Kartellamt besorgt über Marktmacht der Handelskonzerne

Freundlich ausgedrückt ist das Verhältnis der Marktpartner im Lebensmitteleinzelhandel unausgewogen. Spitzer formuliert nutzen die großen Handelskonzerne ihre Nachfragemacht, um Preise bei ihren Lieferanten zu drücken und weitere Vorteile auszuhandeln. Einer weiteren Verschlechterung der Wettbewerbsverhältnisse müsse das Bundeskartellamt konsequent entgegenwirken, erklärt Behördenpräsident Andreas Mundt.

Das Bundeskartellamt hat jetzt seinen Bericht zur Sektoruntersuchung der Nachfragemacht im Lebensmitteleinzelhandel vorgelegt. Dokumentiert werden darin die Wettbewerbsbedingungen zwischen den Lebensmitteleinzelhandelskonzernen auf der einen und ihren Lieferanten auf der anderen Seite. Wie Mundt betont, handelt es sich in Deutschland um einen stark konzentrierten Markt: „Edeka, Rewe, Aldi sowie die Schwarz Gruppe mit den Lidl-Märkten und Kaufland stehen für rund 85 Prozent des Marktes. Der Einkauf der Händler erfolgt dabei ganz überwiegend im Inland, so dass die Betrachtung der Marktverhältnisse in Deutschland entscheidend ist.“ Würden die Nachfragevolumina in der Vertriebsschiene Lebensmitteleinzelhandel betrachtet, so mache die Spitzengruppe gemeinsam ebenfalls circa 85 Prozent der gesamten Beschaffungsvolumina aus.

Auch große Hersteller mit bekannten Marken unter Druck

Die großen Handelskonzerne hätten bereits jetzt einen gravierenden Vorsprung gegenüber ihren mittelständischen Konkurrenten und würden strukturelle Vorteile genießen, die sie in den Verhandlungen mit den Herstellern nutzen könnten. Der Verhandlungsmacht der Händler könnten im Einzelfall auch große Hersteller mit bekannten Marken ausgesetzt sein, soweit es ihnen de facto an Ausweichalternativen für den Absatz über die großen Handelsketten fehle. „Zunehmende Bedeutung für die Verhandlungen über die Einkaufskonditionen haben auch die Eigenmarken der Händler“, sagt Mundt weiter.

Handel soll sich zu fairem Verhalten verpflichten

Der Wettbewerbsbehörde liegen zahlreiche Beschwerden vor. In verschiedenen Verfahren der Behörde, etwa der Fusion von Edeka und Trinkgut, der Überprüfung der geplanten Beschaffungskooperation zwischen Rewe und Wasgau oder zuletzt dem Missbrauchsverfahren gegen Edeka wegen Verstoß gegen das Anzapfverbot, war das Thema Nachfragemacht bereits Gegenstand der kartellrechtlichen Bewertung. Auch politisch wird das Thema diskutiert – auf der europäischen Ebene führte dies bereits zu konkreteren Forderungen nach einer Regulierung oder Selbstverpflichtung der Branche zu „fair practices“ bei den Verhandlungen.

Die Ergebnisse der Sektoruntersuchung belegen, dass die heute bereits hoch konzentrierte Marktstruktur auf den Lebensmitteleinzelhandelsmärkten Gefahr läuft, sich weiter zu verschlechtern. Somit müsse die strenge Linie des Bundeskartellamtes in der Fallpraxis konsequent fortgesetzt werden, heißt es in den Erläuterungen zum Bericht.

