Herr Dertinger, welche Designelemente haben den größten Einfluss auf die Wahrnehmung einer Marke?
Zunächst einmal ist es das Logo, was an erster Stelle im Kopf der Menschen auftaucht, wenn sie über Marken sprechen. Als Markenzeichen spielt es eine zentrale Rolle. Alles, was man mit der Marke erlebt, an Positivem wie Negativem, wird in dieses Logo transferiert. Quasi wie ein Gefäß, das alle Emotionen aufnimmt. Ein anderes, sehr wichtiges Element ist die Farbe. Das hat man beispielsweise bei der Europameisterschaft sehr gut gesehen. Das Emblem, wie etwa der deutsche Adler, trägt weniger zur Wiedererkennung bei. Diese erfolgt vor allem über die Farben der Landesflagge oder der des Trikots der Spieler. So ist es auch bei den Marken. Als die Telekom damals zur Marke, also zum privatwirtschaftlichen Unternehmen wurde, haben sie alles in Magenta getaucht. Heute ist dieses Magenta eine der wertvollsten Markenfarben auf der Welt.
Und dann gibt es natürlich die Bilder, die eine Marke einsetzt. Ich würde sagen, vor allem im Premium- und Luxussegment spielt das Bild die entscheidende Rolle. Bilder können Begehrlichkeit auslösen. Die Art und Weise, wie ein Produkt abgebildet ist, kann das Produkt extrem aufwerten. Dabei macht es einen Unterschied, in welchem Segment man sich befindet. Betrachtet man den Premium- / Luxusbereich, etwa von Fahrzeugherstellern, spielt es eine sehr wichtige Rolle wie Mercedes, BMW und andere ihre Autos abbilden.
Gibt es bestimmte Designelemente oder -trends, die besonders gut funktionieren?
Aus Markensicht und vor allem wie wir bei Martin et Kaczinski Marken begreifen, würde ich sagen, dass vor allem Identität funktioniert – in dem Sinne, dass Identität nachhaltig Wirkung erzeugt. All die Trends, die gerade auftauchen, verschwinden auch wieder. Aber wenn wir als Markenmacher versuchen, das, was ein Unternehmen im Kern ausmacht, nach außen zu transportieren, dann ist es vor allem die Identität, die bleibt. In der Modewelt beispielsweise, gab es in den vergangenen Jahren den Trend, dass viele Modemarken ihre eigenen typischen Schriften, zugunsten von digital tauglichen Schriften aufgegeben haben. Das sind oftmals Schriften, die jegliche Typik eingebüßt haben. So hatte Burberry beispielsweise den britischen Charakter seiner Schrift zugunsten einer eher austauschbaren Schrift aufgegeben. Viele andere Marken im Modebereich haben Ähnliches gemacht. Und jetzt? Burberry etwa hat das Ganze wieder zurückgeschraubt und eine Schrift mit einem eigenen Charakter entwickelt. Das zeigt: die eigene, unverwechselbare Identität steht immer über den Trends.
Wie wichtig ist die Konsistenz des Brand Designs über verschiedene Kanäle und Produkte hinweg?
Tatsächlich ist es für uns als Markenmacher mit der Zeit komplexer geworden. Früher gab es die Paradigmen Konsistenz und Kontinuität. Diese haben im Grunde vorgegeben, wie man Marken macht und wie man Marken führt. Heute ist eher die kontinuierliche Veränderung ein Paradigma geworden, was sich im Social-Media-Zeitalter nochmal verstärkt hat. Inzwischen haben wir jeden Tag Kontakt mit Marken, sei es über E-Mail-Newsletter oder auf Instagram oder TikTok. Wenn diese Marken jeden Tag gleich auftreten würden, würden wir uns die Inhalte nicht mehr anschauen. Ich bin also als Rezipient darauf angewiesen, eine Veränderung zu letzter Woche wahrzunehmen, um zu sehen, was mir die Marke Neues zu sagen hat. Die Kunst besteht darin, nicht jede Woche was völlig Neues zu machen und sich als Marke komplett untreu zu werden. Das bedeutet für uns, dass wir ein Markendesign von vornherein so anlegen müssen, dass eine Entwicklung möglich ist und dass der Korridor breit genug ist, in dem sich die Marke bewegen kann, um auch immer wieder zu überraschen.
