Von Gastautor Jonas Bailly, Geschäftsleiter Jung von Matt/SAGA
Marken jagen Menschen.
Wir leben in einer Such- und Klickwirtschaft. Unser Alltag heißt Google, Amazon und Facebook. Den Algorithmen der Tech-Riesen ist jeder unterworfen, der beachtet, gefunden und gekauft werden will. In dieser Umwelt haben sich kennzahlenbasierte Kampagnenstrukturen etabliert. Es geht um Nettoreichweitenmaximierung und Kontaktdosenoptimierung. Um profilbasierte Onlinedisplaykampagnen, um Targeting auf Basis soziodemografischer Profildaten, um SEA, sprich: um schnelle und berechenbare Kommunikationsleistung. Performance Kommunikation ist der beliebteste Hebel für messbare Ergebnisse und schnelle Erfolge.
Das Resultat ist, salopp gesagt, dass wir von Marken und Produkten gejagt werden. Wer kennt sie nicht, die Turnschuhe, Funktionsjacken oder Flatscreens, die einen auch Monate nach dem Kauf noch täglich durchs Netz verfolgen? Auf Basis von Retro-Daten wird auf das mögliche zukünftige Verhalten von Kunden optimiert. Man nennt das dann „High Performance Retargeting“. Eine knochige, eindimensionale Herangehensweise, getrieben durch den Fokus auf kurzfristige Salesziele und hohe Frequency-Caps. Was dabei mit der Marke passiert, wird ausgeblendet. Ebenso wie der Fakt, dass sich Kommunikation eben nicht gegen Unendlich optimieren lässt, sondern der Grenznutzen von Optimierung und Effizienz ab einem gewissen Punkt rapide sinkt. Wirklich schlau ist das nicht.
Menschen jagen keine Marken mehr.
Zudem unterwerfen sich werbetreibende Unternehmen, ohne nachzudenken, den Gesetzen der Suchmaschinen. Differenzierung wird in Zeiten von Alexa und Google Assistant zum Wettrüsten: Es geht um Ratings, Features und Funktionen. Mit der Konsequenz, dass sich Marken in Auftritt, Argumentation, ja sogar in Farben ähneln. Das lässt sich beliebig fortführen: Legt man Display oder ReTarging Werbemittel von Hersteller-und Handelsmarken nebeneinander und eliminiert das Markenlogo, kann in den meisten Fällen jeder jeder sein. Und das, obwohl Marken auch hier schon längst nicht mehr in einheitlichen Ad-Formaten gefangen sind.
Was sich innerhalb der Suchschlitze von Amazon oder Google noch als Diktat des Systems beschönigen lässt, wirkt dort, wo Marken es noch selber in der Hand haben einen Unterschied zu machen, wie Selbstaufgabe. Denn die Funktion von Kommunikation war es seit jeher, einer Unternehmung ein klares Profil zu verleihen und die Präferenzen für eine Marke/ein Produkt zu stärken. So geartete Performance Kommunikation führt diese Funktion ad absurdum. Die Marke wird verramscht, ihre Ausweisfunktion geht verloren. Wirklich schlau ist auch das nicht.
Die Folgen sind spürbar. Auf Amazon beispielsweise sind die direkten Zugriffe auf Marken während der letzten zwei Jahre rapide gesunken. In der Zwischenzeit steigen Kunden immer häufiger über die Kategorie ein, nicht mehr über eine präferierte Marke oder ein konkretes Produkt.
Grabenkampf und Datenglaube.
Woran liegt es aber, dass Werbetreibende nichts dagegen unternehmen?
Erstens existieren in den meisten Unternehmen allen Absichtserklärungen zum Trotze nach wie vor massive Gräben zwischen Brand Marketing und Online Marketing. Statt einheitlicher Ziele und KPIs werden die Abteilungen an konträren Indikatoren gemessen. Dies führt dazu, dass im besten Fall nicht gegeneinander gearbeitet wird, im seltensten Fall aber integriert. Somit werden in der Planung, Entwicklung und Aussteuerung Markenindikatoren und Kreativität automatisch missachtet. Was zählt, ist der schnelle Klick. Performance Kommunikation verkommt zu einem verzweifelten Versuch, Werbung berechenbar zu machen.
