Ein Punkt, der sich sehr verändert hat, ist die Kommunikation, denn diese funktioniert heute anders. Doch die wahren kommunikativen Erfolge finden jenseits von Big Data und Algorithmen statt: Nicht Analytics und Mathematik, sondern Menschenkenntnis und Einfühlungsvermögen führen gerade in durchdigitalisierten Zeiten zum Ziel.
Frau Schüller, Ihr neues Buch „Touch.Point.Sieg.“ ist in diesen Tagen auf den Markt gekommen. Darin geht es um Kommunikation in Zeiten der digitalen Transformation. Warum ist das gerade für B2B-Anbieter wichtig?
ANNE SCHÜLLER: Das Thema Digitalisierung ist derzeit in aller Munde, deshalb trifft das Buch genau den Puls der Zeit. Wohl jeder Unternehmer hat inzwischen verstanden, dass er sein Geschäftsmodell digital erweitern muss, um die Zukunft erreichen zu können. Die erste Frage ist allerdings, wie. Und die zweite Frage ist, wie ein Anbieter seine Kunden, die längst zwischen Offline und Online pendeln, in diesen beiden Welten kommunikativ erreichen kann.
Der Einblick und Teil eins meines Buches bieten dazu eine Fülle von Material. Zudem rückt das Touchpoint Management immer mehr in den Mittelpunkt einer Kundenbeziehung. Eine Touchpoint-Analyse und das Sichtbarmachen von Customer Journeys ist in vielen Unternehmen längst Pflicht. Neueste Erkenntnisse dazu bringt Teil zwei meines Buchs. Wohin die digitale Reise geht und was im Rahmen der Kommunikation dabei zu beachten ist, darum geht es dann in Teil drei.
Wie unterscheidet sich dieses Buch von den beiden anderen Touchpoint-Büchern, die Sie geschrieben haben?
Im ersten Buch meiner Touchpoint-Trilogie, „Touchpoints“, wird der gesamte Prozess des Touchpoint Managements erstmals ausführlich beschrieben, und zwar in vier Schritten. Dies wird eingebettet in die Online- und Social-Media-Welt, die das Kaufverhalten der Kunden völlig verändert und die Machtverhältnisse zwischen Anbieter und Kunde auf den Kopf gestellt hat. Bei der Arbeit mit diesem Konzept ist mir allerdings klargeworden, dass die wahren Blockaden für einen Mangel an Kundenorientierung meistens drinnen im Unternehmen liegen.
Während nämlich draußen Online und Offline verschmelzen und alles sich mit allem vernetzt, arbeitet man drinnen in den Unternehmen weiterhin mit Strukturen aus dem letzten Jahrhundert, als wäre die Zeit stehengeblieben. So sind klassische Siloformationen und tradierte Führungsstile mit einer zukunftsfähigen Kundenzentrierung nicht vereinbar. Deshalb habe ich im zweiten Buch, „Das Touchpoint-Unternehmen“, das Touchpoint Management auf interne Prozesse übertragen. Und das funktioniert erstaunlich gut. Nicht ohne Grund spricht man ja auch von internen Kunden.
Was ist die Hauptaussage des Buches, was soll „Touch. Point. Sieg.“ dem Leser vermitteln?
Die digitale Transformation verändert unsere Business-, Lebens- und Arbeitswelt unfassbar schnell. Konnektiv, kollaborativ, disruptiv, agil, digital: So lauten die Zauberworte der Zukunft. Die kundenbezogene Kommunikation ist davon besonders betroffen. Doch am Ende, und das ist meine vielleicht wichtigste Botschaft, finden die wahren kommunikativen Erfolge jenseits von Big Data und Algorithmen statt. Nicht Analytics und Mathematik, sondern Menschenkenntnis und Einfühlungsvermögen führen gerade in durchdigitalisierten Zeiten zum Ziel.
Was waren Ihre eigenen größten Aha-Effekte beim Verfassen des Buches?
