Von Franziska Coenen, Gründerin, Dotfly
Am Anfang jeder Reise steht der Wille, ein Ziel zu erreichen – in unserem Fall hin zu mehr Nachhaltigkeit im Büro. Diese Reise haben wir mit unserer Digitalagentur schon 2013 mit der Umstellung unserer Stromversorgung auf reinen Ökostrom angetreten. Nach und nach kamen dann weitere Bereiche hinzu: Papierverbrauch senken, keine tierischen Produkte mehr kaufen, auf Plastik verzichten, Müll korrekt trennen, konsequent Energie sparen und Geschäftsreisen nur noch per Bahn machen. Die ersten Auswirkungen ließen nicht lange auf sich warten – weniger Abfall, geringerer CO2-Ausstoß und niedrigere Kosten. Doch diese Erfolge waren uns nicht genug.
Wir haben das Instrument des Klima-Audits genutzt, um den nächsten Schritt zu gehen: eine aussagekräftige und realistische Klimabilanz erstellen, die uns zeigt, wo wir stehen und wo wir noch mehr Emissionen sparen können. Wir wollten Themenfelder identifizieren und angehen, die wir bisher noch gar nicht auf dem Schirm hatten – etwa Büromöbel, die IT-Infrastruktur oder die Internetnutzung. Und an dieser Stelle wird es für alle (Digital-)Agentur-Entscheider*innen sowie Chef*innen von Digitalunternehmen interessant. Denn: Was einfach klingt, verursacht im Laufe des Prozesses aufgrund der fehlenden Standards und Transparenz viel Kopfschmerz und Irritation.
Klimabilanzen halten nicht, was sie versprechen
Der erste Gedanke, den sich Entscheider*innen in der Digitalbranche abschminken sollten: Mit einer Klimabilanz können sie keinen Wettbewerbsvorteil für ihr Unternehmen generieren. Das kann so nicht funktionieren – zumindest noch nicht.
Das hat folgenden Grund: Agenturen und Digitalunternehmen, die sich entscheiden, ein KlimaAudit durchzuführen, werden schnell feststellen, dass Klimabilanz nicht gleich Klimabilanz ist. Das Problem: Grundsätzlich müssen nur die Emissionen aus den Scopes 1 (selbst erzeugt) und 2 (erzeugt durch Strom und Heizung) dezidiert in die Auswertungen einfließen. Der Ausstoß aus Scope 3 (alle vor- und nachgelagerten Emissionen im Wertschöpfungsprozess) muss zwar betrachtet und ausgewertet werden, aber nicht explizit in der Bilanz auftauchen. Darunter fallen etwa Abfallentsorgung, eingekaufte externe Services und Waren, Büromöbel oder Fahrtwege der Mitarbeiter*innen – also die wesentlichen CO2-Kostentreiber im Büro. Letztlich können Digitalunternehmen und Agenturen selbst entscheiden, was sie aus diesem Bereich beziffern. So entsteht keine Vergleichbarkeit, sondern nur Intransparenz – zum Nachteil der gesamten Branche.
Vergessene CO2-Treiber
Gerade in der Digitalbranche vergessen wir gerne, dass alles, was wir tun, CO2 geradezu ausspuckt. Sehen wir uns etwa den Kohlendioxidausstoß des Kern-Tools unserer Branche an: die Internetnutzung der Mitarbeiter*innen. Das ist der Schadstofftreiber schlechthin. Bereits eine Minute im Netz produziert 0,005 Kilogramm CO2 (also 0,30 Kilogramm pro Stunde) – inklusive der indirekten Emissionen durch externe Plattformen und Clouddienste sowie der notwendigen Rechenzentren.
Funfact: Geht man nun von durchschnittlich 130 Arbeitsstunden pro Mitarbeiter*in und Monat über ein Jahr aus, ergibt sich folgende Formel: 130*12*0,005*60 = 468 Kilogramm CO2 pro Mitarbeiter*in pro Jahr – wohlgemerkt nur durch die notwendige Arbeit im Netz. Da kommt bei einem Unternehmen mit 40 Angestellten schon einiges zusammen, was voll in die Bilanz einschlägt. Kein Wunder, dass einige Entscheider*innen eher auf diese Zahlen in ihrer Bilanz verzichten – dürfen sie ja auch. Nur: So entsteht kein Wettbewerbsvorteil, sondern die Klimabilanz verkommt zum „grüngewaschenen Marketinggimmick“.
Ein weiterer Aspekt, der in aktuellen Audits nur schwer zu beziffern ist: die Auswirkungen der verstärkten Homeoffice-Nutzung durch die Mitarbeiter*innen im Zuge der Corona-Pandemie. Um sie realistisch einschätzen zu können, müssten Arbeitgeber*innen jede*n Mitarbeiter*in befragen, ob er oder sie zu Hause Ökostrom bezieht, welche privaten Geräte für die Arbeit verwendet werden und so weiter. Ein zusätzlicher Aufwand, der Zeit und Ressourcen frisst – und zudem Fragen aufwirft, wie ein Unternehmen damit umgehen sollte, wenn herkömmliche Energieträger oder alte Geräte im heimischen Büro zum Einsatz kommen. Am Ende fallen auch diese Emissionen meist aus den Bilanzen heraus und verfälschen die Ergebnisse.
Fazit
Und dennoch: Eine offizielle, aussagekräftige und ehrliche Klimabilanz ist mehr als reine Imagepflege oder Differenzierungsmerkmal – sie ist eine bewusste Entscheidung zu mehr Transparenz, Vergleichbarkeit und vor allem Klimaschutz in der gesamten Branche. Sie ist ein essenzielles Tool, um zu lernen, wo man konkret CO2 einsparen kann. Zudem unterstützt eine offizielle Bilanz dabei, die Sinne der Mitarbeiter*innen für das Thema Klimaschutz zu schärfen und sie auf die Reise mitzunehmen – auch im privaten Umfeld.
Die Klimabilanz ist somit der einzig richtige Weg, um als Digitalunternehmen oder Agentur Verantwortung zu übernehmen, und eine Basis dafür, eine lebenswerte Welt für unsere Zukunft zu schaffen. Daher sollten sich Agenturköpfe nicht davon abbringen lassen und einfach loslegen. Es geht um unsere Zukunft – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Unsere Gastautorin Franziska Coenen ist Gründerin und geschäftsführende Gesellschafterin der Kölner Digitalagentur Dotfly. Mit ihrem 40-köpfigen Team aus Strateg*innen, Designer*innen und Entwickler*innen berät und betreut sie Unternehmen und Marken in allen Bereichen der digitalen Kommunikation.
Der Gastbeitrag erschien zuerst in der Januar-Printausgabe der absatzwirtschaft.