KI bei Pinterest: „Wir wollen nicht nach Watchtime optimieren“

Pinterest wird neben TikTok und Co. gern unterschätzt. Dabei ist es für viele Marken ein wichtiger Traffic-Bringer. Wir haben mit Martin Bardeleben, Country Manager Pinterest Germany, über Trendthemen im Marketing und gesellschaftliche Verantwortung gesprochen.
Martin Bardeleben, Country Manager von Pinterest Germany: "Bei Pinterest beschäftigen wir uns damit, wie wir KI verantwortungsvoll einsetzen können." (© Lichtiebe Volksdorf)

Herr Bardeleben, die OMR liegen noch nicht lange zurück. Welche Trendthemen sind Ihnen als Pinterest-Manager aufgefallen?

Meine Präsenz außerhalb unseres Standes war wegen des Interesses an uns eher begrenzt. Ich habe mir Serena angeschaut, und im Nachgang auch die Vorträge von Jeremy Fragrance und Luisa Neubauer. Ansonsten wurde in meiner Wahrnehmung viel über Social Media als Begriff und als Gattung, die Post-Cookie-Ära und natürlich künstliche Intelligenz gesprochen. Bei Pinterest beschäftigen wir uns vor allem damit, wie wir künstliche Intelligenz verantwortungsvoll einsetzen können.

Wie meinen Sie das?

Dabei geht es um die Frage: Wie setzen wir die Technologie so ein, dass sie im Dienst von Nutzer*innen passiert? Das Ergebnis von KI darf nicht Sucht sein, also Watchtime-Optimierung auf der Basis von extremen Ereignissen, Negativität oder Polarisierung. KI muss so eingesetzt werden, dass sie Menschen ein positives, inspirierendes Erlebnis bietet.

Wie nutzt Pinterest künstliche Intelligenz?

Unser Umgang mit Machine Learning war immer schon darauf ausgelegt, dass wir ein positives Nutzererlebnis schaffen wollen. Wir wollen nicht nach Watchtime optimieren, sondern nach Engagement-Metriken wie der Merken-Aktion – diese signalisiert uns, dass jemand einen bestimmten Inhalt für wirklich nützlich oder inspirierend hält. Mit unseren Richtlinien haben wir zudem einen Rahmen geschaffen, in dem KI verantwortungsvoll eingesetzt werden kann. So haben wir politische Anzeigen und Anzeigen zum Gewichtsverlust verboten. Fehlinformationen zu Gesundheitsthemen oder Klimawandel werden auch nicht bei uns toleriert. Das ist heute.

Und morgen?

Unsere 460 Millionen Nutzer*innen weltweit haben bis heute mehr als 360 Milliarden Pins kuratiert, die wir mit Hilfe von Machine Learning ausspielen können. Das bietet spannende Möglichkeiten, denn Machine Learning ist nur so gut, wie die Daten, die sie erhält. Und die Daten, die wir haben, sind facettenreich. All das hilft uns, Shopping-Möglichkeiten weiter zu optimieren.

Im Zusammenhang mit Verantwortung müssen wir auch über den Vortrag von Luisa Neubauer sprechen, die die Verlogenheit von klimaschädlichen Unternehmen anprangerte, zu der Marketing einen großen Anteil trage. Mode ist ein wichtiges Thema auf Pinterest, doch auch eines der größten Klimakiller. Wie gehen Sie mit Neubauers Kritik um?

Wir sind bestrebt, nachhaltige Ergebnisse auf unserer Plattform, in unseren Betrieben und in unseren Communities zu fördern. Wir verbieten Falschinformationen zum Klimawandel und haben uns zudem verpflichtet, bis 2023 für unsere Büros auf der ganzen Welt 100 Prozent erneuerbaren Strom zu beziehen. Zur Fashionfrage: Wir wissen, dass Menschen auf unsere Plattform kommen, um Ideen zu finden, wie sie Nachhaltigkeit in ihren Lebensstil integrieren können. 56 Prozent unserer Nutzer*innen wünschen sich eine Plattform, auf der sie nachhaltige Marken entdecken können und sie geben mit einer fast 40 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit als Nutzer*innen anderer Plattformen an, dass Umweltfreundlichkeit eines Produkts oder des Unternehmens ausschlaggebend für ihren Kauf ist. Wir haben also Nutzer*innen, die sehr affin sind gegenüber Nachhaltigkeit und überdurchschnittlich inspiriert werden von Marken, die genau das tun.

Wie sieht nachhaltiger Konsum aus?

Unsere unternehmerische Verantwortung ist es, Prozesse und Standards nachhaltiger zu gestalten. Die Frage nach Konsum und Nachhaltigkeit ist eine gesamtgesellschaftliche, die wir als Pinterest nicht allein lösen können. Wir können jedoch unseren Beitrag als Unternehmen leisten.