Konzentrationsprozess auch auf Seiten der Hersteller

Die Ergebnisse im Einzelnen:

  • Edeka weist im Verhältnis zu ihren jeweiligen nächsten Wettbewerbern eine etwa doppelt so hohe Gesamtverkaufsfläche sowie eine doppelt so hohe Standortdichte auf und ist gemessen an Umsatz, Beschaffungsanteilen bei Herstellermarken, der Verkaufsfläche und der Standortzahl der bei weitem führende Anbieter in Deutschland. Bei Handelsmarken hat insbesondere der Discounter Aldi eine herausragende Stellung. Allerdings zieht Edeka in einigen der untersuchten Märkte selbst bei Handelsmarken den größten Anteil am Gesamtbeschaffungsvolumen auf sich.
  • Die Mitglieder der Spitzengruppe als größte Nachfrager nach Markenartikeln haben einen strukturellen Vorteil im horizontalen Vergleich zu ihren Wettbewerbern und im Vertikalverhältnis zu ihren Lieferanten. Die hiergegen vorgebrachten Einwände führender Handelsunternehmen konnten empirisch widerlegt werden.
  • Die sehr weitgehenden Einkaufskooperationen der „neuen Generation“ verbessern in der langfristigen Perspektive die Verhandlungsposition der marktführenden Lebensmitteleinzelhändler deutlich. Diese sehr engen Beschaffungskooperationen mit einer weitreichenden Zusammenführung von Unternehmensfunktionen sind häufig mit einer Marktbereinigung zu Gunsten der führenden Lebensmitteleinzelhändler verbunden. Es gibt auch Hinweise darauf, dass die in Kooperationen von Marktführern und kleineren Partnern erzielten Konditionen nicht immer vollständig an den oder die kleineren Partner weitergegeben werden.
  • Die These, die Herstellerseite sei weit überwiegend zersplittert, ist so nicht zutreffend. Auch bei der Herstellung von Lebensmitteln vereint eine heterogene Spitzengruppe von jeweils höchstens vier Unternehmen unterschiedlicher Größe in allen untersuchten Beschaffungsmärkten den wesentlichen Teil des Angebotes auf sich. Der Konzentrationsprozess auf Herstellerseite ist eine naheliegende Konsequenz der hohen Konzentration der Nachfrageseite.

Erheblicher Vorteil gegenüber kleineren Wettbewerbern

  • Die Unternehmen der Spitzengruppe sind weitgehend in der Lage, ihre starke Marktposition in den Verhandlungen mit der Lebensmittelindustrie zu ihrem Vorteil zu nutzen. Dies verstärkt die Verhandlungsmacht der Händler gegenüber den Herstellern und stellt einen erheblichen strukturellen Vorteil gegenüber den kleineren Wettbewerbern des Lebensmitteleinzelhandels dar.
  • Verhandlungsmacht auf Herstellerseite kann auch gegenüber großen Handelsunternehmen bestehen, wenn über Produkte mit einer besonderen Markenstärke verhandelt wird. Eine entsprechende Markenstärke wurde allerdings nur in einem sehr geringen Anteil (circa 6 Prozent) der Markenartikel der Stichprobe festgestellt.
  • Nicht belegt werden konnte die These, dass oft auch kleine Nachfrager bessere Konditionen erhalten als die Mitglieder der Spitzengruppe. Die empirische Untersuchung hat insgesamt – erwartungsgemäß – bestätigt, dass sich hohe Abnahmemengen bei der Aushandlung von Konditionen zwischen Handel und Industrie vorteilhaft für die Handelsseite auswirken.
  • Handelsmarken gewinnen an Bedeutung, sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht. Das Angebot einer eigenen Handelsmarke durch einen Händler führt tendenziell zu einer Verbesserung seiner Verhandlungsposition im Verhältnis gegenüber dem Hersteller. Fallkonstellationen, in denen sich in der Empirie andere Effekte gezeigt haben, will das Bundes-kartellamt mit den Marktteilnehmern im Nachgang zur Sektoruntersuchung diskutieren. Im Vergleich der Handelsunternehmen untereinander bewirkt ein breites Angebot an Handelsmarken einen Strukturvorteil eines Händlers gegenüber seinen Wettbewerbern.

(Bundeskartellamt/asc)