Beim alljährlichen Grand Prix der Branche, dem Deutschen Dialogmarketing Preis (ddp), wurden 14 Gold-, 22 Silber- und 23 Bronzemedaillen an Agenturen vergeben. Wieder mal eine stattliche Ausbeute und doch war eines anders als sonst. „Nie ging es so spannend zu und nie lag das Feld der Gewinner so dicht beieinander“, stellte Jury-Vorsitzender Michael Koch fest. Die Agentur Wunderman holte zwölf Medaillen und Auszeichnungen, erhielt dafür 28 Punkte und wurde schließlich Klassenprimus. Der spürte gleichwohl den Hauch der Verfolger im Nacken. Red Urban erreichte mit 22 Punkten als Vizemeister das Ziel, dicht gefolgt von Scholz & Friends (21 Punkte) und G2 Germany (20). Dass im Gegensatz zu früheren Jahren keiner den Wettbewerb dominierte, bezeichnete Koch als „deutlichen Paradigmenwechsel“.
Ein Begriff, der nicht nur den Wettstreit der Agenturen kennzeichnet, sondern auch auf die Veränderungen in der gesamten Profession zutrifft. Die technologische Entwicklung hat in kürzester Zeit neue Instrumente, Wege und Formen der Kommunikation entstehen lassen. Eine Unübersichtlichkeit, an der manche verzweifeln mögen – und die andere als extrem spannend empfinden. „Dialog ist künftig überall. Darauf müssen wir uns einstellen“, sagt Jens Cornelsen, Geschäftsführer des Marktforschungsinstituts Defacto Research & Consulting in Erlangen (siehe Interview ab Seite 68). Doch es ist nicht damit getan, sich Trendbegriffe wie „Multichannel- Marketing“ ans Revers zu heften und möglichst viele Kanäle zu befüllen und zu kombinieren. Cornelsen warnt vor dem einseitigen Blick auf das technisch Machbare. Denn dem Kunden sei der Kanal eigentlich egal. „Wir müssen konsequent seinen Bedürfnissen und seinem Verhalten folgen“, betont der Customer-Relationship-Management-(CRM)-Experte. Durch die aktuelle Studie „Cross-Channel-Marketing: How to optimize customer journey?“ sieht er sich bestätigt. Je nach Status (Stammkunde, Neukunde, Nichtkunde, Passiver) und Anlass (Sonderangebote, neue Kollektion, Filialeröffnung, Bonusaktionen) erweisen sich unterschiedliche Medien als besonders (un-)geeignete Kontaktpunkte.
Axel R. Paesike, Country Manager des Direktmarketing-Dienstleisters Emailvision, betont die Bedeutung von „Customer-Intelligence“. Frei übersetzt: Je besser die Kundendaten, desto gezielter und besser kann Kommunikation funktionieren. Beispiel: Durch die Analyse von Nutzern, die im Webshop ihren Warenkorb bereits gefüllt haben und dann den Bestellvorgang abbrechen, lassen sich eigene Unzulänglichkeiten identifizieren, aber auch das Informations- und Kaufverhalten des Kunden besser verstehen. „Dadurch wird eine genauere Online-Kommunikation möglich und ein höherer Level an Relevanz, Angemessenheit und Timing erreicht“, erklärt Paesike. Im Idealfall sinken Mail-Kontaktvolumen und die gesamten Marketingkosten, während Response-Rate und Kundenzufriedenheit steigen.