Wie?

In einer internen Analyse konnten wir feststellen: Kampagnen mit Nachhaltigkeitsbezug auf Pinterest haben eine mit dem Faktor 2,4 höhere Wahrscheinlichkeit, dass sie bei unseren Nutzer*innen eine Handlungsabsicht auslösen. Wenn wir davon ausgehen, dass diese Botschaften kein Greenwashing sind, dann funktioniert das auf Pinterest viel besser.

Konsum findet auf immer mehr Social-Media-Plattformen statt, also der Wandel von Social zu Commerce. Auf Pinterest wurden im letzten Jahr eine Shopping API und Produkt-Taggings möglich gemacht. Warum hat man sich dazu entschieden?

Unsere User Journey ist fundamental anders als auf anderen Social-Media-Plattformen. Das Shopping-Erlebnis kommt damit dem in der Realität nahe: Du suchst nach einem Paar Sneakers und kaufst dir den gesamten Look. Sieben von zehn Pinnern sagen uns auch: Wir wollen bei euch shoppen. Im Übrigen nicht nur Gartenmöbel, sondern auch Kleidung, Kosmetik, Kreuzfahrten, ja sogar Finanzprodukte sind auf Pinterest relevant. Pinterest ist beispielsweise für Aida ein starker performanter Kanal.

Kreuzfahrten? Da zeigt sich wieder der Spagat zwischen Klimaschutz und Konsum

Menschen kommen zu Pinterest, um sich für ihr Leben inspirieren zu lassen und Projekte zu planen – die Umstellung auf eine vegane Ernährung, das Upcycling von Möbelstücken, Hacks für einen nachhaltigeren Alltag, aber auch nachhaltiges Reisen. Darin liegt eine große Möglichkeit für Marken aus fast allen Branchen, auf die veränderten Konsumbedürfnisse der Nutzer*innen einzugehen.

Pinterest wird neben Instagram und Tiktok gern unterschätzt. Worin liegen die Stärken von Pinterest und welche Vorteile bietet es Marken?

Erstens: Pinterest ist die einzige Plattform, auf die Menschen kommen, um etwas für ihr Leben zu planen. Zweitens ist es die Positivität: Neun von zehn Pinnern sagen, dass Pinterest für sie eine Online-Oase sei. Wir haben in Zusammenarbeit mit der Universität Berkeley eine Studie durchgeführt, die zeigt: Zehn Minuten Nutzung von Pinterest hat bei den Probanden zu einem positiven Gefühl geführt. Man geht also nicht, wie auf anderen Plattformen, mit einem schlechten Gefühl heraus. Und wir haben auch herausgefunden, dass Marken in positiven Umfeldern mehr vertraut und sie eher gekauft werden.

Pinterest ist für viele Websites als Traffic-Treiber enorm wichtig. Wie können Marken oder Advertiser die Plattform am besten für sich nutzen?

Es gibt für Marken verschiedene Wege, Pinterest auch über organischen Traffic hinaus zu nutzen, um Markenbekanntheit, -wahrnehmung und Abverkauf zu steigern. Am Ende ist es das klassische Marketing-Playbook: Mit wem willst du sprechen? Und was ist deine Marketingzielsetzung? Dann ist die Nutzung von Pinterest sehr einfach. Grundsätzlich sei gesagt, dass Inhalte auf Pinterest besonders gut funktionieren, wenn sie relevant, visuell ansprechend und hilfreich sind. Viele Nutzer*innen nehmen Markeninhalte bei uns nicht als Werbung wahr, sondern mehr als hilfreichen Content.

Hand aufs Herz: Wo liegen die Schwächen von Pinterest?

Wir haben noch viel Platz nach oben, vor allem in Märkten außerhalb der USA, obwohl wir jetzt schon zu den größten Plattformen der Welt gehören. Wenn wir über Marken sprechen: Wir sind keine Plattform, auf der Advertiser noch schnell einen Abverkauf machen können. Da gibt es andere, wo Last Click besser funktioniert. Wir bieten eine Full-Funnel-Experience. Die dauert manchmal länger, ist aber nachhaltiger und zahlt sich mehr aus.

(amx, Jahrgang 1989) ist seit Juli 2022 Redakteur bei der absatzwirtschaft. Er ist weder Native noch Immigrant, doch auf jeden Fall Digital. Der Wahlberliner mit einem Faible für Nischenthemen verfügt über ein breites Interessenspektrum, was sich bei ihm auch beruflich niederschlägt: So hat er bereits beim Playboy, in der Agentur C3 sowie beim Branchendienst Meedia gearbeitet.