Mein Name ist Virginie Briand und ich habe die Ehre, in diesem Jahr an dieser Stelle meinen Blick auf die Welt zu teilen. Und zwar in der Kategorie „Aktivismus“. Wer mich kennt, weiß, dass ich alles andere als eine Aktivistin bin. Umso mehr hat mich gefreut und motiviert, dass die (Chef-)Redaktion der absatzwirtschaft da etwas in mir sieht. Challenge accepted.
In Vorbereitung auf diese Aufgabe habe ich mich intensiv durch Foren und Suchmaschinen gewühlt, die Protestikonen dieser Welt studiert und ergründet, wieso wir uns dringender und zwingender denn je einbringen sollten, hinsehen müssen und niemals aufhören dürfen, unbequeme Fragen zu stellen. Das zurückliegende Jahr wurde im aktivistischen Sinne als das „Jahr der Freiheit“ betitelt. Demonstrationen im Iran, in Russland und China – der Achse der Autokraten – waren laut und furchtlos. Auch hierzulande wird der Widerstand gegen die Klima-, Energie- oder Pandemiepolitik intensiver. Alles ist gleichzeitig und gleich dringend.
Aktivist*innen im digitalen Raum
Der Philosoph Karl Popper definierte Aktivismus als „Die Neigung zur Aktivität und die Abneigung gegen jede Haltung des passiven Hinnehmens“. Aktivist*innen fördern mit ihren Taten also Ziele, verstärkt auch im digitalen Raum. #fridaysforfuture, #metoo oder #blacklivesmatter zeigen die Kraft von Hashtags als niedrigschwellige Mittel der Solidarität. Davon profitierten 2022 besonders die Klimaaktivist*innen: Millionenfach wurden die Videos ihres zivilen Ungehorsams wie Essensattacken auf Kunstwerke und Klebeproteste im Netz geklickt, kommentiert, geteilt.
Willkommen in der Aufmerksamkeitsökonomie mit der wichtigsten Währung „Reichweite“. Doch was bringt diese Form von Online-Aktivismus, wenn der Zuspruch, den wir auf Social Media ernten, nicht zur Konsensbildung in der echten Welt beiträgt? Sondern im Gegenteil – die Gesellschaft weiter spaltet? Wir müssen weg von der eigenen Selbstüberhöhung, hin zur Frage, wie jede*r Einzelne einen Mehrwert leisten kann, der uns nicht nur Likes und Follower*innen beschert, sondern einen echten Unterschied in der echten Welt macht.
Gemeinsam gegen den inneren Passivisten
Der erste Schritt dorthin ist ein geschärftes Bewusstsein über unser Medienverhalten, die eigene Filterblase und die verinnerlichten Narrative. Der zweite ist: das wohlwollende Zuhören und die eigene Ambiguitätstoleranz trainieren. Und der dritte Schritt: ausprobieren und experimentieren. Denn Aktivismus entsteht nicht hier zwischen meinen Zeilen oder in der Kommentarspalte auf LinkedIn, sondern er zeigt sich im eigenen Handeln.
Um auch meinen Worten Taten folgen zu lassen, werde ich ab der nächsten Ausgabe jede meiner Kolumnen mit einem Selbstexperiment abschließen, zu dem ich auch Sie herzlich einlade. Lassen Sie uns gemeinsam unseren inneren Passivisten herausfordern und dem Ohnmachtsgefühl und der Hoffnungslosigkeit etwas Größeres entgegenstellen – oder, wie es Schriftsteller Edmund Burke einst formulierte: „Niemand beging einen größeren Fehler als jener, der nichts tat, weil er nur wenig tun konnte.“ Aktivismus fördert Zuversicht, stiftet Sinn, bewegt. Bewegen wir uns mit!