Für das Dialogmarketing erscheinen Social-Media-Plattformen wie geschaffen, weil sie direkten Austausch, Echtzeit-Kommunikation und Rückkopplung ermöglichen. Doch „manchmal scheint es, als ob Marketingverantwortliche außer Facebook nichts mehr in ihren Browser lassen“, kritisiert Direktmarketing-Profi Paesike. Als Kardinalfehler im Social-Media-Marketing geißelt er, „digitale Netzwerke mit Angeboten und Produkten wie ein Marktschreier zu überschwemmen. Das Publikum im Web 2.0 ist schließlich in erster Linie Community und nicht Kundschaft.“ Ein Blog oder eine Fanseite auf Facebook kann einer Marke aber sehr wohl nutzen. Zudem lässt sich dort gut beobachten, welche Themen die Zielgruppe bewegen. Eine Steilvorlage für Shopbetreiber, findet Paesike. „Sie können Ideen, Anregungen, Kritik aufgreifen und daraus individualisierte Newsletterkampagnen realisieren.“
Die junge Disziplin des „Social Gaming“ ebnet ebenfalls neue Wege im Dialogmarketing. Rund 23 Millionen Deutsche spielen regelmäßig am Computer. Dabei erleben Online- und Browser-Games einen wahren Boom, wie Kai Vorhölter feststellt. Der Geschäftsführer der Stuttgarter Agentur Avance Marketing sieht „hervorragende Möglichkeiten, Kunden zu qualifizieren und ihnen Produkte auf spielerische Weise nahezubringen“. Beispiel Bausparkasse: Sie kann Social Gaming einsetzen, um etwa Bausparverträge informativ zu präsentieren. Mit steigendem Schwierigkeitsgrad sammeln die Mitspieler Punkte und gewinnen kleine Incentives. Die Aufgaben haben stets einen Bezug zum Thema, zum Beispiel Zinsrechenaufgaben oder ein virtueller Baggerparcours. Am Ende erhält der Spieler dann einen Preis, den er in der Filiale abholen kann oder der zur Eröffnung eines Online-Kontos führt. „Wichtig ist, dass das Unternehmen mit dem Spieler in Kontakt kommt“, sagt Vorhölter. Bei einem Social-Gaming-Konzept seien drei zentrale Bausteine zu beachten: virale Aktivität (miteinander wetteifern, andere einladen, sich vernetzen), das kreative Ausnutzen von Edutainment-Varianten und abgeleitete Marketingaktionen.
Die Aufgabe, möglichst viele und wirkungsstarke Kontaktpunkte zu schaffen, wird durch die Vielzahl an Kanälen nicht einfacher, aber herausfordernder. Auch im B-to-B-Sektor, wie ein Beispiel von Henkel zeigt. Deren Loctite-Sofortklebstoffe sind vielseitig einsetzbar: In der herstellenden Industrie, in der klassischen Werkstatt sowie im Service- und Wartungsgeschäft werden Sofortklebstoffe gern genommen. Die aktuelle europaweite Dialog- und Informationskampagne läuft unter dem Titel „Instant Trust, Constant Innovation“ und soll Verbesserungen wie die erhöhte Temperaturbeständigkeit und somit die Innovationskraft des Produkts in den Vordergrund stellen.
Als Appetitmacher für die anvisierten Geschäftskunden fungieren Printmailings in 25 Sprachen und mit personalisiertem QR-Code. Durch eine beigelegte 3-D-Brille können die Empfänger auf der Kampagnenwebsite die Intro-Animation dreidimensional betrachten, sich danach segmentspezifisch informieren und einen interaktiven Produktfinder nutzen. Um die Qualitäten des Sofortklebstoffs zu veranschaulichen, werden Filme gedreht, zum Beispiel bei einem Lampendesigner in Mailand und dem schwedischen Reifenspezialisten Däckproffsen. Der klebt mithilfe von Loctite Metallspikes in die Reifen, die sich dann bei einer Winterrallye bewähren müssen. Die Videos sind über den Youtube-Kanal direkt in die Website eingebunden.
Die Verbindung vom Werben zum Verkaufen stellt das Leadmanagement-System eDialog der beauftragten Werbeagentur WOB aus Viernheim her. Dadurch ist es Henkel möglich, europaweit den Vertrieb direkt mit qualifizierten Leads aus der Kampagne zu versorgen. Die Mitarbeiter erfahren, wo ein Anruf oder ein Besuch aktuell erfolgversprechend sein könnte. Die gewählte Mechanik zahlt sich aus: Ein kräftiger Offline-Impuls wird rasch mit vielen konkreten, nützlichen Informationen vertieft und dann mit dem Vertrieb vernetzt. Henkel ist mit dem Ergebnis zufrieden: Nach dem ersten Impuls liegt die Response-Quote bei über zehn Prozent.
Rauchmelder verströmen nicht gerade einen Charme des Begehrenswerten. Also sind bei Minol Messtechnik Fantasie und kreative Einfälle gefragt. Das Stuttgarter Unternehmen, spezialisiert auf Heizkostenabrechnung und Energiemanagement von Immobilien, bietet auch einen Rauchwarnmelder-Service für Wohnungen an. In der Regel sind die Eigentümer für die Installation und Wartung der Geräte zuständig, alle damit zusammenhängenden Aufgaben können aber an einen Dienstleister delegiert werden – ein Geschäft, für das sich Minol bewirbt.
