Viele Schülerinnen und Schüler in Deutschland bekommen heute keine Kopfnoten mehr auf ihrem Zeugnis. Aus gutem Grund: Das ifo-Institut hat herausgefunden, dass es keinen Unterschied macht, ob Sozialverhalten oder Arbeitsmoral auf dem Zeugnis bewertet werden oder nicht. Der Charakter der Schülerinnen und Schüler ändert sich dadurch nicht. Die Schulleistungen werden nicht relevant besser oder schlechter. Und auch auf eine künftige Erwerbstätigkeit haben Kopfnoten keine Auswirkung. Man führe sich vor Augen: Das sagt eine Studie des ifo-Instituts, das nicht gerade für seinen sozialen Kuschelkurs bekannt ist (siehe die jüngste Elterngeld-Debatte).
Warum sollte man sich also die Mühe machen, eine Note auf das Zeugnis zu schreiben, wenn sie keinen positiven Effekt hat? Der Bewertung als einzelne Zensur liegt ein Menschenbild zu Grunde, das ihn auf gewisse Stereotype reduziert und sogar ein Stück weit entmündigt. Statt Kopfnoten braucht es also regelmäßiges Feedback auf Augenhöhe, um echte Verbesserungen zu schaffen. Was viele Kultusministerien verstanden haben, scheint beim Softwareriesen SAP nicht so ganz angekommen zu sein. Anders lässt sich kaum erklären, dass die Firma im Jahr 2025 Kopfnoten für ihre Mitarbeitenden einführt.
Enges Notenspektrum: Stereotype vorprogrammiert
Das Notenspektrum, das SAP vorsieht, ist dabei sogar noch enger als ein Schulnotensystem: Blau ist die Bewertung für Leistungsträger. Grün ist der schnöde Durchschnitt, der die Erwartungen eben erfüllt. Und gelb sind die Menschen, von denen SAP Anpassungen verlangt. Dieses Bewertungsspektrum verstärkt genau das, was bei Kopfnoten häufiger Kritikpunkt ist: die Stereotypisierung. Dass SAP nicht gleich auf die Ampelfarben setzt, ist dabei noch das Beste am ganzen System – könnte aber auch schlicht der blauen Unternehmensfarbe von SAP geschuldet sein.
Interessant daran: In den vergangenen Jahren gab es bei SAP gar keine klassischen Leistungsbewertungen. Auch das ist nicht sinnvoll. Und es macht den Sprung auf die Kopfnoten noch wilder – und den Absturz noch wahrscheinlicher.
Forschende sind sich einig, dass Feedback für Mitarbeitende und Unternehmen wertvoll ist. Dass es generell Feedback braucht, ist also kein Diskussionspunkt. Aber: Ein standardisiertes System wie das von SAP wird den Mitarbeitenden nicht gerecht. Wer sich nicht die Zeit nehmen will, um seinen Mitarbeitenden persönliches, individuelles Feedback zu geben, der wird mit Kopfnoten und Ampeln niemandem gerecht.
Weder Leistungsträger noch Minderleister profitieren von Kopfnoten
Denn: Leistungsträgerinnen wissen meist ohnehin um ihre Rolle – und brauchen vor allem organisationale Verbesserungen. Oder persönlich bessere Rahmenbedingungen.
Minderleister sind an dem Punkt aus einem gewissen Grund gelandet. Die wenigsten Mitarbeitenden treten ihre Stelle mit einer Null-Bock-Einstellung an – und wenn, dann fällt es hoffentlich bereits in der Probezeit auf. Dieser Gruppe wird eine Notenbewertung nicht helfen, aus dem Trott zu kommen.
Beide Gruppen brauchen persönliche Ansprache und echtes Interesse, um zu Lösungen zu kommen. Eine standardisierte Kopfnotenskala wird sie nicht zu besseren Ergebnissen bringen.
Im schlechtesten Fall könnte sie sogar das Gegenteil erreichen. Bekommen Mitarbeitende das Gefühl, dass Misstrauen die primäre Motivation für die Bewertungen ist, schadet das dem gemeinsamen Verhältnis eher. Dabei ist es einigermaßen egal, ob das Gefühl gerechtfertigt ist oder nicht: Fühlen sich Mitarbeitende kontrolliert; glauben sie an mangelndes Vertrauen, dann werden sie dadurch sicher nicht zufriedener. Das gilt erst recht, wenn man sie wie SAP drei Tage die Woche ins Büro zurückbeordert. Denn auch hier gilt: Es ist völlig egal, ob die wirkliche Intention hinter der Maßnahme ist, dass die Menschen wieder verstärkt zusammenkommen sollen. Oder, ob wirklich Kontrolle dahinter steht: Bei nicht wenigen Mitarbeitenden wird das Gefühl von verstärkter Kontrolle hängen bleiben.
Mitarbeitende sind Erwachsene, reife Menschen, die Verantwortung wollen und keine Kontrolle. Eine gewisse Freiheit (und das zugehörige Gefühl) führt in der Regel zu den besten Ergebnissen. Was in der Pädagogik mittlerweile an vielen Stellen angekommen ist, sollte auch in Unternehmen zur Selbstverständlichkeit werden.
Auf eine pädagogisch wertvolle Woche!