Wie einst die Eisenbahnen in den USA, die den wilden Westen erschlossen, legte die New Economy die Schienen für das Internet, wie wir es kennen. Mittlerweile hat das Internet in fast allen Lebensbereichen Einzug genommen und gewohnte Muster durchbrochen. Wir stellen uns Zeitungsinhalte so zusammen, wie es uns am besten gefällt, finden weltweit Freunde wieder und nehmen mit Ihnen auf den verschiedensten Wegen online Kontakt auf. Unsere Musik und Videosammlung ist besser sortiert als es je der Plattenladen war und Raritäten von einst sind längst ein Allgemeingut geworden und für jeden zu haben.
Mit Web 2.0 ist das Internet noch interaktiver und noch demokratischer geworden. Statt Informationen und Nachrichten über nur einen weiteren Kanal zu erhalten, sind User mittlerweile zum aktiv gestaltenden Teil des Internets geworden. User-Generated Content lautet das Zauberwort, mit dem das Internet in Form von Beiträgen in Wikis, Blogs und Communities einen wesentlichen Bestandteil im Leben der Nutzer einnimmt.
Irrationale Kauflust
Social Network Services (SNS) wie MySpace und Xing haben durch die rapide steigenden Mitgliederzahlen und deren zunehmende, aktive Verweildauer die Aufmerksamkeit von Medienunternehmen auf sich gezogen. Wenngleich von sinkenden Werbeeinnahmen im traditionellen Kerngeschäft konfrontiert, sind die großen Player des Medien- und Unterhaltungsgeschäfts auf Einkaufstour gegangen und haben dabei teilweise eine nahezu als irrational zu bezeichnende Kauflust an den Tag gelegt. Da ein organisches Wachstum in den traditionellen Segmenten und Stammmärkten limitiert ist, liegt der Fokus daher auf geografischer Expansion sowie Akquisitionen im Bereich der digitalen Medien.
MySpace, im July 2005 für 580 Millionen US-Dollar von Rupert Murdoch’s News Corp gekauft, hat mittlerweile rund 180 Millionen Nutzer und einen geschätzten Umsatz von 750 Millionen Dollar. Mit dem für 2008 angepeilten Gewinn von bis zu 300 Millionen Dollar ist MySpace eine der wenigen Netzwerk-Plattformen, die auch profitabel ist. Zahlreiche Plattformen bleiben bislang jedoch weit hinter den finanziellen Erwartungen zurück.
Facebook, ursprünglich nur für Studenten gedacht, ist durch die Öffnung des Systems für andere Nutzergruppen (Schüler, Angestellte, etc.) sowie durch die Zulassung von Applikationen externer Entwickler rapide auf 47 Mio. Nutzer gewachsen. Ebenso rasant entwickeln sich der Umsatz sowie der Wert des Unternehmens. Microsoft zahlte Ende Oktober rund 240 Mio. US-Dollar für grade 1,6 Prozent-Firmenanteil, obwohl die großen finanziellen Gewinne noch auf sich warten lassen.
Auch der deutsche Markt ist in Bewegung. Als die Holtzbrinck Verlagsgruppe im vergangenen Jahr für geschätzte 85 Mio. Euro die Social-Networking-Plattform StudiVZ übernahm, wurde dies in den Medien heftig kritisiert. Heute ist die Plattform, zumindest in Bezug auf die Nutzerzahl, an der Spitze angelangt: mit rund 3 Mio. Nutzern und über 4,5 Mrd. Seitenaufrufen liegt die Platform mit großem Abstand auf Platz 1 der deutschsprachigen Internetseiten.
