissen und Mitwirkung.“

Mehrfach nimmt sie in ihrer Rede direkten Bezug auf ihre Position als Bundeskanzlerin: „… weil ich Ihnen sagen will, was mich als Bundeskanzlerin und alle meine Kollegen in der Bundesregierung in dieser Situation leitet. Das gehört zu einer offenen Demokratie: Dass wir die politischen Entscheidungen auch transparent machen und erläutern. Dass wir unser Handeln möglichst gut begründen und kommunizieren, damit es nachvollziehbar wird.“ In diesem Punkt beschreibt sie ihre Integrität sogar direkt und gesteht indirekt den Fehler ein, der ihr während der Flüchtlingskrise 2015 vorgeworfen wurde, nämlich eine intransparente Kommunikation. Mit ihrer Durchhalteparole „wir schaffen das“ war es nicht gelungen, die Menschen für sich und ihre Idee zu gewinnen.

Jeder, der eine Führungsaufgabe übernimmt und Menschen für seine Ideen gewinnen möchte, wird vor Situationen stehen, in denen er gegen sein Wertesystem handeln oder entscheiden muss.

Gleichzeitig macht Merkel deutlich, ohne Umschweife, sachlich, klar und direkt, im Stil einer Wissenschaftlerin: „Das Coronavirus verändert das Leben dramatisch.“ Um dann empathisch und gleichzeitig integer zu ergänzen, warum sie Entscheidungen trifft, die gegen ihr eigenes Wertesystem sind: „Für jemanden wie mich, für die Reise- und Bewegungsfreiheit ein schwer erkämpftes Recht waren, sind solche Einschränkungen nur in der absoluten Notwendigkeit zu rechtfertigen. Sie sollten in einer Demokratie nie leichtfertig und nur temporär beschlossen werden – aber sie sind im Moment unverzichtbar, um Leben zu retten.“

Jeder, der eine Führungsaufgabe übernimmt und Menschen für seine Ideen gewinnen möchte, wird vor Situationen stehen, in denen er gegen sein Wertesystem handeln oder entscheiden muss. Integrität bedeutet nicht, sich stur und starr im Wertesystem als Handlungsrahmen zu verhaken, sondern offen, transparent und emphatisch zu kommunizieren, wenn man dagegen verstoßen muss. Dazu gehört auch zu kommunizieren, was diese Entscheidungen für den Leader selbst bedeuten und integres Vorbild zu sein

Empathie

„Ich weiß, wie schwer das ist, was da von uns verlangt wird. Wir möchten, gerade in Zeiten der Not, einander nah sein.“ Sehr gut war zu beobachten, dass Merkel nicht von „wir“ und „ihr“, sondern sehr oft von „uns“ gesprochen hat. Sie stellt sich nicht über die Menschen, die sie für ihre Idee gewinnen möchte, sondern versteht sich als Teil der Gesellschaft und der Menschen in unserem Land.

Im Zeitalter der Digitalisierung wird Menschlichkeit zur absoluten Knappheit. Sie thematisiert das wichtige Thema der Nähe: „Das sind nicht einfach abstrakte Zahlen in einer Statistik, sondern das ist ein Vater oder Großvater, eine Mutter oder Großmutter, eine Partnerin oder Partner, es sind Menschen. Und wir sind eine Gemeinschaft, in der jedes Leben und jeder Mensch zählt.“ Sie untermauert es durch die Gefühle aller: „Wir kennen Zuwendung als körperliche Nähe oder Berührung. Doch im Augenblick ist leider das Gegenteil richtig.“

Auch ihr Dank, der „von ganzem Herzen“ kommt, gilt nicht nur den Spitzenleistungen des medizinischen Personals, sondern auch denen, die die Versorgung aufrechterhalten – allen voran den Mitarbeitern in den Supermärkten. Auch beim Abschied setzt sie auf empathische Worte: „Passen Sie gut auf sich und auf Ihre Liebsten auf.“

Kompetenz

Einfühlungsvermögen und Empathie reichen aber nicht aus, um das Vertrauen der Menschen systematisch aufzubauen. Wenn Menschen nicht glauben, dass der Leader kompetent in den Themen ist, in denen er entscheiden muss, werden sie ihm kein Vertrauen entgegenbringen.

Merkel stellt ihre politische Kompetenz in den Hintergrund und nutzt die Kompetenz mit der aktuell höchsten Glaubwürdigkeit, die Wissenschaft. „.. alles was ich Ihnen dazu sage, kommt aus den ständigen Beratungen der Bundesregierung mit den Experten des Robert Koch-Instituts und anderen Wissenschaftlern und Virologen.“ Damit wird klar: Sie und die Regierungsvertreter nutzen für ihre Entscheidungen ausschließlich Fachkompetenzen und lassen sich nicht von Glauben oder politischem Kalkül treiben.

Starke Marken müssen eine Nr.-1-Position im Kopf der Kunden einnehmen.

Und dann bediente Merkel sich noch einer Methodik aus der Markenführung. Starke Marken müssen eine Nr.-1-Position im Kopf der Kunden einnehmen. Um den Menschen das Vertrauen in das Gesundheitssystem zu geben und es unverrückbar im Kopf zu zementieren, sagte sie: „Deutschland hat ein exzellentes Gesundheitssystem, vielleicht das oder eines der besten der Welt. Das gibt Zuversicht.“ Und die Bundeskanzlerin ergänzte: „Aber auch unsere Krankenhäuser wären völlig überfordert, wenn in kürzester Zeit zu viele Patienten eingeliefert würden, die einen schweren Verlauf der Corona-Infektion erleiden.“

Fazit

Wenn Sie in dieser oder künftigen Krisensituation Menschen, Kollegen, Mitarbeiter oder Mitstreiter für sich gewinnen wollen, die sich Ihnen anvertraut haben, berücksichtigen Sie beim Handeln, Entscheiden, Kommunizieren und Aussenden von Signalen die gezeigten Leadership-Prinzipien zum systematischen Vertrauensaufbau.

Viel Erfolg!