„Das echte Leben findet im Real Life statt“, sagte letzte Woche eine Influencerin auf einem Business Creator Summit. Das hat zwar originär nichts mit Work & Culture zu tun. Ich finde das Zitat aber so daneben, dass ich es Ihnen keinesfalls vorenthalten will. Außerdem sind diese sieben Worte eine wunderbare Überleitung zu den Nachrichten aus dem echten Leben im War for talents, denen ich mich heute widmen möchte. Es geht um neue Jobrollen dank KI, es geht um Frauen im Job im Allgemeinen und um alte Frauen im Job im Besonderen. Und es geht leider mal wieder um Ausländerfeindlichkeit und Haltung.
Aus aktuellem Anlass fangen wir mit letzterem an: Die Serviceplan Group hat am Freitag einen Mitarbeiter fristlos entlassen. Der Mann war bei den unsäglichen rassistischen Ausfällen am Pfingstwochenende auf Sylt dabei. Dort sangen mehrere Menschen öffentlich und lautstark im bekannten Pony Club ausländerfeindliche Parolen, darunter offenbar auch der Serviceplan Mitarbeiter. Auf LinkedIn schreibt die Serviceplan Group dazu: „Wir sind ein weltoffenes Unternehmen. Mit Entsetzen haben wir heute erfahren, dass ein:e Serviceplan Group Mitarbeiter:in an den rassistischen Vorfällen am Pfingstwochenende auf Sylt beteiligt war. Wir haben sofort gehandelt und eine fristlose Kündigung ausgesprochen.“ Das Verhalten der Sylter Rassisten ist erschreckend, die Haltung von Serviceplan Group ermutigend.
Neuer Job: KI Kontrolleure
Harter Cut. Themenwechsel. Für alle, die es noch nicht mitbekommen haben: Lufthansa lässt jetzt KI schreiben. Genauer gesagt, lässt sie für ihr digitales Boardmagazin „Erfahrungen und Know how ihrer Beschäftigen einsammeln und von einer KI in eine lesbare Form bringen“, schreibt Henning Kornfeld auf Kress.de. Künftig hofft der Konzern, auf diese Weise mehr als die Hälfte der Inhalte von eigenen Mitarbeitenden erstellen zu lassen.
Das ist eine feine Idee. User Generated Content ist schließlich nicht neu und funktioniert meist exzellent. Und ein KI-Tool, in diesem Fall den Lufthansa Storytelling Assistant, der auf Microsoft Azure GPT-4 aufsetzt, für die Texterstellung zu Hilfe zu nehmen, ist mit Sicherheit eine prima Sache. Einzig: Die Rolle der Menschen, die die Texte bislang schrieben, ändert sich dadurch dramatisch. In diesem Falle die Rolle der Texter von C3. Die große Berliner Content Marketing-Agentur darf das renommierte Bordmagazin der Lufthansa künftig in weiten Teilen nicht selbst erstellen (und in Rechnung stellen), sondern nur noch von Mitarbeitenden „gegenlesen“ lassen (und in Rechnung stellen).
Keine Ahnung, ob es Agenturen im War for Talents hilft, wenn sie künftig für digitale Bordmagazine im echten Leben Gegenleser*innen statt Texter*innen suchen.
Und das ist natürlich erst der Anfang. McKinsey hat gerade eine neue Studie veröffentlicht, wonach KI bis zum Jahr 2023 allein in Deutschland rund drei Millionen Jobs verändern wird, das sind rund sieben Prozent aller Jobs. Eine beschleunigte Einführung von KI-Systemen in den USA und Europa könne bis 2030 zur Automatisierung von fast einem Drittel der Arbeitsstunden führen, fasst die WiWo die Studie zusammen. Den Berechnungen zufolge könnten bis 2030 in Europa und den Vereinigten Staaten jeweils fast zwölf Millionen Jobwechsel notwendig sein.
IT-Branche auf Diät
Natürlich wird davon auch die IT-Branche betroffen sein. Und es ist zu hoffen, dass diese, wie viele andere Branchen auch, die nötige Transformation der Jobs und ihrer Mitarbeitenden schneller lösen, als – sagen wir mal salopp – das Frauenproblem.
