Von Gastautor Martin McDonald, VP Southern Europe, Tealium
Die Digitalisierung in Deutschland kommt nicht so recht vom Fleck. Laut dem neuesten Monitoring-Report des Innenministeriums „Wirtschaft DIGITAL 2018“ geht es in manchen Bereichen zwar voran, insgesamt gibt es aber noch viel Luft nach oben. Als Grund hebt die Wirtschaft hierfür gerne den schleichenden Breitbandausbau hervor.
Doch das schnelle Internet kommt wohl nicht vor 2025. Problem: Das Konsumverhalten verändert sich trotzdem rasant, wird anspruchsvoller und richtet sich an internationalen Innovationen aus. Anstatt mit dem Finger auf die schlechte Infrastruktur zu zeigen, sollten Unternehmen daher lieber intern schauen, wie sie ihre Umsätze schon heute steigern können. Es braucht eben nicht nur die neueste Technologie, um besser zu performen, sondern auch eine neue Denkweise und einen entsprechenden Ansatz, der den Kunden ins Zentrum sämtlicher Unternehmensaktivitäten stellt. Mit anderen Worten: Die Kundenerfahrung treibt heute das Wachstum an.
Den Einzelnen ansprechen
Sich eingehend mit dem Kunden zu beschäftigen und dessen Wünsche wirklich zu verstehen, ist Voraussetzung dafür, eine bessere Kundenerfahrung und letztlich bessere Geschäftsergebnisse zu liefern. Jeden einzelnen Konsumenten nicht nur als Teil einer allgemeinen Zielgruppe oder eines Segments zu verstehen, sondern als Individuum mit ganz eigenen Bedürfnissen, wird Unternehmen in Zukunft einen wesentlich größeren Vorteil verschaffen als blitzschnelle Datenströme.
Eine Handelsstudie der Unternehmensberater von OC&C Strategy Consultants hat die Wichtigkeit von maßgeschneiderten Einkaufserfahrungen, die individuelle Wünsche erfüllen, bestätigt. Laut der Studie ist der DM Drogeriemarkt der beliebteste Einzelhändler und hat kürzlich kräftig in die Customer Experience investiert, sowohl online als auch offline. Amazon belegte knapp dahinter den zweiten Platz und ist inzwischen das zweite Unternehmen, das an der Börse mit einer Billion Dollar bewertet wurde. Die Amerikaner um Firmengründer Jeff Bezos haben längst den Wert der Kundenerfahrung verstanden. Amazon bietet nicht nur schnelle Lieferzeiten, sondern eben auch personalisierte Empfehlungen auf der Basis von First-Party-Daten.
Hat ein Unternehmen ein umfängliches Verständnis des Kunden, kann es damit relevant und effektiv mit dem Einzelnen über dessen bevorzugten Kanal kommunizieren, ob persönlich, per E-Mail oder in sozialen Netzwerken. Viele Unternehmen lernen derzeit gerade erst, wie wichtig die Interaktion auf Facebook und Co. ist. Einer Brandwatch-Studie zufolge reagieren nur wenige Marken auf mehr als zehn Prozent der @-Erwähnungen, die sie erhalten. Der britische Mischkonzern Virgin Media war in dieser Kategorie das aktivste Unternehmen. Es reagierte auf fast 65 Prozent aller Erwähnungen. Ein Ansatz, der keine Breitbandverbindung braucht, aber der von Social-Media-affinen Kunden sehr geschätzt wird.
Mit kundenzentriertem Denken können Unternehmen nahtlose Kundenerfahrungen ohne Fragmentierung liefern. Beispielsweise verhindert dies, dass ein Händler seinem Kunden auf Facebook ein Rabattangebot für ein Produkt vorsetzt, das der Kunde im Laden längst zum vollen Preis gekauft hat. Oder dass die Versicherung eine E-Mail zur Vertragsverlängerung versendet, obwohl der Kunde gerade erst per Telefon seine Police hochgestuft hat.
