Es sind die kleinen Dinge, die Menschen mit Handicap den Alltag erschweren: eine Treppe, schwer erreichbare Schalter sowie Türen, die sich nicht automatisch öffnen. All das sind Beispiele, die nicht zuletzt auch den öffentlichen Raum betreffen. Dabei sollte doch gerade dieser darauf ausgerichtet sein, den Bedürfnissen aller Menschen gerecht zu werden – als Basis urbanen Lebens. Wie schwer wir es Menschen mit (körperlichen) Einschränkungen machen, kann man in unzähligen Berichten, Foreneinträgen und Bewegtbildbeiträgen nachlesen bzw. Nachsehen.
Die schlimmste aller Barrieren ist jedoch die im Kopf, wo physische Hindernisse in der Regel ihren Ursprung haben. Wir sind nicht gewillt, uns in andere hineinzudenken, dabei kann uns ein (vorübergehendes) Handicap selbst schneller ereilen, als wir denken. Und damit meine ich keine schicksalhaften Einschläge, sondern fast schon „banale“ Dinge wie ein eingegipster Arm oder Fuß, eine Ohrinfektion, vorübergehend eingeschränkte Sehfähigkeit. Die Spitze aller Banalität: das Schieben eines Kinderwagens. Und plötzlich bekommen wir sehr schnell ein Gefühl dafür, wo sich Hindernisse auftun und uns einschränken.
KI vs. Unconscious Bias
Erkennen ist das eine, aber wie baut man eine Brücke zu konkreten Lösungen? Der Bereich UX macht es uns beispielhaft vor: „Inclusive Design“ ist das Gebot der Stunde. Hier geht es darum, die gesamte Bandbreite menschlicher Verschiedenheiten wie zum Beispiel Alter, Klasse, Hautfarbe, Geschlecht, Bildung, Herkunft sowie alle Formen von Behinderung zu berücksichtigen. Zielbild ist das Zusammenführen all dieser Aspekte in einem zentralen Produktdesign und nicht nach jeweiliger Bedarfslage in viele einzelne Konzepte aufzuteilen. Ein entsprechend geplanter Bahnhof kann dann Treppen für Jugendliche, Rolltreppen für ältere Menschen und Aufzüge für Rollstuhlfahrer anbieten. Das Hauptmotiv ist klar: Niemand wird ausgeschlossen. Mehr noch: Dieser Ansatz bringt Menschen, auf die obige Parameter zutreffen, an einen Tisch. Er zwingt die Beteiligten einander zuzuhören und eigene Barrieren im Kopf abzubauen („So habe ich das noch nie betrachtet“).
Mit diesem Mindset wiederum eine KI zu trainieren, stelle ich mir spannend vor, denn wir alle wissen: Unconscious Bias entstehen durch falsche Annahmen, vorgefertigte Meinungen und fehlende Informationen. Die Folge können gravierende Schäden nach sich ziehen: Smarte Recruiting-Software sortiert offensichtlich behinderte Bewerber*innen aus, selbstfahrende Fahrzeuge deuten körperliche Einschränken ihrer Fahrer*innen falsch und leiten ungewünschte Manöver ein. „Inclusice AI-Design“ ist also das, was wir brauchen – damit KI nicht zum Handicap wird.
Isabelle Ewald ist Senior Consultant Technology Strategy beim Handels- und Dienstleistungskonzern Otto Group. Überdies ist sie Co-Host des dreiwöchentlich erscheinenden True-Crime-Podcast „Mind the Tech“, der sich um den Tatort Internet dreht.