Herr Durach, Develey war diesen Winter in den Schlagzeilen, weil der Flughafen München Ihr Gurkenwasser gegen Glatteis eingesetzt hat. Wie kam es dazu?
Einer unserer Mitarbeiter aus der Verfahrenstechnik hatte den Geistesblitz: Statt Berge von Salz für den Winterdienst zu horten, könnten regionale Unternehmen und Gemeinden die Sole abholen, die als Abwasser bei uns anfällt. Wie bei einer Tankstelle.
180 Tonnen Streusalz und 1,5 Millionen Liter Wasser werden so jährlich gespart. Wie stellt man ein Klima her, in dem Leute auf solche Ideen kommen?
Wir haben versucht, eine Nachhaltigkeitskultur zu entwickeln, die nicht nur auf dem Papier steht. Eine Maßnahme war, alle Wertstoffströme im Unternehmen zu analysieren. Dabei haben wir realisiert, wie viel salzhaltiges Abwasser bei der Gurkenvergärung anfällt, und nach Wegen gesucht, es wiederzuverwenden.
Develey hat das Thema Nachhaltigkeit früh entdeckt, seit 2008 bauen Sie Ihr Unternehmen um. Was hat Sie dazu bewogen?
Meine Kinder haben Fragen gestellt, und ich fand, dass sich die Gesellschaft zu wenige Gedanken über den Klimawandel macht. Meine Angst war überdies, dass – wenn die Situation kritischer wird – CO2-Steuern erhoben werden und uns dann zur Unzeit treffen. Also habe ich gesagt, lass uns lieber vor der Welle sein als dahinter.
Und das ging wie?
Ich habe drei Ziele gesetzt: CO2-Neutralität, kein Palmöl und kein Deponiemüll. Heute, wo sich Unternehmen 20 oder mehr Nachhaltigkeitsziele setzen, mag das simpel klingen. Aber damals war es Neuland, und wir wollten eine Botschaft senden, die alle Mitarbeiter*innen verstehen.
Sie haben sich Unterstützung vom Zentrum für Nachhaltige Unternehmensführung (ZNU) der Universität Witten-Herdecke geholt.
Wir haben Roadshows veranstaltet, jede Abteilung und jeden Standort involviert: Macht mit! Das war anfangs nicht einfach. Die Buchhaltung fragte, was haben wir damit zu tun? Dabei hatte sie sieben Kaffeemaschinen in Betrieb. Ich sagte, wisst ihr eigentlich, wie viel Strom ihr verbraucht?
Sie haben auch einen fahrstuhlfreien Freitag eingeführt und Leitungswasser statt Flaschenwasser. Dabei bringt das wenig im Vergleich zu dem, was sich in der Produktion sparen lässt.
Es funktioniert doch nicht, wenn nur ein Bereich in der Verantwortung steht. Ich wollte Bewusstsein dafür schaffen, dass Nachhaltigkeit ein Mosaik ist. Die meisten Mitarbeiter*innen fanden es toll, dass sie neue Dinge ausprobieren konnten und ich sagte, jawohl, dafür geben wir Geld. Obwohl sich innovative nachhaltige Konzepte lange nicht rentieren.
Sie konnten die Kosten nicht auf die Preise umlegen?
Nein. Die Wahrheit ist, der Verbraucher findet es zwar toll, zahlt aber keinen Cent mehr – und der Handel auch nicht.
Es gibt andere Vorteile, zum Beispiel in der Promotion.
Es ist schon so, dass du die Marke anders auflädst. Die größten Vorteile haben wir beim Employer Branding. Die Leute bewerben sich bei uns, weil sie es gut finden, dass wir an die Zukunft denken.
Develey hat seine CO2-Emissionen halbiert und kompensiert den Rest. Palmöl ist seit 2016 komplett ersetzt, über 200 Tonnen Verpackung wurden bei Markenprodukten in Deutschland eingespart. Ihre Kälteanlage arbeitet mit Wärmerückgewinnung und die neue Abwasseranlage mit integrierter Biogaserzeugung…
Wir sind wir eine der wenigen Marken, die „klimaneutral“ aufs Produkt schreiben können, ohne verklagt zu werden.
Keine Greenwashing-Vorwürfe?
Nein, aber die Kompensation mit Klimazertifikaten löst bei mir zunehmend Unbehagen aus. Es haben einfach zu viele Konzerne diese Idee missbraucht und ihre CO2-Bilanz damit frisiert. Inzwischen hat die Kompensation ein so schlechtes Image, dass wir sie nicht fortsetzen werden. Ich stecke das Geld lieber in Investitionen, die der Umwelt wirklich helfen.