Je mehr Informationen ein Unternehmen über seine Kunden hat, umso stringenter wird die Interaktion, mit deren Hilfe nicht zuletzt die Kundenbeziehung langfristig gepflegt und Kundentreue gestärkt wird. Der US Kreuzfahrtanbieter Princess Cruises hat dieses Prinzip mit seinen „Ocean Medallions“-Chips an Bord seiner Schiffe demonstriert. Dieser Chip kann als Armband oder Schlüsselanhänger getragen werden und regelt das Boarding, die Bezahlung an Bord und Zugang zu den Räumlichkeiten des Schiffes. Darüber hinaus erhalten die Gäste personalisierte Empfehlungen für Aktivitäten und Exkursionen auf Grundlage ihrer persönlichen Vorlieben, früherer Entscheidungen und ihres Aufenthaltsortes auf dem Schiff. So entsteht ein wahrhaft einmaliges Erlebnis während der Kreuzfahrt.
Selbstverständlich müssen Unternehmen verantwortungsvoll beim Erheben, Speichern und Verarbeiten der Kundendaten vorgehen und sich an die Regeln der Datenschutzgrundverordnung der EU (DSGVO) und an das nationale Bundesdatenschutzgesetz (BDSG-neu) halten. Aber selbst an dieser Stelle können sie beim Kunden punkten. Mit der Einhaltung der Richtlinien kann ein Unternehmen zeigen, dass es vertrauenswürdig im Umgang mit Daten ist und die Privatsphäre des Kunden respektiert. Das stärkt die Kundenbeziehung zusätzlich.
Gestaltung der Customer Journey
Um den Kunden zu erreichen und seine Einkaufserfahrung zu verbessern, müssen Unternehmen viele verschiedene Datenquellen miteinander verbinden. Jede einzelne Interaktion muss einbezogen und verknüpft werden, um ein ganzheitliches Bild der Customer Journey zu gewinnen. Dafür sollten Daten, die derzeit in separaten Bereichen und Silos untergebracht sind – etwa im Marketing und Kundenservice als auch in der Business Intelligence und Datensicherheit – zentralisiert werden. Und diverse Kontaktpunkte, wie Interaktionen auf Web-Seiten und in sozialen Medien sowie Unterhaltungen im Call Center und Point-of-Sale müssen ebenfalls verknüpft werden.
Indem all diese Datenquellen an einem zentralen Ort zusammenlaufen, können Unternehmen kohärente und gesetzeskonforme Kundenprofile erstellen, die wiederum in die Kundenkommunikation mit sämtlichen Unternehmensbereichen einfließt. Selbst ohne Highspeed-Internet lernen jene Unternehmen, die bereits bestehende Datenquellen miteinander vereinen, ihre Kunden besser kennen. Mit diesem Wissen lassen sich neue Geschäftsmöglichkeiten erkennen und außergewöhnliche Kundenerfahrungen liefern.
Bis zum flächendeckend schnellen Internet dauert es noch einige Jahre, wobei der aktuelle Fokus angesichts starken wirtschaftlichen Wachstums auf heutigen Profitmöglichkeiten und nicht auf Investitionen in die Zukunft liegt. Komplexe Wettbewerbs- und Genehmigungsprozesse behindern den effizienten Netzwerkausbau. Daher ist es wichtig, dass Unternehmen die Schuld nicht länger beim Breitbandausbau suchen, sondern intern aktiv werden. Etwa, indem sie sich kundenzentriert aufstellen und mit den Datenquellen, die sie heute bereits haben, ein ganzheitliches Bild des Kunden erstellen. Auf diese Weise können sie einzigartige Kundenerfahrungen liefern und auch ohne Breitband Erfolg haben.
Zum Autor: Martin McDonald ist Country Manager für Deutschland, Österreich und die Schweiz bei Tealium, einer Plattform für Realtime-Kundendatenlösungen und Enterprise Tag Management.