An einem Abend in diesem Sommer in Binz auf Rügen begegnete mir eine lange Schlange von wartenden Menschen – sie alle wollten einen Luftballon kaufen. Aber nicht irgendeinen Luftballon – der Verkäufer hatte sich etwas Innovatives ausgedacht: Helium-Ballons mit blinkender Beleuchtung drum herum. Ein offensichtlich attraktives Produkt, für das er pro Stück zehn Euro verlangen konnte. So attraktiv, dass die Schlange jeden Abend länger wurde und er im Laufe der Woche mit mehreren Verkäufern dort stand. Jede Woche sehen wir an jeder Ecke Werbung für neue Produkte. Insgesamt wachsen die Investitionen in Innovationen auch in Deutschland. Denn sie sind für Unternehmen ein wesentlicher Wachstumstreiber. Bei L’Óreal haben Produktinnovationen einen Anteil von 15 bis 20 Prozent an den jährlichen Verkaufszahlen. Eine Zahl, die laut Analysten für die gesamte Kategorie zutrifft. So ist es wenig verwunderlich, dass Unternehmen hohe Summen dafür ausgeben, neue Produkte zu entwickeln und zu testen – laut PwC rund 20 Billionen Dollar pro Jahr.
Nur wenig „echte“ Erfolge
Viele der Neuerungen sind dabei gar nicht so innovativ. So hat Nielsen 2015 ermittelt, dass nur 18 von 8.650 Produkt-Launches in Europa tatsächlich ein echter innovativer Durchbruch im Markt sind – das entspricht einer Quote von nur 0,2 Prozent. Die meisten Innovationen sind aus Nutzersicht nicht wirklich so aufregend, dass sie dauerhaft den Weg in unsere Köpfe und Haushalte finden.
Museum of Failure
Innovations-Bauchlandungen sind zahlreich. Laut Nielsen scheitern rund 76 Prozent der Neueinführungen. Manche so eindrucksvoll, dass sie inzwischen sogar ein eigenes Museum haben: das „Museum of Failure“ – mit Filialen in Schweden, Canada und Shanghai – und ab September auch in München. Hier kann man so ungeliebte Markeninnovationen wie das Harley-Davidson Parfum, die Lasagne von Colgate oder Coca-Cola Black mit Kaffeegeschmack bewundern. Auch der Apple Newton ist Teil der Ausstellung und ein gutes Beispiel für eine gescheiterte Innovation, die dabei gleichzeitig auch ein erster Schritt auf dem Weg zum iPhone darstellt.
Bekanntes mit dem Neuen verheiraten
In „Hitmakers“ erklärt Derek Thompson sehr anschaulich, was Hits ausmacht und wie wir besser verstehen, Menschen im Zeitalter flüchtiger Aufmerksamkeit für uns zu begeistern. Er räumt dabei mit dem Mythos der absoluten Innovation ebenso wie mit der viralen Verbreitung von Hits auf. Er zeigt auf, dass wir Menschen einerseits neophil und geradezu süchtig nach Neuem sind – andererseits aber genau so neophob und voller Furcht vor all zu neuen und fremden Dingen. Nur wer versteht, das Bekannte mit dem Neuen geschickt zu verheiraten, hat eine Chance auf Erfolg.
Distributionsplan das A und O
Was für Filme, Bücher oder Songs gilt, trifft ebenso auf die Entwicklung neuer Produkte und Services zu – wie Thompson am Beispiel Instagram aufzeigt. Und damit auch deutlich macht: für einen Innovations-Hit braucht es ein überzeugendes Produkt aber auch einen guten Distributionsplan. Im Fall von Instagram war es eben nicht nur ein einfaches, klares Produkt, das Spaß macht, sondern auch der Schachzug, vor dem Launch eine frühe Version der App mit US Tech-Größen, Journalisten oder Unternehmern wie dem Twitter-Gründer Jack Dorsey zu teilen. Nachdem diese zahlreiche Instagram-Bilder auf Twitter mit ihren eigenen Netzwerken geteilt hatten, wurde die App 2010 direkt zum Launch 25.000 Mal herunter geladen und gelangte so direkt an die App Store Spitze. Der Rest ist Geschichte.
Der Erfolg der blinkenden Ballons
Im Prinzip also genau das, was ich diesen Sommer in den Ferien beobachtet habe. Vielleicht hat der Ballonverkäufer an der Ostsee vorher Vieles probiert, bevor die Menschen für blinkende Ballons Schlange standen. Vielleicht hat er auch intuitiv Bekanntes so kombiniert, dass ein spannendes, neues Erlebnis entstanden ist. Vielleicht hatte er auch einfach Glück, dass diesen Sommer besonders viele in gute Stimmung versetzt zehn Euro für blinkende Ballons ausgegeben haben – und so ein Meer blinkender Ballons auf der Promenade entstanden ist. Die ganz analoge Influencer-Kampagne für weitere Ballon-Kunden.
Scheitern muss erlaubt sein
Tröstlich ist der Gedanke, dass es schlussendlich keine Prinzipien mit Erfolgsgarantie gibt. Das mögliche Scheitern ist immer Teil des Innovationsprozesses. Experimentieren bleibt ein wesentlicher Punkt auf dem Weg zu erfolgreichen Innovationen. Das gilt für Produkte ebenso wie für die Kommunikation drum herum. Immer wieder sind wir als Agenturen aufgefordert, überraschende, neue Lösungen zu finden. Unternehmen und Agenturen können sich also einerseits bewusst machen, was Hits heute ausmacht – sollten aber auch immer im Kopf haben, dass wir alle nur wirklich innovativ arbeiten, wenn wir auch Raum für Experimente und mögliches angstfreies Scheitern schaffen.