Das Social Sharing verlagert sich immer mehr in Richtung „Dark Social“. Insgesamt 84 Prozent allen Contents landet bereits dort, hat eine kürzliche Studie von RadiumOne ermittelt. Die meisten Inhalte werden also nicht öffentlich via Facebook, Twitter und Co., sondern direkt über Messenger wie WhatsApp geteilt. Oder sie landen auf Snapchat, wo sie dann gleich wieder verschwinden. Der Konsument duckt sich ganz gezielt weg, entgeht so den Datenkraken und erobert sich ein Stück Privatheit zurück.
Das Kaufverhalten der Kunden ist eben bei weitem nicht so gläsern, wie es oft scheint. Das „last cookie“ war nicht Ihr Newsletter, auf den Sie so stolz sind, sondern meine beste Freundin, die mir den entscheidenden Kaufanstoß gab. Der Mähroboter, der uns seit Wochen im Web verfolgt, den haben wir längst im Laden erworben. Online-Formulare werden von den meisten Usern absichtlich falsch ausgefüllt. Und bei Anklickoptionen wird erfahrungsgemäß einfach die oberste Box angetickt.
Verantwortliche scheinen sich im Datenfieber gar nicht darüber im Klaren zu sein: Algorithmen schaffen nur ein unvollständiges Bild. Unser Online-Verhalten erfassen sie nur bruchstückhaft. Und unser Offline-Verhalten erfassen sie gar nicht. Doch solche Bruchstücke der Wirklichkeit halten Kennzahlenjunkies für die vollständige Wahrheit. Was sich nicht messen lässt, wird schlichtweg ausgeblendet, so, als ob es nicht existiert. Auf diese Weise hat sich im Zahlenrausch schon mancher taumelnd verirrt.
Von der Datenseuche befallen
Zahlen- und Datenanalysen geben Unternehmen die Illusion der Kontrolle. Doch Zahlen sagen niemals die Wahrheit. Denn:
– Erstens ist die finale Ausbeute immer nur so gut, wie das zuvor eingefütterte Ausgangsmaterial. „GIGO“ (Garbage in, Garbage out) wird dieses Prinzip in der Informatik genannt. Eine lückenlose Analyse ist gar nicht möglich, weil vieles unerfassbar bleibt und anderes einfach nicht stimmt. Deshalb sind Tracking-Daten immer unvollständig, trügerisch, falsch.
– Zweitens können falsche Fragestellungen oder interessengeleitete Abfragezeitpunkte zu verfälschten Messergebnissen führen. Und diese unterliegen schließlich noch der Gefahr (beabsichtigter) Fehlinterpretationen im Wirrwarr zwischen Korrelationen und Kausalität.
– Drittens sind Zahlen immer auch das Resultat von (bonifizierten) Abteilungszielen, erzwungenen Lügen, persönlichen Interessen und eigennützigen Motivationen. Eine einzige ganz gezielt eingesetzte falsche Zahl hat nicht nur über den Fortbestand von Unternehmen, sondern auch schon über das Schicksal ganzer Länder entschieden.
Fazit
Der aus Datenanalysen resultierende Zahlenmix ist miserabel. Und die eine daraus extrahierte “vorstandstaugliche” Kennzahl, die der CEO am Ende verlangt, ist ein Zahlenzombie – weil als Ergebnis aus Fehlern und Systembetrug garantiert falsch. Aber egal! Hauptsache, wir haben jetzt eine Zahl. Und auf solch falscher Basis werden dann strategische Entscheidungen getroffen!
Beispiele für Zahlenbetrug gibt es genug
Daten kennen keine Moral. Die Moral muss von den Menschen kommen. Doch immer dann, wenn monetäre Vorteile in den Vordergrund rücken, tritt die Moral den Rückzug an. Und das passiert nicht nur bei spektakulären Fällen von Wirtschaftsbetrug, sondern, viel schlimmer, in den Unternehmen tagtäglich im Kleinen. So wurde in einer Krankenhauskette ein neues Kennzahlensystem eingeführt. Wenn zum Beispiel die Patienten via NPS (Net Promoter Score) den Ärzten eine hohe Schmerzfreiheit attestierten, gab es eine Sondervergütung. Was nun geschah, kann sich jeder, der bei klarem Verstand ist, wohl denken. Am Ende hat sogar die Gesundheitsbehörde ermittelt. Oder schauen wir uns die seitenlangen Befragungen nach einem Autokauf mal an. Die Ergebnisse daraus werden incentiviert. Das heißt, es gibt Geld für gute Noten. Zu was das dann führt? Die Mitarbeiter konzentrieren sich nur noch auf das, was ihnen fette Prämien und erste Plätze einbringt. Flehentlich werden die Kunden angebettelt, nur ja gute Werte zu geben. Das ist entwürdigend für beide Seiten. Oft bekommt man dafür im Vorfeld sogar was geschenkt.
Und alle in der Organisation lernen: Wer manipuliert, steht im Ranking an vorderster Stelle, wird gewürdigt, vor aller Augen ausgezeichnet und geldwert belohnt. Solches Vorgehen verseucht das Klima und öffnet weiterem Betrug Tür und Tor. Zudem sind derart gefälschte Kennzahlen nichts als Irrlichter, von denen sich die Manager in den Sumpf statt in die Zukunft leiten lassen. Die Automobilindustrie weiß übrigens längst, was für ein Blödsinn das ist und welcher Humbug damit betrieben wird. Aber niemand hört damit auf. Und warum? Weil es alle so machen.
Menschen sind keine Nullen und Einsen
Natürlich sind Kennzahlen wichtig. Und Messbarkeit hilft, die Spreu vom Weizen zu trennen. Doch die Zahlenhörigkeit mancher Führungsgremien ist mehr als abstrus. Erschreckend oft wird ganz fanatisch das Falsche getan, Hauptsache, es kann gemessen werden. Hingegen wird von Technokraten und Kennziffernfreaks leicht übersehen, dass das eigentlich Wichtige nicht in Zahlenkolonnen passiert, sondern an den Touchpoints zwischen Mitarbeiter, Unternehmen und Kunde.
Wie das bei Analysetools ja immer so ist: Von findigen Anbietern sind sie schnell programmiert, und Gierigen kann man das Blaue vom Himmel erzählen. Doch die Goldgräberstimmung darf nicht dazu verleiten, dass Big Data zu einem rein technokratischen Thema verkommt. Denn entscheidend ist schließlich, was man aus all dem Datensalat macht. Big Brain, also eine intelligente Herangehensweise, ist dabei vonnöten.
Wer aber auf Zahlen fokussiert ist, denkt nur noch in Zahlenkategorien. Das Ende vom Lied: Datenmanie killt Empathie. Und solange es um die Vermessung des Menschen geht, muss man sich nicht mit Herz und Seele befassen. Menschen sind aber kein Klickvieh. Sie sind auch keine Datenpakete. Und kein bürokratischer Vorgang. Sie wollen schon gar nicht gemanagt werden. Technologische Intelligenz muss sich also mit sozialer Intelligenz und Menschlichkeit paaren.