Von Ralf Kalscheur
„Verstehen Sie mich nicht falsch“, sagt Yvo Schirmer und hebt offenbar in Erwartung von Misstönen beschwichtigend die Hände, „Last Christmas ist ein supertoller Weihnachtssong“. In den Playlists seiner Firma Storemoods für Hintergrundmusik im Einzelhandel wird man den Saison-Dauerbrenner des Pop-Duos Wham! dennoch vergeblich suchen.
Wer als Händler*in und Kund*in von Storemoods Wham! will, muss gewissermaßen zuerst das Gehirn ausschalten – nicht unbedingt das eigene, sondern vielmehr die Künstliche Intelligenz (KI), die der auf den Laden abgestimmten Musikabmischung zugrunde liegt. „Last Christmas“ lässt sich nur gezielt von Menschenhand auswählen, DJ KI fasst das Stück nicht an. „Läuft bei uns nicht“, sagt Schirmer.
Der Song polarisiere zu sehr, weil er alle Jahre wieder in den Kaufhäusern und Supermärkten zu Tode gespielt werde. Die Hintergrundmusik tritt durch das hohe Maß an Wiedererkennbarkeit und Wiederholung in den Vordergrund und entfaltet schlimmstenfalls nervende, Fluchtgedanken auslösende Wirkung. „Die Aufgabe von Hintergrundmusik aber ist es, unterbewusst Stimmung zu erzeugen und Wirkung zu erzielen“, erklärt der 30-jährige Storemoods-Geschäftsführer.
Produkte sind die Stars
„Wenn die Kund*innen sich lange und gern im Laden aufgehalten haben und sich beim Verlassen des Geschäfts an keinen der gespielten Songs erinnern, haben wir alles richtig gemacht.“ Denn die Produkte seien die Stars und sollten immer im Mittelpunkt der Inszenierung stehen. Das spezifische „Wham!-Verbot“ von Storemoods ist daher auch als Fingerzeig an die Händler*innen zu verstehen, es im Weihnachtsgeschäft nicht mit den ohnehin überspielten Christmas-Charts zu übertreiben.
Schirmer hat während des BWL-Studiums in Münster eine Radiosendung moderiert, als ihm 2010 die „fürchterliche“ und zudem von deplatzierten Werbejingles unterbrochene Gebrauchsmusik in Kaufhäusern auffiel. Das wollten er und einige Kommiliton*innen ändern.
„2011 haben wir zunächst ein Gewerberadio gegründet und uns 2017 als Storemoods GmbH und Co. KG mit Standorten in Berlin und Münster professionalisiert, indem wir unsere Erfahrungen mit Instore Radio in Technologie gegossen haben“, erzählt Schirmer. Dabei sei auch die intensive Beschäftigung mit psychologischen Studien zu Fragen, was Musik mit Menschen macht und wie sie das Kaufverhalten am Point of Sale beeinflusst, mit eingeflossen.
„Wir erstellen keine Playlists, die durchlaufen und dann wieder von vorne anfangen. Unsere intelligente Technologie wählt in Echtzeit und basierend auf lokalen Rahmenparametern die richtige Musik zur richtigen Zeit aus.“
KI trifft die Songauswahl in Echtzeit
Zu den vom Algorithmus einbezogenen Einflussfaktoren zählen etwa die aktuelle Zahl der Kund*innen im Laden, Wetterdaten sowie demografische Kundenmerkmale. Wenn der Laden voll ist, wählt die KI eher langsamere Stücke und eine geringere Lautstärke aus, um zusätzlichen Stress zu vermeiden. Zudem wirken sich sanfte Rhythmen sich zügelnd auf die Laufgeschwindigkeit der Hörer*innen aus. In einem recht leeren Markt darf die Hintergrundmusik temporeicher und energetischer sein, damit sich der Kunde nicht allein und wie im Museum fühlt.
„Wenn in der Handtuchabteilung Softpop statt Rockmusik gespielt wird, nehmen Proband*innen Handtücher als weicher wahr“, beschreibt Schirmer das Ergebnis eines Verbrauchertests. Von Klangzonen im Markt rät der 30-Jährige jedoch ab, denn deren Einrichtung ist mit hohem finanziellen und konzeptionellen Aufwand verbunden. Eine weitere Erfahrung lautet: „Weil Audioanlagen im Einzelhandel häufig mäßiger Qualität sind, sollte Händler genau auswählen, welche Titel sie spielen.“ Insbesondere der für viele Weihnachtslieder typische Streichersound mit Chorgesang, klinge häufig breiig und scheppernd.
Bis zu 50 Prozent mehr Abverkauf
Händler*innen managen die Software über die Cloud. Zudem kann Storemood mit dem Warenwirtschaftssystem verbunden werden: Der Zugriff auf die Umsatzwerte erlaubt es der KI, sich automatisch zu optimieren und auch lokal relevante Promotions zielgenauer auszuspielen. „Eis zum Beispiel können sie dann am besten bewerben, wenn das Wetter vor Ort gut ist. Die Promotion sollte automatisch stoppen, wenn der Artikel ausverkauft ist oder das Wetter umschlägt“, erklärt Schirmer.
Mit einer optimalen Kombination von Hintergrundmusik und zwei Produktwerbungen pro Stunde lasse sich der Abverkauf eines Produkts um bis zu 50 Prozent steigern. Doch Schirmer rät dazu, Einspielungen zu nutzen, um für den Markt selbst zu werben, statt für einzelne Produkte wie beispielsweise den Schoko-Weihnachtsmann – das wirke sich stärker auf den Gesamtumsatz aus.
9,5 Prozent Mehrumsatz im LEH
Auch Digital Signage oder Duftmarketing lassen sich in Verbindung von Storemoods mit der Warenwirtschaft aussteuern. Nicht alle Kund*innen erlauben jedoch den Zugriff auf ihre Daten, stellt Schirmer bedauernd eine Zurückhaltung der Branche gegenüber intelligenter Datennutzung mit Partnern fest. Mit seinem siebenköpfigen Team betreue er etwa Hagebaumärkte, regionale Restaurantketten oder Bäckereien, vor allem aber selbstständige Edeka-Kaufleute sowie einige Marken der Sektkellerei Rotkäppchen-Mumm. Laut Schirmer lässt sich durch den Einsatz der Storemoods-Software der durchschnittliche Kassenbon im Lebensmitteleinzelhandel um 9,5 Prozent steigern.
Das Engagement von DJ KI kostet bei Nutzung GEMA-freier Musik – das sind vor allem weniger bekannte Bands, die direkt an Storemoods lizensieren – für einen 100 Quadratmeter großen Laden im Abonnement einen „zweistelligen Betrag pro Monat“, so Schirmer. Die Komplettlösung von Storemoods wird umsatzabhängig berechnet, die Gebühr betrage einen „drei- bis vierstelligen Betrag“ pro Monat.
Einen Ausweg aus der verfahrenen „Wham!-Situation“ bietet Storemood den Handelskund*innen übrigens auch: Dutzende Künstler haben in den vergangenen Jahren den Song „Last Christmas“ gecovert. Neu interpretiert, in einem anderen Tempo, wippen Kund*innen vorm Regal mit dem Fuß im Takt und summen sogar die Zeilen mit – aber unterbewusst. „Das ist akzeptabel“, sagt Schirmer.