Herr Johannsen, in welcher Weise setzt Otto KI bereits ein?
Für Otto als größten deutschen Onlineshop ist die Arbeit mit Daten essenziell. Deshalb beschäftigen sich bei uns nicht erst seit ChatGPT und Co. über 100 Expert*innen mit der Entwicklung von KI-Produkten. Konkret sind heute bereits mehr als 40 KI-Produkte aktiv in unseren Prozessen im Einsatz und erstellen wöchentlich mehr als 30 Milliarden Einzelprognosen, wie etwa Absatzprognosen.
Um zwei Beispiele zu nennen: Wir nutzen KI heute schon für die semantische Suche. In Ergänzung zu unserer klassischen Keyword-basierten Suchtechnologie, „versteht“ die semantische Suche praktisch, was die Nutzer*innen wollen und lernt aus dem User-Verhalten: Wenn eine Kundin beispielsweise „Jogging-Schuhe“ eingibt, weiß die Search Engine, dass Menschen, die auch „Running Schuhe“ oder „Laufschuhe“ gesucht haben, ein bestimmtes Produkt kauften. Dieser Artikel wird entsprechend mit ausgespielt. Die Klickraten auf „ähnliche Artikel“ haben sich dadurch teilweise um bis zu 50 Prozent erhöht. Kund*innen finden also viel gezielter und schneller zum gewünschten Produkt.
Ein zweites Beispiel für unseren Einsatz generativer KI ist der KI-Assistent, den wir im August in unserem Shop getestet haben und jetzt weiterentwickeln: In einem Testlauf konnten Kund*innen einem KI-Assistenten auf der Artikeldetailseite Fragen zum Produkt stellen. Mittels generativer Künstlicher Intelligenz und einem Sprachmodell von Google Cloud hat der KI-Assistent auf Basis der Produktbewertungen, Produktbeschreibung und dem Produkttitel eine Antwort auf die Fragen generiert. Wir wollten damit herausfinden, ob und wie unsere Kund*innen generative KI nutzen und wie hilfreich diese Anwendung für den Kaufprozess ist. Wir folgen also einem klaren Test-and-Learn-Ansatz.
Haben Sie vor, Ihren Mitarbeitenden ethische Leitlinien zum Einsatz von generativer KI an die Hand zu gegeben oder gibt es schon welche?
Schon heute geben wir unseren Mitarbeitenden Guidelines zum Umgang mit KI im Allgemeinen und zum Umgang mit ChatGPT im Speziellen an die Hand. Besonders wichtig ist uns eine Kennzeichnungspflicht, sollten große Teile von Inhalten, zum Beispiel Texte oder Bildmaterialien, durch KI entstanden sein – das gilt auch für den internen Gebrauch sowie interne Unterlagen. Und natürlich nehmen wir den Schutz unserer Daten sehr ernst: Wir stellen sicher, dass unsere Informationen ausschließlich in geschlossenen Datenräumen genutzt werden
Würden Sie eine persönliche Erfahrung, die Sie mit (generativer) KI gemacht haben, mit uns teilen?
Da fallen mir ad hoc zwei Themen ein: In den Sommerferien ging es für meine Familie und mich auf eine Rundreise quer durch Deutschland. Mit einer ersten Routenplanung hatte ich ChatGTP beauftragt. Das Ergebnis: technisch hätte ich die Reise so fahren können, aber spätestens an Tag drei der vorgeschlagenen Route hätte mein Sohn dann doch rebelliert: Trotz Briefings einer Familienreise, waren die Sehenswürdigkeiten dann doch eher für ein älteres Publikum aus Übersee gedacht.
Aber es geht auch anders: Bei meiner Geburtstagsfeier musste ich vor kurzem eine kleine Ansprache halten – nicht unbedingt meine Komfortzone. Hier war ich dankbar, durch ChatGTP einen ersten Entwurf für die Rede zu bekommen, den ich dann mit persönlichen Erlebnissen, mit Emotionen und Anekdoten feintunen konnte. In diesem Fall war ganz klar: generative Künstliche Intelligenz ist ein gutes Sprungbrett für erste Lösungen – aber noch halte ich es mit: lieber NicolAI als genAI.
Aus heutiger Sicht: Welche Aufgaben im Marketing wird die KI zuerst übernehmen?
Im ersten Schritt sprechen wir von Effizienz-Aufgaben. Hier sehen wir bei uns ganz verschiedene Einsatzfelder: von der Budget-Attribution und Kampagnenaussteuerung über die Text- und Bildbearbeitung bis hin zum Fraud Management. Der nächste Schritt sind dann Anwendungen direkt in der Kundeninteraktion, sei es durch UX-Verbesserungen oder ganz neue Use Cases, wie etwa den dialogbasierten KI-Assistenten.
In welchen Bereichen oder für welche Tätigkeiten wird es immer das menschliche Hirn brauchen?
Das Erste, was einem dazu einfällt: Kreativität. Aber das stimmt nicht immer. KI kann äußerst kreativ sein und uns Menschen vor allem in kreativen Denkprozessen unterstützen. In der Auswahl aber, welche kreative Lösung zu uns als Otto, zu unserem Image, unseren Werten oder unseren Kund*innen am besten passt, ist der Weg für eine KI noch weit. Kurz: Überall da, wo es um Emotionen geht, um Gefühle und den zwischenmenschlichen Kontakt, wird KI unsere Aufgaben allerdings nie ersetzen können.
Das Interview wurde schriftlich geführt.
Alle bisher erschienenen Folgen dieser Interviewserie mit Markenentscheider*innen zu KI lesen Sie hier:
Folge 1: KI im Marketing bei SAP, Gespräch mit Kerstin Köder
Folge 2: KI im Marketing bei Burger King, Gespräch mit Klaus Schmäing
Folge 3: KI im Marketing bei Ritter Sport, Gespräch mit Franziska Kleinhans
Folge 4: KI im Marketing bei Obi, Gespräch mit Christian von Hegel
Folge 5: KI im Marketing bei Mercedes-Benz, Gespräch mit Bettina Fetzer
Folge 6: KI im Marketing bei Tonies, Gespräch mit Claudia Lührs
Folge 7: KI im Marketing bei Afri Cola, Gespräch mit Sven-Eric Frisch
Folge 8: KI im Marketing bei Henkel, Gespräch mit Sarah Manseck
Folge 9: KI im Marketing bei Nestlé, Gespräch mit Daniel Marschollek
Folge 10: KI im Marketing bei Rossmann, Gespräch mit Petra Czora
Folge 11: KI im Marketing bei Samsung, Gespräch mit Mike Henkelmann
Folge 12: KI im Marketing bei Frosta, Gespräch mit Hinnerk Ehlers
Folge 13: KI im Marketing bei Tchibo, Gespräch mit Kristina Büttner
Folge 14: KI im Marketing bei der Gothaer, Gespräch mit Thomas Heindl
Folge 15: KI im Marketing bei Rewe, Gespräch mit Elke Wilgmann