KI-Washing: Wenn die KI gar nicht intelligent ist 

Immer mehr Firmen preschen mit Künstlicher Intelligenz auf den Markt – oder behaupten das wenigstens von sich. Doch nicht immer steckt hinter einer KI wirklich Intelligenz.
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Nicht hinter jeder kommunizierten KI steckt auch eine echte KI. (© Unsplash)

Quasi täglich werden neue Tools auf den Markt geworfen, die unterschiedlichste Zwecke erfüllen oder zumindest vorgeben, das zu tun. Kein Wunder also, dass es bei Vielen aktuell zu den regelmäßigen Tätigkeiten gehört, eine neue KI auszuprobieren. Was aber, wenn man der KI Prompts per E-Mail schicken muss und die Antwort mitunter erst nach zwanzig Minuten kommt? 

Abgesehen davon, dass ein solches Tool wenig userfreundlich ist, dürfte dieses Vorgehen auch die Skepsis befeuern, ob ein solches Programm tatsächlich eine Künstliche Intelligenz ist. 

Dieses Beispiel ist nicht ausgedacht: Schon vor Jahren feierte die Medizin-KI Zach in Neuseeland große Erfolge. Sie sorgte nicht nur für die digitale Verwaltung von Patientendaten, sondern stellte auch – mitunter falsche – Diagnosen. Erst die neuseeländische Regierung fand 2019 in einer Untersuchung heraus: Die Zach-Gründer Albi und David Whale, ein Vater-Sohn-Duo, hatten gar keine Künstliche Intelligenz erschaffen. Die Intelligenz war rein menschlicher Natur. Das erklärt auch, warum die Antworten teils so lange brauchten. Auf einen Wert von 500 Millionen Neuseelanddollar (umgerechnet mehr als 275 Millionen Euro) schätzen die Besitzer ihr Unternehmen zeitweise. Schon damals steckte finanzielles Potenzial im Thema KI. 

Wie finde ich heraus, ob eine KI den Namen zurecht trägt? 

Das Extrembeispiel Zach zeigt: Es ist nicht ganz leicht, herauszufinden, ob eine KI wirklich diesen Namen verdient. Bei Zach wurden Personen, die kritisch zum Thema recherchierten, gleich als Verschwörungstheoretiker diffamiert. Obwohl der Fake hier verhältnismäßig offensichtlich war. 

Doch unter die Motorhaube der KIs zu schauen, ist meist gar nicht möglich. Ob also eine KI zum Einsatz kommt, ist von außen oft gar nicht zu bewerten. Häufig braucht es Insiderwissen, wie bei der indischen Plattform zur App-Entwicklung enigneer.ai (mittlerweile Builder.ai). 30 Millionen Dollar Finanzierung hat die Firma erhalten. Laut Berichten von verschiedenen Insidern setzt die Firma aber primär auf menschliche Intelligenz – und nutzt das Label KI vor allem als Marketinginstrument. Sie wurde deswegen sogar von einem eigenen Vorstandsmitglied verklagt. Er sagte, man verspreche Investoren, dass 80 Prozent der Entwicklung mit KI passiere. Dabei hätte man gerade erst mit der Produktentwicklung begonnen. Letztlich nachgewiesen ist der Mangel an Künstlicher Intelligenz nicht. Eben weil die Software nicht transparent untersucht wurde. 

Dieses Phänomen nennt sich KI-Washing. Nach Green und Pink Washing wird nun also auch die KI für das gute Image genutzt – vor allem aber, um ein Produkt oder eine Dienstleistung besser und teurer zu verkaufen. 

Coca-Cola: Schlaue Statistik, die keine KI braucht 

Coca-Cola wirbt beispielsweise wiederholt mit Künstlicher Intelligenz – obwohl das Produkt auch ohne KI bestens funktionieren würde. Schon 2020 warb die Firma zum Beispiel mit einer neuen Getränkesorte. Sie wertete dazu Daten der Automaten aus, an denen sich Kund*innen ihre Getränke selbst mischen und mit Sirupsorten anreichern können. Am beliebtesten war dabei offenbar eine Mischung aus Sprite und Cherry Cola. 

Aus Sicht von Nick Gehrke braucht es für einen solchen Fall nicht unbedingt eine KI, sondern schlicht die Auswertung von Daten. Gehrke ist Professor für Wirtschaftsinformatik und Mitgründer der Unternehmensberatung Zapliance. Er sagt, dass sich Unternehmen beim Einsatz von KI primär fragen sollten, ob ein Produkt über die Zeit anpassbar sein soll. Also: Ob sich aus einer neuen Datenlage ein Anpassungsbedarf ergibt. „Ist das bei der Anpassung einer Cola-Rezeptur der Fall? Da schießt man aus meiner Sicht eher mit Kanonen auf Spatzen. Dafür braucht es nur eine Statistikauswertung. Das geht auch ohne KI.” 

„Der Titel KI verkauft sich gut” 

Gerade bei der Vermarktung von Consumer-Produkten sieht Gehrke immer häufiger die Behauptung von KI-Ansätzen, obwohl in Wahrheit keine KI dahinterstehe: „Der Titel KI verkauft sich gut”, sagt er. Dabei handele es sich letztlich eher um clevere Statistik. 

Doch für Unternehmen ist der Begriff schon allein deshalb relevant, weil das Suchinteresse in den vergangenen Jahren explodiert ist. Besonders seitdem im November 2022 ChatGPT in die breite Bevölkerung geschwappt ist. Von November 2021 bis zum vorzeitigen Höhepunkt im Juni 2024 haben sich die monatlichen Google-Anfragen zum Thema KI in Deutschland mehr als versiebenfacht. Beim Begriff AI ist der Effekt sogar noch extremer. 

Bereits 2019 zeigte eine Studie der Venture Capital-Firma MMC, dass von 2830 vermeintlichen europäischen KI-Start-ups nur etwa die Hälfte wirklich auf KI setzen. Bis zu 50 Prozent mehr Finanzierung durften diese Start-ups erwarten. Warum man sich als KI-Unternehmen vermarktet, ist also klar. Dass sich KI auch auf den Verkauf von Produkten positiv auswirkt, dürfte naheliegend sein. Belege dafür sind aktuell aber nur schwerlich zu finden. 

Dass KI de facto Nutzen stiften kann, ist unumstritten. Umso kritischer ist es, wenn Firmen mit falschen KI-Versprechen das Vertrauen in die Technologie untergraben. Denn das könnte am Ende dazu führen, dass Menschen der Technologie nicht mehr zutrauen, ein Problem zu lösen, auf dessen Lösung die Menschheit dringend wartet. Zum Beispiel in der Medizin. KI-Washing kann also auch nachhaltige negative Folgen haben. 

(fms, Jahrgang 1993) ist UX-Berater, Medien- und Wirtschaftsjournalist und Medien-Junkie. Er arbeitet als Content-Stratege für den Public Sector bei der Digitalagentur Digitas. Als freier Autor schreibt er über Medien und Marken und sehr unregelmäßig auch in seinem Blog weicher-tobak.de. Er hat Wirtschafts- und Technikjournalismus studiert, seinen dualen Bachelor im Verlag der F.A.Z. absolviert und seit mindestens 2011 keine 20-Uhr-Tagesschau verpasst.