Die Digitalisierung ist, wie der Begriff Industrie 4.0 gern suggeriert, eben nicht nur eine technologische Herausforderung. Sie benötigt auch Innovationen in der Art und Weise, wie wir unsere Unternehmen managen und mit Kunden kommunizieren. Während allerdings die Old Economy weiterhin umständlich plant, endlos über Budgets debattiert und langwierige Entscheidungswege abarbeitet, rennt die Gründergeneration einfach mal los. „Welche Branche hacken wir denn diese Woche?“, so lautet der Schlachtruf der digitalen Bohème. Suchend, Fehler machend und fröhlich findend läuft sie den Etablierten einfach davon.
Längst hat sie, quasi in einer Parallelwelt, nicht nur neue Geschäftsmodelle, sondern auch neue Organisations- und Finanzierungsmodelle, geschaffen. Gegen ihr flottes Vorgehen und ihr Meistern von Bits und Bytes haben die Altvorderen kaum eine Chance. Die jungen Gründer haben zudem längst verstanden, dass sich alles um die Kunden und ihre Daten dreht. Eine Obsession für Kundenbelange nennen sie das. So sehen einer empirischen Studie zufolge bei den Start-ups 80 Prozent das Marketing als Aufgabe der Führung an, in Konzernen und im Mittelstand tun dies nur 20 Prozent. Gerade in den kleinen und mittleren Unternehmen ist der Begriff Marketing ja oft noch immer ein rotes Tuch.
Wenn Sie an eine gute Kundenbeziehung denken: Was muss sich da im Bewusstsein der Unternehmen vor allem ändern?
Unternehmen optimieren vor allem für sich selbst – aber nicht für den Kunden. Der soll sich gefälligst in die festgelegten Abläufe fügen, mit den für ihn vorbestimmten Mitarbeitern reden und seine Angaben in die dafür vorgesehenen Formulare eingeben. Manche Unternehmen sind richtig gut darin, Abläufe mühsam zu machen, ihren Kunden Zeit zu stehlen und ihnen ein schlechtes Gefühl zu geben. Früher haben die Kunden das murrend ertragen. Doch diese Zeiten sind endgültig vorbei.
Vor allem die junge Kundengeneration wartet nicht ab, bis Unternehmen zäh in die Gänge kommen. Sie haben es satt, wenn Kostensparwahn in schlechten Service umgemünzt wird. Sie werden auch nicht mehr Bittsteller sein. Wenn es klemmt, ziehen sie schleunigst von dannen. Und im Web erzählen sie gnadenlos allen, warum das so ist. Gerade im B2B verlagert sich die Vorrecherche immer mehr ins Internet. So werden Interessenten durch negative Online-Mundpropaganda schon vertrieben, bevor es überhaupt zu einem ersten Annäherungsversuch kommt.
Welche grundlegenden Veränderungen bringt der digitale Wandel in die Kommunikation? Und welche Entwicklungen erwarten Sie für die Zukunft?
Wir betreten gerade eine völlig neue Ära der Kommunikation: Wir reden mit digitalen Assistenten, die Siri oder Cortana oder Alexa heißen. Auch mit Robotern führen wir schon längst Zwiegespräche. Digitalisierte Maschinen geben uns nicht nur Informationen, sondern auch Befehle. Früher hat sich das schlechte Gewissen bei uns gemeldet, heute tun dies Selftracking-Armbänder und Apps. Maschinen reden mit Handys – und Sensoren selbständig lernend mit allem, was Sensoren hat. Zudem werden Mensch und Maschine immer mehr miteinander verschmelzen.
Selbst wenn manches, was uns die nahe Zukunft verheißt, heute noch ein wenig abwegig klingt: Genügend Leute werden es kaum abwarten können, jeden technologischen Fortschritt auszuprobieren. Aus den positiven Erfahrungen solcher Pioniere erwachsen dann neue Anforderungen an alle Player im Markt. Was menschenmöglich ist, erweitern wir, seitdem es uns Menschen gibt. Dies wird die fortschreitende Digitalisierung sogar noch verstärken.
Zuerst erschienen bei Marconomy.de