Von Dr. Philipp Spreer und Jonas Klinger, elaboratum New Commerce Consulting
Der weitaus größte Teil der am Markt erhältlichen Waren ist durch Transparenz über Preis, Verfügbarkeit und Qualität austauschbar. Es sind also oft die Services, die im Wettbewerb um die Kunden entscheiden. Und diese sind anspruchsvoll. Sie sind oft vorinformiert, wenn sie in den Laden kommen und erwarten auch digital über mobile Devices beraten und bedient zu werden.
Deshalb hat das Modeunternehmen Marc O‘Polo seine Mitarbeiter in den stationären Filialen flächendeckend mit Tablets ausgestattet, um die Service-Qualität zu verbessern, das Verkaufsgespräch effizienter zu gestalten und die Abschlusswahrscheinlichkeit zu erhöhen. Die Vorteile dieser Verkaufsform sind offenkundig: Digitale Features, beispielsweise in Form von Rich Media Content für Produktvisualisierungen, detaillierten Produkt- und Kundendaten sowie Verfügbarkeiten können mit den Vorteilen eines persönlichen Kontakts, wie Vertrauenswürdigkeit, Verkaufsdidaktik und Produktvorführung, kombiniert werden.
Faktor Mensch
Am Fallbeispiel Marc O‘Polo wurde untersucht, welche Hindernisse es auf dem Weg zu dieser hybriden Beratungsform gibt. Dazu müssen zunächst alle nötigen Daten digital vorliegen: sämtliche Produktinformationen über technische Daten über Verfügbarkeiten bis hin zu Kundendaten. Bei Marc O‘Polo wurde ein CRM– und Loyalty-Programm mit Crosschannel-Prozessen etabliert. Das CRM-System erlaubt eine 360-Grad-Kundensicht über alle Kanäle hinweg: über den Onlineshop, eigene Stores und Stores von Franchise-Partnern. Das Kundenbindungsprogramm umfasst zudem weitere Sonderleistungen, wie bspw. die Möglichkeit, sich bestimmte Kleidungsstücke in die Wunsch-Filiale zum Anprobieren schicken zu lassen. Kunden, die eine bestimmte Stufe erreicht haben, erhalten einen kostenlosen Schneidereiservice.
Die größte Herausforderung in der Umsetzung einer hybriden Beratung ist der „Faktor Mensch“. Denn Verkäuferinnen und Verkäufer bilden die Schnittstelle zwischen Handelsmanagement und Kunden. Weitgehend unersetzbar entscheiden sie in vielen Fällen über Erfolg und Misserfolg von Beratungsansätzen – und der Kaufabschlüsse. Sie einzubeziehen und für die gemeinsame Sache zu gewinnen ist daher auch für die Digitalisierung des Verkaufsgesprächs ein zentraler Erfolgsfaktor. Manch Unternehmen hat schon schmerzlich erfahren müssen, wie schwierig die Einführung einer hybriden Beratung ist, wenn man das Verkaufspersonal nicht dafür gewinnt.
Sechs Akzeptanzbarrieren
Es gibt sechs Akzeptanzbarrieren, die die Einführung von Tablets als digitale Verkäuferhilfen am POS behindern und die innerhalb einer Befragung unter den Marc O‘Polo Stores validiert wurden
1. Das ist zum einen der Faktor „Druck“: Wir alle reagieren mit denselben Handlungsmustern auf Druck von außen, besonders häufig mit Ablehnung. Auch bei Verkäufern lässt sich dies feststellen, sobald sie sich unter Druck gesetzt fühlen, digitale Beratungsformen einzusetzen. Händler, die digitale Verkäuferhilfen etablieren wollen, müssen ihre Verkäufern unbedingt parallel umfassend schulen und coachen.
2. Die Einführung einer neuen Technologie ist immer mit Aufwand verbunden. Auf den Verkäufer kommt unter Umständen Mehrarbeit durch einen erweiterten Zuständigkeitsbereich (zum Beispiel durch das zusätzliche Pflegen eines Kundenbeziehungsmanagement-Systems) zu. Meist ist die Einführung mit zeitlichem (z.B. durch anfangs langsamere Verkaufsgespräche) und kognitivem Aufwand verbunden (zum Beispiel durch das Erlernen und Konfigurieren der Anwendung). Entsprechend müssen solche Systeme den Verkäufer als Nutzer konsequent in den Mittelpunkt stellen und als Testperson in die Entwicklung einbeziehen.
3. Weitere mögliche Hürde: Verkäufer wollen von ihren Kunden in einer bestimmten Weise wahrgenommen werden. Aber nicht immer passt ein Tablet-PC in dieses gewünschte Idealbild hinein. Gerade ältere Verkäufer empfinden es häufig als nicht authentisch, technologie-gestützt zu beraten. Untersuchungen haben ergeben, dass dieser Effekt beim Einsatz des Apple iPad besonders ausgeprägt ist. Alternativen sind je nach Markenimage des Händlers und Zusammensetzung des Verkaufspersonals gezielt sichtbare Marken-Tablets oder Hardware ohne erkennbare Marke.
4. Verkäufer legen hohen Wert auf eine gute Beziehung zu ihren Kunden. Sie entscheidet am Ende des Tages über einen erfolgreichen Abschluss, die Höhe der eigenen Verkaufsprovision und sichert letztlich auch den Arbeitsplatz. Dementsprechend reagieren Verkäufer ablehnend, wenn sie die Beziehungsqualität in Gefahr sehen, was manch Verkäufer durch den Technologieeinsatz befürchten: Kunden könnten es als unhöflich empfinden, wenn der Verkäufer im Gespräch ein Tablet bedient und dadurch dem Kunden nicht mehr die ungeteilte Aufmerksamkeit widmet.
5. Zudem befürchten manche Verkäufer, als nicht kompetent wahrgenommen zu werden: Jemand, der wesentliche Informationen nur über ein Tablet-PC abruft, kann in den Augen der Verkäufer schnell als inkompetent missverstanden werden. Tatsächlich befürworten Kunden den Einsatz digitaler Medien meist, wenn sie harmonisch in das Gespräch integriert wird.
6. Und schließlich gilt es operative Hürden zu beseitigen: Neben all den komplexen Betrachtungen von Status, Marken und Beziehungen erscheinen die häufigsten Ablehnungsgründe fast banal. Insbesondere zählen dazu sowohl technische Defizite (z.B. Ladezyklen, WLAN-Geschwindigkeit, Schnittstellen-Stabilität) als auch das Handling der Geräte (z.B. mangelnder Tragekomfort, Diebstahlsicherung, geringe Bildschirmgröße).
Berücksichtigen Händler diese Faktoren und die damit verbundenen Anforderungen bei der Digitalisierung von Crosschannel-Prozessen, können sie die Stärken von digitaler und analoger Welt verbinden. Sie schaffen so ein Multichannel-Beratungsangebot, das über klare Wettbewerbsvorteile gegenüber dem herkömmlichen stationären Handel als auch dem reinen E-Commerce verfügt.