Im Moment allerdings hat die IT-Branche laut einer aktuellen Studie des Digitalverbands Bitkom noch ganz andere Probleme. 90 Prozent der IT-Unternehmen in Deutschland sehen eine Erhöhung des Frauenanteils in ihrem Unternehmen als Chance. Die Mehrheit der IT-Unternehmen bemühe sich deshalb aktiv, mehr Frauen zu gewinnen: 57 Prozent sprechen in ihrem Recruiting speziell Frauen und Mädchen an. Weitere 34 Prozent planen den Einsatz auf Frauen abgestimmter Recruiting-Maßnahmen, wie Kooperationen mit Hochschulen und Schulen, die 30 Prozent der Unternehmen bereits pflegen. Weitere beliebte Recruiting-Maßnahmen sind der Studie zufolge Einstiegsprogramme wie Traineeships, die 18 Prozent der Unternehmen einsetzen, sowie die Nutzung weiblicher Rollenvorbilder in der Kommunikation (15 Prozent). Aktives Recruitment hingegen, etwa über Talentpools, betreiben bisher (nur!) 12 Prozent, und die Regel, Frauen bei gleicher Qualifikation zu bevorzugen, gibt es gerade mal in 9 Prozent der IT-Unternehmen. Ach und: 23 Prozent der IT-Unternehmen sagen, Maßnahmen zur Frauenförderung bewirkten sowieso keine Veränderung. Genauso viele meinen, Frauenförderung sei häufig nur vorgeschoben, in der Praxis ändere sich nichts.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Aber mich erinnert das an den guten alten Satz „Ich kann essen, was ich will. Aber ich nehme einfach nicht ab.“ Oder anders ausgedrückt: Vielleicht sind es einfach die falschen Maßnahmen.
Eene meene muh
Dazu passt ein Post von Vicky Wagner, der seit ein paar Wochen hohe Wellen auf LinkedIn schlägt, und den ich an dieser Stelle ausnahmsweise mal relativ ungekürzt wiedergeben möchte. Unter dem Titel „50+ – und raus bist Du“ schreibt die Gründerin von Beyond Gender Agenda: „Wenn Du die 50 Jahre überschritten hast, kommst Du erst gar nicht wieder rein, in die erhoffte Position mit Entwicklungspotential.“ Das Thema sei hochaktuell, da es sehr viele Arbeitnehmende betreffe. „Genauer gesagt sind es 13 Millionen Frauen und Männer“, sagt Wagner.
Die wichtigsten Vorurteile gegenüber Frauen und Männern jenseits der 50 fasst Wagner so zusammen: „50+ Arbeitnehmende seien zu teuer, zu oft krank, zu langsam, nicht flexibel und nicht lernwillig.“ Danke, liebe Vicky Wagner, dass Sie auch gleich ganz entspannt gegenhalten und schreiben: „Man könnte aber auch sagen, Arbeitnehmende 50+ haben das perfekte Alter. Denn sie sind erfahren, engagiert, loyal, energiegeladen, bereit Verantwortung zu übernehmen.“
Wagners Fazit: „Es ist dringend an der Zeit, dass wir – insbesondere die HR-Abteilungen von Unternehmen – allen Generationen entsprechende Wertschätzung entgegenbringen und ihr Potenzial erkennen. Dies betrifft die jüngere #GenZ genauso wie die älteren Generationen #GenX und #Babyboomer. Das gehört sich nicht nur so, sondern ist auch wirtschaftlich unabdingbar!“
Mein Fazit: Unglaublich, dass im Jahr 18 nach Veröffentlichung der Charta der Vielfalt, in der Alter eine der Kern-Vielfaltsdimensionen ist, und im Jahr 21 nach erstmals sehr konkreten Warnungen vor einem wachsenden Fachkräftemangel solche Posts noch immer nötig sind.
Dazu passt eine Studie von Xing/New Work, die heute Morgen erschienen ist. Danach wurde „mehr als jeder vierte Berufstätige über 50 schon einmal aufgrund seines Alters diskriminiert – in den meisten Fällen von der Führungskraft“. Thomas Kindler, Managing Director von XING: „In einem Land, in dem viele Unternehmen Diversity-Richtlinien zu Religion, Geschlecht oder Herkunft haben, wird über Altersdiskriminierung in der Arbeitswelt noch viel zu wenig gesprochen.“ Willkommen im Real Life!
Good news at least
Zum Schluss, wie meist an dieser Stelle, noch eine gute Nachricht. Heute sind es sogar zwei. Erstens: Laut einer Analyse der Personalberatung Russel Reynolds ist der Frauenanteil in den Aufsichtsräten der DAX-Unternehmen über die Marke von 40 Prozent gestiegen. Genau gesagt auf 40,3. Die gesetzliche Mindestquote von 30 Prozent ist damit nun recht deutlich überschritten. Zweitens: Mehr als 30 deutsche Unternehmen, darunter Henkel, Bayer, Eon, BMW, Allianz und Beiersdorf haben sich jetzt zu einer Werte-Allianz zusammengeschlossen und fordern ihre Beschäftigten auf, bei der Europawahl am 9. Juni für „Toleranz, Vielfalt und Wettbewerbsfähigkeit“ zu stimmen. Wenn Sie mich fragen: Keine Sekunde zu spät.
In diesem Sinne: Eine tolerante Woche und bleiben Sie gut drauf.