Halb Deutschland und ganz Mediendeutschland war vergangene Woche völlig aus dem Häuschen. Warum? Weil Fußballnationalspielerin Manuela Leupolz zur WM in Australien ihren knapp einjährigen Sohn mitgenommen hat. Das eigentlich Erstaunliche daran: Selbst im Jahr 2023 setzt Frau mit einem simplen „Mutti nimmt Baby mit auf längere Dienstreise“ noch immer ein berichtenswertes und feierwertes Zeichen für Modernität und Gleichberechtigung am Arbeitsplatz. Ich dachte ehrlicherweise: Wir alle wären in diesem Punkt schon deutlich weiter.
Aber sei’s drum. Ein deutliches Stück weiter ist jetzt auf jeden Fall Otto. Bei dem Versandriesen sind ab sofort alle Führungspositionen auch in Teilzeit möglich. Der „neue Standard“, so Otto, gelte für alle Direktor*innen sowie Bereichs- und Abteilungsleitungen. Allerdings: Das Ziel ist nicht etwa der Ausbau von Job Share-Möglichkeiten auf Leitungsebene, sondern eine Erhöhung der Frauenquote. Denn Otto schreibt die Führungspositionen „in vollzeitnaher Teilzeit“ aus, womit der Konzern „80 Prozent oder mehr“ meint.
Katy Roewer, als Otto-Bereichsvorständin Service und Personal selbst in 80 Prozent tätig, sagt: „Ein Job mit Führungsverantwortung ist auch intensiv, weshalb das Minimum von 80 Prozent der vollen Arbeitszeit die Basis geworden ist.“ Aktuell arbeite jede fünfte Otto-Führungskraft in Teilzeit, der Großteil davon Frauen. Ich würde sagen: Da ginge doch noch mehr beziehungsweise weniger. Also beispielsweise Führungstandems in echter 50:50-Teilzeit.
GWA sieht Match bei Nachwuchswünschen
Derweil bemüht sich der GWA weiter um Nachwuchskräfte für seine Agenturmitglieder. Doch auch hier ginge sicher noch mehr. Unter der nicht gerade awardverdächtigen Headline „Wünsche an den Job passen in hohem Maße zum Angebot von Agenturen als Arbeitgeber“, veröffentlicht der GWA gerade die Ergebnisse einer Umfrage unter 1000 jungen Menschen. Und die wollen im Job vor allem – wenig überraschend – „Gutes Gehalt und Karrierechancen“ (68,7 Prozent), „eigenverantwortliches Arbeiten“ (48,7 Prozent), „lockere Arbeitsatmosphäre“ (45,8 Prozent), „Flexibilität mit Blick auf Arbeitszeiten und -ort“ (43,5 Prozent) sowie „ein kreatives und inspirierendes Umfeld“ (21,3 Prozent). Für Jan-Philipp Jahn, Vorstandsmitglied im GWA, offenbar ein klares Match: „Unser Angebot passt zu den Wünschen und Ansprüchen einer neuen Generation von Arbeitnehmenden. Agenturen bieten Flexibilität und generell attraktive Arbeitsbedingungen. Das ist genau das, was sich die Gen Z wünscht.“
Woran es allerdings fehle, so das weitere Umfragefazit des GWA, seien konkrete Kenntnisse junger Menschen über die Arbeitsbedingungen in Agenturen und ergo bessere Aufklärungsarbeit. Deshalb an dieser Stelle ein kleiner, wenn auch natürlich völlig unmaßgeblicher Tipp, was dem GWA helfen könnte: Junge Leute nicht zum gefühlt hundertsten Mal nach ihren Jobwünschen fragen, um zum tausendsten Mal die gleichen Antworten zu bekommen, die bereits Millionen Studien zuvor herausgefunden haben. Sondern alle GWA-Mitglieder fragen, was Einsteiger*innen bei ihnen konkret verdienen, wie die Aufstiegschancen konkret aussehen, wie eigenverantwortliches und flexibles Arbeiten konkret umgesetzt wird, wie viele Wochenstunden in den Agenturen konkret gearbeitet wird, wieviel Urlaubstage die Mitarbeitenden haben und so weiter.
Ich denke, Sie haben das Prinzip verstanden. Knackig aufbereitete und vor allem aktuelle Ergebnisse dieser Umfrage würden jungen Leute klare Entscheidungshilfen statt netter Zitate an die Hand geben, und den Agenturen klare Argumentationshilfen – ein tatsächliches Match natürlich vorausgesetzt.
Heumann trommelt ein letztes Mal
Sehr lesenswert in diesem Kontext ist ein Interview, das die scheidende Thjnk-Vorstandsvorsitzende Karen Heumann vergangene Woche der „Zeit“ gegeben hat. Die selbsternannte „Vollblut-Werberin“ bekennt darin zwar: „Andere Branchen gelten heute als hotter“. Das Wort „Werbebranche“ löse bei vielen kein “Wow” mehr aus. Dann aber tut Heumann vermutlich mehr für die Nachwuchsförderung der Agenturen als ein Dutzend Umfragen.
Mit ihren so klugen wie reflektierten, sympathischen und auch selbstkritischen Sätzen zeichnet Heumann ein modernes und waches Bild der Werbebranche und macht damit zum Abschied aus dem operativen Business nochmal genau das, was sie am besten kann: Die Werbetrommel aufs Feinste schwingen – diesmal für die eigene Zunft. Heumann setzt in dem Interview nicht auf beschriebene Agenturkultur, sondern auf vorgelebte Agenturkultur.
Homeoffice senkt Kreativität und Immobilienpreise
Was eine ziemlich schiefe Zwischenüberschrift ist, scheint dennoch den Tatsachen zu entsprechen. Homeoffice ist weder der Kreativität noch den Immobilienpreisen zuträglich. Ersteres haben die zwei US-Forscher Melanie Brucks und Jonathan Levav in einer Studie herausgefunden: Danach sinkt die Kreativität in Videokonferenzen um rund 15 Prozent im Vergleich zu echten Begegnungen unter Kolleginnen und Kollegen. Kognitive Prozesse, die bei Menschen für Ideenfindung und das berühmte „über den Tellerrand schauen“ verantwortlich sind, werden demnach virtuell ein gutes Stückchen lahmgelegt oder zumindest nicht sonderlich befeuert. Und nun kommt auch noch McKinsey mit einer neuen Untersuchung, die weltweit einen Preisverfall für Büroflächen bis 2023 prognostiziert. Je nach Lage um bis 22 Prozent. Insgesamt sollen durch Homeoffice Bürowerte von 800 Milliarden US-Dollar vernichtet werden.
Beide Studien zusammen zeigen also eine echte Lose-Lose-Situation – zumindest aus Sicht von Arbeitgebenden und Immobilienbesitzer*innen. Wobei sinkende Kreativität und kognitives Schummerlicht im Homeoffice auch den meisten Arbeitnehmenden auf lange Sicht nicht egal sein dürften.
In diesem Sinne: Eine möglichst kreative Woche und bleiben Sie gut drauf!