Heißt was?
Wir wollen auf eine grüne Null kommen. Ohne Kompensation.
Wie wollen Sie das schaffen?
Durch ein Maßnahmenbündel, zu dem die Elektrifizierung des Fuhrparks, Dampferzeugung auf Strombasis und der Einsatz natürlicher Kältemittel gehört – wir beschäftigen uns zum Beispiel mit dem Konzept von Eisspeichern. Das Wichtigste ist aber unsere Grünstrom-Initiative. Wir richten einen sogenannten Bilanzkreislauf ein, in den wir unseren eigenerzeugten Strom einspeisen, und dem auch befreundete Unternehmen beitreten können. So können wir Stromangebot und benötigte Kapazitäten flexibel einsetzen und verteilen.
Im ersten Schritt haben wir alle geeigneten Dächer mit Photovoltaik bestückt und außerdem eine eigene Firma zur Grünstromproduktion gegründet, die Sustainable Exergy. Sie errichtet derzeit in Mecklenburg-Vorpommern eine Anlage, die dreimal so viel Solarstrom erzeugen wird, wie wir bisher auf allen Dächern herstellen. Wir werden auch in Windkraft investieren. Ziel ist, an unseren deutschen Standorten bis Ende 2033 klimaneutral zu wirtschaften – echt klimaneutral.
Klingt ambitioniert.
Die Großen machen es sich leicht, setzen Ziele wie 2040 oder 2050, dann ist der CEO längst wieder weg. In einem Familienunternehmen ist es anders. Ich möchte nicht, dass mir meine Kinder eines Tages Vorwürfe machen.
Die neue Strategie bedeutet, dass Sie Ihre Produkte vorerst nicht mehr klimaneutral nennen dürfen.
Mitte des Jahres dürften die meisten Chargen mit dem Aufdruck ausgelaufen sein.
Keine Angst vor negativen Folgen?
Nein, denn das Label ist nicht der Kern unseres Marketings. Wir verwenden es erst seit drei Jahren und auch nicht bei allen Produkten. Es muss doch immer ehrlich sein.
Gibt es etwas, was Sie rückblickend anders machen würden?
Nein. Es war genau der richtige Weg.
Was können andere von Ihnen lernen?
Dass man einfach beginnt, etwas zu tun. Wir kennen heute, weil alles so komplex geworden ist, meist das Ende nicht. Deshalb ist auch der Weg das Ziel. Ein Unternehmen muss sich entscheiden: Ist Nachhaltigkeit für mich etwas, wozu mich die Vorschriften zwingen? Ein Werbeinstrument? Oder habe ich eine intrinsische Motivation?
Bei Nachhaltigkeit geht es auch ums Soziale und um gute Unternehmensführung. Wie ist das bei Ihnen?
Als Mittelständler kann man nicht alles machen. Aber es gibt einen freien Tag für Mitarbeiter*innen, die sich sozial engagieren möchten. An jedem unserer Standorte unterstützen wir die Community, speziell bei Projekten für Kinder. In Unterhaching fördern wir eine Nachwuchs-Volleyballmannschaft, in Bautzen sponsern wir einen Bus, der Kinder zum Fußballtraining bringt.
Wir lassen uns auditieren, haben an jedem Standort Nachhaltigkeitsbeauftragte, gehen bei jedem unserer Produkte in die Vorstufen hinein. Wir haben uns mit Tierwohl beschäftigt, um eifrei zu werden bei unseren Markenprodukten. Das war für unsere Entwickler*innen viel Arbeit, weil wir nicht auf Geschmack verzichten und dem Prinzip der natürlichen Zutaten treu bleiben wollten.
In wirtschaftlich schwierigen Zeiten droht das Interesse an Nachhaltigkeit zurückzugehen…
…bei uns nicht, aber insgesamt merken wir das schon. Das ist ja das Leidige, dass Konsument*innen in Umfragen ihren guten Willen bekunden und sich im Laden anders entscheiden.
Zum Schluss noch einmal zurück zum Anfang. Die Gurkensole – was passiert im Sommer mit ihr?
Ein großer Teil wird gelagert, bis sie für den Winterdienst abgerufen wird. Die Saisonalität kommt uns da zupass: Die Vergärung der Gurken beginnt nach der Ernte, die meisten Fässer werden im Winterhalbjahr geleert. Die Sole steht also genau zur richtigen Zeit bereit.