Haben Sie gestern vielleicht auch die Wochenendausgabe des Handelsblatts gelesen, in dem die Redaktion 80 Seiten ausschließlich Künstlicher Intelligenz widmete? Darin wird eine Studie des Fraunhofer-Institut für Arbeitsforschung und Organisation (IAO) Stuttgart zitiert, die 50 Berufe hinsichtlich Veränderungsgrad und Wachstumspotential in Zeiten von KI einordnet. Danach unterliegen etwa Redakteur*innen und Übersetzer*innen, aber auch Ärzt*innen und Architekt*innen dank KI einem besonders hohen Veränderungsdruck bei gleichzeitig geringem Wachstumspotenzial, wohingegen Grafikdesigner*innen, Marketingexperten und Recruiter zwar auch einen hohen Veränderungsdruck haben, aber immerhin ein besseres Wachstumspotential.
Doch bevor Sie sich jetzt zum Grafikdesigner oder Marketingexperten umschulen lassen: Forschungsleiter Martin Braun betont, dass Prognosen in diesem „hochdynamischen Feld grundsätzlich unsicher“ seien.
Recruiting hat höchste Priorität
Als ziemlich sicher jedoch dürfte – zumindest noch für einige Jahre – die Zukunft der Recruiter gelten. Denn diese IAO-Prognose deckt sich mit der neuen Berufsfeldstudie, die der Bundesverband Personalmanager (BPM) jetzt in Berlin vorgestellt hat. Danach liegt das Thema Recruiting zum ersten Mal seit 2017 wieder auf Platz 1 der HR-Prioritätenliste. Auf Platz 2 folgt Digitalisierung. Auch Talent Management/Personalentwicklung und Employer Branding werden den HR-Experten immer wichtiger. Interessanterweise oder wahlweise auch besorgniserregenderweise deutlich abgerutscht sind hingegen seit der letzten Umfrage – und damit erstmals seit Ende der Pandemie – die Themen Interne Kommunikation, Gesundheitsmanagement und Arbeitsorganisation/New Work.
Leider nicht explizit abgefragt wurde in der BPM-Studie der Einsatz von Künstlicher Intelligenz, obwohl KI natürlich auch im HR-Management für massive Umwälzungen sorgt – ob bei Prozessoptimierung, Datenanalyse, Skillmanagement oder Fair Payment.
Bewerber*innen nutzen KI
Dazu passt eine Nachricht aus Österreich: Die dort ansässige Job-Plattform Hokify hat bei einer Umfrage unter 1000 Bewerber*innen herausgefunden, dass bereits 40 Prozent KI-Angebote für die Erstellung von Bewerbungsunterlagen nutzen. 50 Prozent sind zudem davon überzeugt, dass Künstliche Intelligenz bessere Bewerbungsmaterialien erstellen kann als sie selbst. Bleibt nur die Frage, wie lange diese Materialen überhaupt noch gebraucht werden. Die Deutsche Bahn etwa hat – wie wir jüngst berichteten – die lästigen Anschreiben schonmal abgeschafft.
Mit wachsendem War for talents und Ausbau von Quick Recruiting und Speed Hiring dürften künftig weitere traditionelle Festungen des Bewerbungsprozesses fallen. Einfach einen Lebenslauf hochladen, wie etwa bei LinkedIn schon lange möglich, wird für viele Jobs bald reichen. Und dann wird vermutlich auch die eine oder andere Bewerber-KI bald überflüssig werden. Zuvor schon wegrationalisierte Redakteur*innen nennen das dann womöglich ausgleichende Gerechtigkeit.
Interessant ist die Meinung von Jürgen Geuter zu KI in der Arbeitswelt. Geuter ist Informatiker und als Speaker und Blogger auch unter dem Namen „tante“ bekannt. „Künstliche Intelligenz wie ChatGPT führt in der Arbeitswelt zu Deskilling“, sagt Geuter vor ein paar Tagen auf dem Personalmanagementkongress (PBM) 2023. Selbst für heute noch so heiß umworbene Berufsbilder wie Informatiker*innen würden künftig Anforderungen, Wertigkeit und Gehälter sinken. „KI ersetzt Menschen nicht“, glaubt Geuter. Doch KI brauche Menschen bald vor allem dafür, den ganzen Spam und Bias, der durch ChatGPT und Co. in die Welt geschickt würde, wieder herauszufiltern: „Die Spam-Dichte nimmt durch KI zu, die Informationsdichte aber nimmt ab.“
Bei Diversität noch immer viel Luft nach oben
Zum Schluss noch ein harter Cut: Vergangene Woche hat der GWA seine neue Diversitäts-Studie vorgelegt. Mit gemischten Ergebnissen. So hat sich bei den Mitgliedsagenturen des GWA der Frauenanteil in Führungspositionen seit 2021 verdoppelt – auf jetzt 44 Prozent. Beim Gehalt aber klafft noch immer eine Lücke zwischen Männern und Frauen von aktuell 7,7 Prozent. An dieser Stelle sei ausnahmsweise – weil es einfach so wunderbar passt – ein Hinweis auf ein Interview erlaubt, das ich kürzlich nicht für diese Kolumne in der absatzwirtschaft, sondern für den Wettbewerber Horizont geführt habe. Darin erklärt Prof. Claus Vormann, HR-Experte an der Fachhochschule Dortmund: „Damit Frauen künftig genauso viel verdienen wie Männer, werden in der nächsten Zeit wohl vor allem die Gehälter von Männern eingefroren. Macht man das lange genug, gleicht sich das Gender Pay Gap aus, ohne dass es die Unternehmen viel Geld kostet.“
In diesem Sinne: Eine möglichst ausdauernde Woche und bleiben Sie gut drauf!