Von Gastautor Achim Himmelreich (Capgemini), Vizepräsident Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW)
Kaum eine Entwicklung unterstreicht das besser als die Veränderungen in der Reisebranche. Natürlich reisen wir – abgesehen von Ansätzen im Bereich Virtual Reality – in naher Zukunft weiterhin analog. Aber fast das komplette Drumherum hat sich gewandelt: Innerhalb nur weniger Jahre wurden die meisten gelernten Mechaniken umgekrempelt, viele Geschäftsmodelle sind bei weitem nicht mehr so lukrativ, wie sie es einmal waren. Die Pauschalreise zuhause online zu buchen ist oft bequemer, basiert auf zahlreichen Informationsquellen wie Bewertungsportalen und ist nicht selten sogar günstiger. Das war eine der ersten Ausprägungen der sich digitalisierenden Reisebranche.
Die weitaus folgenreichere Entwicklung in der Digitalisierung der Reisebranche aber ist eine andere, noch weitaus jüngere: die Share Economy. Wer hätte vor zehn Jahren prognostizieren können, dass ein Anbieter von Unterkünften, der nicht ein Hotel besitzt, keine Reinigungskräfte angestellt hat und kein Frühstück anbietet, dennoch das größte Angebot der Welt hat? Airbnb ist es gelungen, mit diesem Geschäftsmodell die Regeln eines Spiels, dessen Teil sie zuvor nie waren, neu zu schreiben. Dass es sich hierbei um ein rein digitales Geschäftsmodell handelt, lässt die meisten Theorien über Marktzugänge für Newcomer ziemlich antiquiert wirken. Hier konnte ein Unternehmen den Hotelmarkt aufmischen, ohne mit Hotels in deren Kernkompetenzen überhaupt konkurrieren zu müssen.
Digitalisierung ist mehr als Technologie
Das Beispiel Airbnb ist dabei nur eine Ausprägung einer breiten Entwicklung hin zu Share Economy – das Verlangen, Güter oder Produkte besitzen zu müssen, weicht der Aussicht auf ständige Verfügbarkeit dieser Dinge. Vor zehn Jahren stellten sich Filmenthusiasten ihre Regale voll mit DVDs und Blurays – heute geht der Trend zum Streaming-Abo. Gleiches im Bereich Musik – allein die Möglichkeit, ständig Zugriff auf eine unglaubliche Menge an Musiktiteln zu haben, treibt den meisten beim Gedanken an den Dreifach-CD-Wechsler ein Schmunzeln ins Gesicht.
Besitz war früher schlichtweg die Bedingung dafür die Dinge auch nutzen zu können. Digitale Technologien wie Streamingdienste ermöglichen die Nutzung ohne Besitz in einer besseren, bequemeren und vielfältigen Weise. Das Besondere im Tourismusbereich ist aber die Tatsache, dass die nutzbaren Dinge eben schon da sind: Die Häuser stehen schon, werden aber nicht zu 100 Prozent genutzt. Airbnb als digitale Plattform nähert sich dieser hundertprozentigen Nutzungsquote jedoch mit geringem Aufwand an – genauso wie Uber oder Lyft. Und das wird erst der Anfang sein – in naher Zukunft wird jedes touristisch nutzbare Asset (Boot, Fahrrad, Campingstellplatz …) in „den Sog der digitalen Plattformen“ geraten und Teil eines Angebotes werden.
Auffällig: Der große Wurf gelingt praktisch nie den deutschen Dies liegt augenscheinlich an der spezifischen Deutschen Industriekultur, die man als „produktorientiert“ beschreiben kann. Sie ist auch Erfolgsgarant unserer weltweiten Erfolge in vielen Branchen, allen voran Maschinen- und Automobilbau. Wollen wir aber im Tourismus der Zukunft eine Rolle spielen dann müssen wir den Wechsel hin zu einer plattformzentrierten Denkweise schaffen.
Über den Autor: Achim Himmelreich ist seit Juni 2013 Vizepräsident des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft (BVDW) und verantwortet dort unter anderem das Themenfeld Digitalisierung. Hauptberuflich ist er Director Digital Transformation Consumer Products & Retail bei Capgemini.