Von Anne-Kathrin Velten
Wer durch die Straßen von Seoul spaziert, kann an jeder Ecke sein Glück und seine Geschicklichkeit testen. Die Glaskästen, an denen Passanten mit Greifarmen nach Kuscheltieren angeln, erinnern an Kirmesbesuche in den 90er Jahren. Damals konnten man für eine Deutsche Mark den Greifarm bewegen. Südkoreaner lassen sich den Versuch heute umgerechnet bis zu fünf Euro kosten. Meist haben sie Pech, aber manchmal erwischen sie doch etwas. Nicht selten entsteht ein wahrer Wettstreit zwischen Freunden. Inzwischen gibt es 500 derartige Maschinen in Südkoreas Hauptstadt.
Ihre steigende Beliebtheit ist nur ein Anzeichen für einen Trend in asiatischen Ländern: Der starke Wettbewerb sowie ein hoher Druck in der Universität und im Beruf lassen Studierende und Angestellte nicht nur in Südkorea verzweifelt nach Entspannung suchen. Über kleine – meist spielerische – Konsummomente versuchen Asiaten, Stress zu reduzieren.
Spielindustrie setzt schon lange auf Niedrigpreise
Koreaner haben dafür sogar einen eigenen Begriff: „Tangjin-Jam“ ist eine Kombination der koreanischen Wörter „verschleudern“ und „Spaß“ und ist zum allgemeinen Code für Stressbewältigung geworden. Empfinden die Konsumenten Freude, sind sie äußerst zahlungswillig. Der Spaß wird dadurch gesteigert, dass die Preise so gering sind, dass die sie kaum ins Gewicht fallen. Dabei spielt der mittelfristige Nutzen des Produkts keine Rolle. Glück wird von der jungen Generation dann empfunden, wenn mit einem verhältnismäßig kleinen Geldeinsatz direkt Emotionen abgerufen werden können. Bei den Greifmaschinen ist dies besonders gut möglich: Die Nutzer kommen aus dem Büro, werfen Geld ein und empfinden direkt spielerischen Ärger über den Fehlgriff oder Freude über den Gewinn.
Als erste Branche hat sich die Computerspielindustrie diesen Trend zunutze gemacht. Sie bietet verstärkt kurze und einfache Spiele zu einem geringen Preis. Die Anbieter verkaufen neben dem Spiel kleine Extras, die das Erlebnis aufwerten. Zudem steigt die Nachfrage nach Pop-up-Werbung in den Spielen. Hier positionieren sich unterschiedliche Marken. Der südkoreanische Markt für mobile Spiele soll bis zum Jahr 2020 voraussichtlich auf 2,1 Milliarden US-Dollar anwachsen. Vergleichbar ist China, der größten asiatischen Handyspielemarkt, in dem 67 Prozent der 20- bis 24-Jährigen Online-Spiele nutzen, um Stress abzubauen.
„Geldverschwenden macht Spaß“
Aber auch in der analogen Welt verdienen Unternehmen gut an dem Prinzip „Geldverschwenden macht Spaß“. Billigläden sind in Seoul auf dem Vormarsch. Die Geschäfte befinden sich häufig neben Bushaltestellen oder zentralen Treffpunkten, also da, wo Menschen ein paar Minuten Wartezeit überbücken müssen. In kürzester Zeit sind die Einkaufskörbe der Passanten voll. Die Preise für das einzelne Produkt liegen umgerechnet bei wenigen Euros. Die Koreaner kaufen dort selten Dinge, die sie brauchen, sondern vielmehr Produkte, die günstig sind und gerade darum Freude bereiten.
Glücklich mit 1-Euro-Produkten
Einkaufen für das Glücksempfinden nimmt aber auch hierzulande zu. Hatten 1-Euro-Shops ursprünglich geringe Einkommensschichten im Blick, zielen sie heute auf alle Einkommensniveaus. Das Produktangebot hat sich dadurch stark verändert. Besonders deutlich zeigt sich das beim Discounter Tedi. Die Regalreihen in den europaweit mehr als 1900 Filialen wirken chaotisch. Ob Haushaltswaren, Elektronik, Kosmetik, Süßwaren oder Spielzeug: Tedi verkauft alles und eröffnet alle paar Tage eine neue Niederlassung. Gemeinsam haben die Produkte des Discounters nur eines: einen günstigen Preis. Sind die Kunden einmal im Geschäft, sorgen die Verlockungen dafür, dass sie deutlich mehr kaufen als beabsichtigt. Der Spaß am Konsum, ohne viel Geld auszugeben, ist auch für europäische Kunden entscheidender als der mittelfristige Nutzen, unabhängig vom Einkommen. Bislang machen sich aber nur wenige Marken diesen Trend zunutze.