Zweitens – und diese Entwicklung wird sich in Zukunft noch weiter zuspitzen – fragt die neue Herstellergeneration nicht mehr danach, wie sich eine langfristig wirkende Marke aufbauen lässt. Sie identifiziert potenzielle Kunden, ihre Interessen, ihre Daten und nutzt diese zur kurzfristigen Aktivierung.
Sind Marken also dabei sich kaputt zu optimieren? Wenn Industriestimmen in diesem Zusammenhang vom „War on Brands“ sprechen, ist das zumindest eine berechtigte Debatte.
Schlau und Wow.
Die Spielregeln der Tech-Riesen werden werbetreibende Unternehmen nicht ändern können. Was sie aber ändern können, ist ihr Verhalten. Sie könnten heute damit aufhören, den Konsumenten zu langweilen und zu nerven.
Was es dazu braucht? Die einfache Formel heißt „Kein Schlau ohne Wow“. Sprich: Keine Performance Kommunikation ohne kreative Anspruch, ohne Momentum für die Marke.
Natürlich sollen die Möglichkeiten datengetriebener Performance Kommunikation genutzt werden. Zugeschnitten auf unterschiedliche Zielgruppen, getargeted und optimiert auf Verhalten und Interessen. Wenn Werbetreibende und Agenturen das Wort „Performance“ aber wirklich ernst nehmen würden, würden sie ihren Kunden nicht an allen Touchpoints mit der gleichen Botschaft auflauern. Es gäbe keine schreienden Display-Ads im Erstkontakt, kein pausenloses Retargeting, keinen faden Einheitsbrei im Auftritt. Werbemittel wären nicht um jeden Preis auf jeden Klick optimiert.
Werbetreibende und Agenturen würden Daten stattdessen nutzen, um den performantesten Absprungpunkt für Kommunikation zu identifizieren. Um eine schnelle Präferenz für eine Marke zu schaffen, würden sie das Wissen um den Kunden mit dem verknüpfen, was Menschen nachweislich dazu bringt, eine Marke, ein Produkt zu präferieren und zu kaufen: Emotionen. Und Emotionen erzeugt man nicht durch Klickmaschinen, sondern durch außergewöhnliche Ideen. Durch Mut. Durch Bruch mit dem Gewohnten. Performance Kommunikation wäre dann der Motor. Der Treibstoff wäre Kreativität.
„Kein Schlau ohne Wow“ bedeutet also, Performance Kommunikation nicht isoliert sondern integriert zu betrachten und zu denken. Nicht als Zahlenwerk, sondern als Meisterwerk. Nicht als berechenbare Verkaufslogik, sondern als Chance, die Möglichkeiten spitzer Ansprache und intelligenter Distribution mit der Kraft von Ideen zu verbinden. Es bedeutet, Kampagnenelemente zu schaffen, die sich vielleicht der gleichen Formate bedienen, aber die Inhalte neu definieren. Es bedeutet, sich über inspirierende Inhalte an die Spitze der Nahrungskette zu setzen, statt als Einheitsbrei im Rachen von Google, Facebook oder Amazon zu landen. Es bedeutet, alte Mauern einzureißen, und Abteilungen zu fördern, die zusammen arbeiten und nicht gegeneinander. Und es bedeutet einen höheren ROI, da herausragende Markenkommunikation nachweislich zu einem Performance-Uplift führt, der die Investitionen refinanziert. Schlau und Wow eben.
Über den Autor: Jonas Bailly ist als Mitglied der Geschäftsleitung und Client Service Director Teil der Führungsmannschaft der Kreativagentur Jung von Matt/SAGA. Seit 2016 arbeitet er an der Schnittstelle zwischen Strategie und Beratung, und betreut Kunden aus den Bereichen Retail, FMCG und Automotive.