Wer ein neues Auto kauft, muss immer länger darauf warten. „Je nach Fabrikat und Modell hat sich die Lieferzeit bei einem Großteil auf drei bis sechs Monate eingependelt“, sagte Marcus Weller, Marktexperte beim Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe, der Deutschen Presse-Agentur. Bei manchen Premiummodellen müssten Kunden sogar neun Monate bis ein Jahr lang warten, bis sie den Wagen in Empfang nehmen können.
Hintergrund sind vor allem die Lieferengpässe bei wichtigen Bauteilen, darunter Halbleiter. Hersteller drosseln deshalb die Produktion. Stefan Reindl, Leiter des Geislinger Instituts für Automobilwirtschaft, sagt voraus: „Die Problematik langer Lieferzeiten könnte sich im Herbst 2021 bis weit ins Frühjahr 2022 verschärfen.“ Die Folge: Rabatte auf den Listenpreis werden seltener, auch Gebrauchtwagenpreise ziehen an.
Im Oktober wurden laut Kraftfahrt-Bundesamt noch knapp 180.000 Autos neu zugelassen, 35 Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Hersteller sprechen von einer regelrechten Talfahrt.
„Der Bestand bei den Händlern ist ziemlich reduziert“, sagt Weller. Fanden Kunden früher ihr Wunschmodell nicht direkt beim Händler, sei es kurzfristig aus Lagern des Herstellers lieferbar gewesen. Das sei nun schwieriger. Wartezeiten würden mitunter mit Vorführfahrzeugen überbrückt und Leasing-Verträge verlängert, sagt Weller. Wer bei der Marke flexibel sei, komme unter Umständen schneller an seinen Neuwagen.
Taskforce auf der Suche nach Mikrochips
Viele Autohersteller versuchen händeringend, den Nachfrageüberhang zügig abzuarbeiten, indem sie bestellte Fahrzeuge mit dem noch vorhandenen Material fertigstellen. Bei Konzernen wie Volkswagen und großen Zulieferern wie Continental suchen eigens gebildete „Taskforces“ den Weltmarkt rund um die Uhr nach Restmengen vor allem der knappen Mikrochips ab.
Doch das, was überhaupt erhältlich ist, reicht häufig nicht aus. Vor manchen Werken stauen sich bereits „Halden“ halb fertiger Autos, die bei Eintreffen fehlender Teile rasch nachgerüstet und erst dann ausgeliefert werden. Einige Autobauer sind aber sogar dazu übergegangen, Modelle ohne bestimmte Sonderausstattungen auf die Straße zu lassen, um die Systeme später zu ergänzen.
Rabatte werden gekürzt
In der Produktion fallen aufgrund des Teilemangels Schichten aus, teils über ganze Wochen. Gleichzeitig steigen die Autopreise, denn zusätzlich zur allgemeinen Verknappung des Angebots werden Rabatte gekürzt.
Andererseits wollen die Unternehmen loswerden, was geht. Bei VW etwa führte der unbedingte Vorrang für die externe Kundschaft dazu, dass sich Manager vorerst keine Elektro- oder Hybridautos als Dienstwagen mehr bestellen sollen. Diese sollen sofort in den Handel gehen – normalerweise schmückt sich der Wolfsburger Hersteller damit, auch seine Führungskräfte mit alternativ angetriebenen Fahrzeugen auszustatten.
„Besonders anfällig für lange Lieferzeiten sind aktuell vor allem Elektrofahrzeuge“, sagt Autoexperte Reindl. Sie seien sowohl bei der Ansteuerung des Antriebs als auch bei Assistenz- und Kommunikationssystemen stärker auf Halbleiterelemente angewiesen als Verbrenner-Fahrzeuge.
Keine Entspannung der Lage in Sicht
„Wir gehen derzeit davon aus, dass weltweit in diesem Jahr rund zwölf Prozent mehr Fahrzeuge verkauft werden könnten, wenn keine Probleme mit den Lieferketten bestehen würden“, bemerkt Stefan Bratzel, Leiter des Center of Automotive Management in Bergisch-Gladbach. In Deutschland seien es 15 Prozent. Die längsten Lieferzeiten erwartet er im kleineren bis mittleren Preissegment. Denn die knappen Halbleiter würden zunehmend auf höherpreisige Fahrzeuge konzentriert.
Eine Entspannung auf den Zuliefermärkten sei in den kommenden Monaten nicht in Sicht. „Es bleibt zu hoffen, dass sich die Engpässe ab 2022 sukzessive auflösen – wenngleich nicht gänzlich“, sagt Bratzel. Denn darunter litten nicht nur Autohersteller und -zulieferer, sondern insbesondere auch der Autohandel. Wenn Händler bestellte Fahrzeuge nicht ausliefern könnten, fehle Umsatz und Ertrag. „Dies könnte zu einer ruinösen Spirale in der Automobilwirtschaft führen.“
Von Burkhard Fraune und Jan Petermann, dpa