Damit das Web 2.0 und die SNS nicht das gleiche Schicksal trifft wie einst die Eisenbahnen und später die New Economy, müssen Plattformen den Kontext des täglichen Lebens ihrer Nutzer verstehen und hieraus Relevanz bei Angeboten, Werbung und Kooperationen schaffen. Für die Medienhäuser ist es nicht ausreichend, die „gekauften User“ als Alibi für höhere Online-Werbepreise zu nehmen, quasi als Gegenwartsbewältigung der sinkenden Offline-Relevanz. Auf Basis eines tragfähigen Geschäftsmodells kann das Wachstum vorangetrieben, und über das „bekannte“ Web 2.0 hinaus mit Innovationen die Medienlandschaft der Zukunft gestaltet werden. Hierfür ist eine Strategie maßgeblich, die den alltäglichen Kontext und die emotionalen Episoden der User berücksichtigt: Entwicklung eines tief greifenden User-Verständnisses.
Um eine Relevanz bei den Nutzern zu erlangen, muss ein klares Verständnis des alltäglichen Lebens angestrebt werden. Hierzu müssen die Aktivitäten, höher gelagerte Ziele und nicht artikulierbare Wünsche der Nutzer verstanden werden. Erst wenn die Emotionen und Frustrationen der Nutzer identifiziert sind, können Wachstumsplattformen, die bei Nutzern Relevanz haben, entwickelt werden.
Hierbei reicht es nicht aus, durch ein differenziertes Nischenangebot in der Masse der SNS herauszustechen, vielmehr muss sich die Nutzung nahtlos in die reale Welt der Konsumenten einfügen und einen echten Mehrwert bieten. Nur so können Nutzungshäufigkeit und Verweildauer erhöht werden und ein Anreiz zum Engagement durch Nutzer-generierten Inhalt oder intensive Interaktion geschaffen werden.
Identifikation eines tragfähigen Geschäftsmodells
Auf Basis des User-Verständnisses können Wachstumsplattformen abgeleitet werden, die profitables Wachstum erzeugen, ohne Nutzer zu verlieren. Es reicht nicht aus, die hohen Traffic-Daten zur Vermarktung von Online-Bannern zu nutzen. Die User-Community reagiert auf eine offensichtliche Kommerzialisierung ihrer Plattform häufig mit einer Abkehr, langjährige und loyale Nutzer stellen sich mit einer Protesthaltung gegen das Unternehmen. Vielmehr müssen subtilere Werbeformen oder Premium-Offerten einen echten Mehrwert bieten. Hierbei können beispielsweise Unterhaltung oder Exklusivität relevante Treiber sein, um User zu begeistern.
Ein Modell, das in der Praxis bereits gut funktioniert, ist beispielsweise News Corps MySpace. Frühzeitig wurde dort begonnen, die Online-Community für die Vermarktung von Inhalten des Medienkonzerns zu nutzen. Auf der Plattform wurde aktiv Buzz rund um verschiedene Musik-Interpreten und Filme erzeugt, welcher die Titel schon weit vor dem Start im Radio eine große Aufmerksamkeit bescherte. So wurden ein Doppelnutzen geschaffen sowie Synergien im Konzern genutzt. Eine systematische Vorgehensweise war dabei Grundlage, um zukünftig weitere Partnerschaften zu schließen. Die Kooperation mit Burger King bietet den Nutzern der Community beispielsweise zwei Episoden der Serie“24″ kostenlos an, danach muss der Nutzer zahlen. Viele TV-Serien erhalten so eine zweite Chance, aber auch neue Formate entstehen oder werden online getestet. Für Blockbuster wie „X-Men – The Last Stand“ wurde eine komplette MySpace-Kampagne jenseits althergebrachter Bannerwerbung entwickelt.
Mit einem kontextorientierten Ausbau des Angebots – rund um persönliche Kontakte der User und entlang ihres alltäglichen Lebens – hat sich MySpace in ein umfassendes Social Network weiterentwickelt. Das breite Spektrum der Services lässt erahnen, wie in der Zukunft – auch jenseits von Onlinewerbung – ein nachhaltiges und profitables Wachstum erzielt werden kann.
Über den Autor: Hartmut Heinrich ist Director des Hamburger Büros von Vivaldi Partners.
Kontakt: hheinrich@vivaldipartners.com