„Ist das das Ende der Schlage?“ Wer kennt ihn nicht, den gefürchteten Satz am Freitagabend im Supermarkt, der die Vorfreude auf das nahende Wochenende abrupt einfrieren und den Feierabend weit in den Abend hineinschieben kann. Doch Rettung naht. Der Retter: Amazon. Der US-Handelsriese will der Kassenschlange ein Ende setzen.
Amazon erprobt zum ersten Mal auf einer größeren Ladenfläche den kassenlosen Verkauf von Lebensmitteln. Das neue Geschäft in der US-Westküstenmetropole Seattle hat eine Fläche von gut 960 Quadratmetern – das ist in etwa die Größe eines durchschnittlichen Lidl-Discounters in Deutschland. Der Laden ist damit auch fünf Mal so groß wie die bisherigen Läden des US-Handelsriesen unter der Marke Amazon Go. Das Sortiment von 5000 Produkten ist zwar etwa um ein Drittel größer als das eines hiesigen Discounters – ein Edeka-Supermarkt bringt allerdings etwa das Zehnfache an Produkten in die Regale.
Amazon hat jahrelang an der Technologie gebastelt, der erste kleine Amazon-Go-Shop eröffnete 2016. Die Frequenz war dabei dem Vernehmen nach eine der größten Herausforderungen. Künftig soll es möglich sein, dass Kunden auf der Großfläche ihre Waren einfach aus dem Regal nehmen und den Laden verlassen – das gilt auch für loses Obst und Gemüse. Dafür registrieren Kameras und andere Sensoren wie Waagen in den Regalböden, wer welche Artikel mitgenommen hat. Der Preis wird nachträglich per App abgebucht.
Vier Hürden für Siegeszug des kassenlosen Einkaufs
Lästiges Schlange stehen an der Kasse soll damit passé sein. Wer nun sogleich das baldige Ende der Kassiererinnen und Kassierer in den Supermärkten rund um den Globus heraufbeschwört, sollte sich zunächst vor Augen führen, welche Hürden zwischen der Realität und dieser Zukunftsvision des Einkaufens stehen.
Da wären erstens die Kosten: Der Lebensmittelhandel ist ein knallhartes Geschäft mit geringen Margen und extremem Konkurrenzdruck. Selbst die größten Wettbewerber – in Deutschland sind das die Supermarktkette Edeka und die Schwarz-Gruppe mit dem Discounter Lidl – würden diese teure Technik nur zum Einsatz bringen, wenn ihre Investitionen nicht auf der anderen Seite eingesparte Personalkosten aufzehren würden.
Die zweite Hürde ist der Datenschutz: Die Technik, die Amazon selbstverständlich nicht uneigennützig entwickelt hat, eröffnet der Datenkrake ein weiteres Fenster, durch das sie die Gewohnheiten ihrer Kunden ausspähen und für die eigenen Zwecke ausnutzen kann. Daran knüpft die Frage an, wie weit der Kunde sich beim Einkaufen in der realen Welt über die Schulter schauen lässt. Natürlich kann man an dieser Stelle einwenden, der Kunde ist online schon längst gläsern. Aber ist er das mit wachsender Begeisterung oder eher mit steigendem Misstrauen? Das Gefühl des Verbrauchers ist das eine, die harte Datenschutz-Realität das andere. Es dürfte zumindest ein langer Weg sein, bis Amazon auch in Europa in die realen Warenkörbe der Kunden spicken kann.
Zwischenmenschlicher Austausch im Laden wird unterschätzt
Drittens wird auch die soziale Komponente des Live-Einkaufs immer wieder unterschätzt. Es scheint fast, als ob die Berater, die die digitale Revolution heraufbeschwören, nur selten selbst in einer Kassenschlange stehen. Sonst müssten sie gesehen und gehört haben, welchen Wert der zwischenmenschliche Austausch gerade – aber nicht ausschließlich – für die ältere Generation hat. Die niederländische Supermarktkette Jumbo hat gerade die erste „Kletskasse“ („Plapperkasse“) eingeführt, an der sich Kassierer ausdrücklich Zeit für einen Plausch mit den Kunden nehmen sollen. Jumbo denkt über die Ausweitung des Konzepts nach: Vielleicht ist es der erste Schritt zu einer „Zwei-Kassen-Gesellschaft“.
Die Alternativen sind die vierte Hürde: Wer auf den kurzen Plausch mit echten Menschen keinen Wert legt, auch da gibt es freilich eine ausreichend große Zielgruppe, der kann natürlich durch die Regale streifen, seine Einkäufe einsammeln und diese ohne Zahlungsvorgang nach Hause tragen. Allerdings sei an dieser Stelle die Frage erlaubt, ob nicht die Zeit- und Aufwandsersparnis ungleich größer wäre, würde er sich die Einkäufe direkt nach Hause liefern lassen. Einkaufen per App, der Online-Lebensmittelversand, ist auch ein Feld, in dem Amazon maßgeblich mitmischt, das aber nur schleppend vorankommt. Die Kassierer dürften sich sobald nicht nach neuen Jobs umschauen müssen.