Von Gastautor Thomas Schmoll
Ein Bier trinkender Punk, der sich auffällig häufig in den Schritt fasst, ermahnt drei Fahrradfahrer, als „positives Vorbild“ Helme zu tragen. Ein junger Mann fordert eine ältere Dame auf: „Können Sie sich mal was anderes anziehen. Mir ist heute nicht nach rot.“ Ein Bösewicht, vor ihm ein Paar auf einer Bank, sagt betont laut: „Bronco, ihr habt doch nicht etwa einen Smart geklaut? Wir sind zu viert und haben die Beute dabei.“ Ein Blinder möchte „Birnen“ kaufen, „fünf mit 40 Watt und fünf andere mit 60 Watt“. Die Verkäuferin: „Wir sind ein Obstladen.“ Der Blinde: „Obst kann ich in meine Fassungen nicht reinschrauben. Sie sind witzig.“ Ein Anzugträger verkündet vier jungen Leuten: „Ich habe mir euch gerade nackt vorgestellt. Ging aber. War okay.“
Spots mit Fremdschäm-Charakter
Hinter den Figuren steckt jeweils der Street Comedian Simon Gosejohann. Er quatscht wahllos Passanten an oder setzt sich neben Café-Besucher, erzählt etwas vom Pferd, so dass sie es hören (müssen) und bindet die Ahnungslosen, die mit versteckter Kamera gefilmt werden, auf diese Weise in seine Sketche ein. Manche nennen es Humor, andere sprechen von „Leute verarschen“. Fast immer haben die Spots einen mehr oder weniger starken Fremdschämfaktor. Gosejohann hat es bei ProSieben zu einiger Berühmtheit gebracht. Der Komiker Dieter Nuhr hat 490.000 Facebook-Fans, Gosejohann mehr als 560.000.
Ganz sicher: Der Street Comedian taugt zum Testimonial
Vor ein paar Wochen startete der Mobilfunk-Discounter Klarmobil.de, eine Tochter von Mobilcom-Debitel, die wiederum zum Freenet-Konzern gehört, eine Kampagne mit dem 39-Jährigen. Sie setzt auf die Masche, mit der er bekannt wurde. Ein Beispiel: Gosejohann fragt einen tätowierten Muskelprotz, ob er einmal sein Handy ansehen dürfe, bekommt es – und rennt davon. „Ist bei Ihnen auch öfters mal das Netz weg?“, fragt eine Frauenstimme: „Dann sofort wechseln.“ Am Ende des Spots befindet sich Gosejohann im Schwitzkasten seines „Opfers“ und sagt: „Jetzt auf Klarmobil.de.“
Dass in der Werbung geflunkert wird, ist eine Binsenweisheit. Die Frage aber ist: Wie ist es, wenn ein auf Spontaneität und Authentizität setzender Komiker und die für die Spots verantwortliche Firma, hier die renommierte Hamburger Agentur VSF&P, plötzlich versuchen, ein Spagat zwischen Fake und Ehrlichkeit hinzubekommen. Gerade bei der Muskelprotz-Werbung entsteht rasch ein Gefühl der Inszenierung. Kann das nach hinten losgehen? Ist der Zuschauer dann gar eher enttäuscht, wenn er spürt, dass hier was nicht stimmt? Lenkt das von der Werbebotschaft ab? Branded Content Marketing schön und gut. Aber so?
Kritik ab Klarmobil-Spot
Zumal Gosejohann dem Fachmagazin Horizont gesagt hat: „Für mich steht Klarmobil.de für transparente, einfache und ehrliche Angebote.“ Warum hat er sie dann gefaket? Die Werbung sei beliebt und habe ihr Publikum. „Da bin ich sicher der Türöffner. Das Angebot im Spot wird vom Konsumenten gesondert unter die Lupe genommen. Die Frage, ob die Spots gestellt, gefaket oder eben doch echt sind, ist in dem Moment, wo sie gut ankommen und den Zuschauer unterhalten, obsolet“, so Gosejohann.
Sven Henkel, Leiter des Lehrstuhls für Käuferverhalten und Verkauf an der privaten Universität für Recht und Wirtschaft in Wiesbaden, betrachtet die Kampagne äußert kritisch – auch mit Blick auf Klarmobil.de, aber vor allem in Bezug auf das Testimonial. Der Professor spricht von einem „Riesenfehler“, den Gosejohann begangen habe. Henkel sieht das Risiko, dass „ein Comedian seine hochgeschätzte Unabhängigkeit nicht nur aufs Spiel setzt, sondern komplett verbrennt und damit zu stark vom Produkt ablenkt.“ Obendrein sei die Botschaft der Werbung zu kompliziert. „Vier Infos in 30 Sekunden sind zu viel.“
Mix zwischen Echtheit und Inszenierung
Auf Facebook bekommt Gosejohann eine Menge Lob. „Super gemacht. Passt zu dir“, heißt es da. Oder auch: „Megagut! Jetzt wechsle ich aber wirklich!“ Nun zu sagen, die Leute, die solche Sachen schrieben, seien schließlich seine Fans, greift zu kurz. Gerade im Internet werden auch „Lieblinge“ in Grund und Boden geschrieben, wenn sie nach Meinung ihrer „Freunde“ daneben gegriffen haben. Auch Gosejohann hat solche Erfahrung gemacht: „Ist nicht so, dass ich eine unmündige Community hätte, da gibt’s regelmäßig verbal hart auf die Fresse“, berichtet er auf Anfrage. Kritische Stimmen sind selten. „Ich schäme mich für dich, Simon. Du warst mal spitze, doch jetzt bist du einfach nur noch ganz tief unten angekommen.“ Und ein User auf Facebook rät: „Wenn du Geld brauchst, geh doch direkt zum Dschungelcamp.“ Gosejohann: „In erster Linie werden die Clips abgefeiert“, erklärt er auf Anfrage. Er sei positiv überrascht, dass die Spots bei Facebook als Unterhaltungsform akzeptiert würden. „In der Statuszeile habe ich deutlich hingewiesen, dass es sich um Werbung handelt, und das will ich auch so beibehalten.“
Nach Angaben von Daniel Lehmann, Etatdirektor bei VSF&P, handelt es sich bei den Spots der Kampagne um einen Mix mit „echten Passanten“ und „inszenierten Szenen“. Welche Fake sind und welche nicht, will er nicht verraten. Auf die Frage, ob er glaubt, seinem Image und seiner Glaubwürdigkeit zu schaden, antwortet Gosejohann: Die Kampagne „spielt natürlich mit der Erwartungshaltung an meine Person. Aber wir haben offen gedreht und nicht versteckt und ich habe ein unverkennbar leuchtend oranges Mikrophon in der Hand. Es ist sicher ähnlich, aber schlussendlich ein eigenes Konzept.“
Guerilla Marketing mit Gosejohann
Professor Henkel ist skeptisch. Gosejohann stehe für Rebellion, sagt der Wissenschaftler. Das passe durchaus zu Guerilla Marketing. „Aber wenn es wie hier zu explizit in das Produkt eingebracht wird, erweckt es beim Zuschauer negative Assoziationen. Der Fan ist enttäuscht: Was soll das denn?! Ihr macht mir mein Format kaputt! Jetzt haben die auch noch den Simon gekauft!“ Der Wert eines Testimonials geht auf diese Weise schnell zurück. „Gosejohann schadet sich mehr, als es Klarmobil nutzt.“ Henkel erinnert an den früheren Dortmund Trainer Jürgen Klopp. „Der hat einfach zu viel des Guten getan.“