Welche spezifischen Herausforderungen und Chancen sehen Sie im Brand Design für Social Media im Vergleich zu traditionellen Medien wie Print und TV?
Ich bin der Meinung, dass die Chance gleichzeitig die Herausforderung ist: Social Media erlaubt den Dialog. Es ist nicht mehr die eindimensionale Kommunikation. Die Marke postet etwas und es gibt sofort Feedback. Darin steckt für die Marke die Riesenchance, mit den Zielgruppen in den direkten Austausch zu gehen. Und darin liegt aber natürlich auch die Herausforderung. Man muss mit diesem Feedback auch sofort gekonnt umgehen. Das führt vom Visuellen in das Kommunikationsverhalten einer Marke. Die Social-Media-Manager, die dabei in der Verantwortung stehen, müssen wissen: Wie gehe ich mit meiner Zielgruppe um? Wie reagiere ich auf Kritik? Und da benötigen sie Handlungsanleitungen, die ihnen so viel Orientierung geben, dass sie wissen, was zu tun ist. Wie gehe ich etwa mit Humor oder Sarkasmus um? Beweist dabei die Marke selbst Humor, im Sinne von Selbstironie?
Auf der anderen Seite muss aber auch so viel Freiheit möglich sein, dass man sofort reagieren kann. Denn das erfordert Social Media. Die Marke muss spontan reagieren können. Das kann man wieder auf den visuellen Bereich beziehen. Wir können heute keine so strengen Regeln mehr auferlegen, dass sie es einer Marke nicht erlauben, beispielsweise auf Black Lives Matter zu reagieren. Man muss schnell handeln können und zum Beispiel eine Website einfach mal umgestalten dürfen.
Die Besonderheit bei Social Media ist ja auch, dass die Zielgruppe eine andere ist als im Fernsehen oder den Printmedien. Dies hat für uns dann vor allem zwei Ausprägungen. Zum einen müssen wir Marken generell expressiver machen, damit sie auch von jüngeren Zielgruppen entsprechend wahrgenommen werden. Zum anderen hat das Auswirkungen auf das Storytelling. In einem TV-Spot von 30 Sekunden kann ich eine Story aufbauen mit der Pointe am Schluss. Auf Social Media muss man das Storytelling eher umkehren und sofort mit etwas einsteigen, was bereits in den ersten fünf Sekunden triggert.
Wie beeinflusst Brand Design die Kaufentscheidung von Konsument*innen? Kann man ein sogenanntes Verpackungsopfer werden?
Ja, definitiv. Schauen wir einmal ganz auf den Anfang des Verpackungsdesigns zurück. Zunächst sind die Menschen in einem Laden direkt zur Kasse gegangen und haben gesagt, was sie haben möchten. Dann hat man ihnen die Produkte zusammengesucht und verkauft. Nach einer gewissen Zeit gab es schließlich Läden, in denen man sich seine Einkäufe selbst aus den Regalen nehmen musste. Zu Beginn waren die Produkte einfach nur in graue Verpackungen gewickelt. Als es dann jedoch eine Auswahl an Produkten und eine gewisse Konkurrenz gab, musste man sich unterscheidbar machen. Daraus leitet sich unser heutiges Verpackungsdesign ab. Nur dass es natürlich viel detaillierter geworden ist. Aber es wirkt. An dieser Stelle funktioniert beispielsweise all das, was ich zu Beginn über Farben und Schriften im Brand Design gesagt habe.
Wie gehen Sie im Brand Design mit kulturellen Unterschieden um, wenn Sie für globale Marken arbeiten?
Wir wägen ab. Es gibt Elemente, die aus dem Kern der Marke kommen und die wir international genauso einsetzen können. Und dann gibt es Elemente, bei denen wir auf lokale Gegebenheiten und kulturelle Unterschiede Rücksicht nehmen müssen. Wenn wir beispielsweise einmal beim Thema Farbe bleiben, dann unterscheiden wir zwischen Markenfarben, bei denen wir sagen, dass sie unabänderlich sind. Dazu haben wir eine zweite Ebene, auf der sich die Designfarben oder Gestaltungsfarben befinden. Diese Ebene ist viel breiter angelegt und dort können wir dann auf regionale und kulturelle Gegebenheiten Rücksicht nehmen.