In Zusammenarbeit mit der Agentur RTS Rieger Team entsteht die „Schutzengel-Kampagne“. Adressiert an Wohnungsgesellschaften, Vermieter und Verwalter, lautet die Botschaft: „Mit dem Rauchwarnmelder-Service von Minol retten Sie im Ernstfall das Leben Ihrer Mieter und werden so zu deren Schutzengel.“ Die Kampagne umfasst Anzeigen in Fachmedien der Immobilienwirtschaft, Produktbroschüren, Mailings an Kunden und ein Rauchmelder-Video, das auf der eigenen Website und auf Social-Media-Kanälen wie Youtube zu sehen ist. Teil des Konzepts ist zudem die Verknüpfung von Dialogmarketing und Vor-Ort-Events. In mehreren Städten lädt Minol zum After-Work-Barbecue. Dort wird, quasi nebenbei, das Fachthema kurzweilig präsentiert. Nicht per Powerpoint, sondern mit einem Rauchhaus aus Plexiglas, das den Rauchmelder aktiviert und das Alarmsignal ertönen lässt. Minol lässt Worten auch Taten folgen und schlüpft selbst in die Rolle des Schutzengels, indem die Firma an den Verein Paulinchen (kümmert sich um Brandopfer) spendet. „Unser Konzept, ausgewählte Kunden in lockerer Atmosphäre zusammenzubringen, um sie über die Gesetzeslage in ihrem Bundesland, die Funktionsweise von Rauchmeldern und unseren Service zu informieren, ist aufgegangen“, sagt Minol-Marketingleiter Vianney de La Houplière.
Die Zielgruppe, Geschäftsführer und technische Leiter von Wohnungsgesellschaften und Immobilienverwaltungen, wurde auf Vorschlag der regionalen Niederlassungen per Mailing eingeladen. Das Ziel, aus jeweils rund 500 angeschriebenen Adressen einen Teilnehmerkreis von 25 Teilnehmern zu rekrutieren, hat Minol erreicht. „Wir haben viele positive Rückmeldungen erhalten“, berichtet de La Houplière. Zudem bietet die Kampagne Anlass für Nachfassaktionen des Vertriebs. Die Barbecue-Tour soll fortgesetzt werden.
Von kreativen Dialogideen profitiert auch die PR, wie das Fachmedienunternehmen IDG in München zeigt. Das erkannte Problem: Öffentlichkeitsarbeiter suchen Kontakt zu Redaktionen, ihre Anfragen landen aber im Mail-Papierkorb. IDG lud nun zum „Speed-Dating“. Mehr als 200 angemeldete Gäste konnten sich da mit Journalisten zum persönlichen Gespräch verabreden. Zudem gab es einen „Meet the Press Pitch“: In jeweils fünfminütigen Video-Interviews mit einem IDG-Moderator hatten die PR-Leute Gelegenheit, über ein wichtiges Thema ihres Unternehmens zu sprechen. „Ein innovatives Networking-Format, das für beide Seiten Vorteile bringt: Die Unternehmen lernen uns und unser Portfolio besser kennen und wir schaffen einen Draht zu Redaktionen“, sagt IDG-Vorstand York von Heimburg.
»Jeder Kunde hinterlässt Spuren«
Das Gespräch führte Roland Karle.
Im digitalen Netz entwickeln sich CRM und Dialogmarketing zum Navigator der Kommunikation, sagt Defacto-Geschäftsführer Jens Cornelsen.
Im Vergleich zu heute war das Straßennetz der Kommunikation noch vor einigen Jahren ziemlich übersichtlich. Die vielen neuen Möglichkeiten – sind sie Fluch oder Segen für Werbungtreibende?
JENS CORNELSEN: Wohl eher Fluch. Kommunikation ist zwar vielfältiger geworden, aber nicht zuletzt wegen der Schnittstellenprobleme auch komplizierter. Unternehmen folgen einer bestimmten internen Struktur, die sich an den Medienkanälen entlang orientiert. Nur: Den Kunden interessiert das nicht.
Was raten Sie?
CORNELSEN: Marken müssen sich bemühen, sozusagen in den Rucksack des Kunden zu kommen. Aus der Perspektive heraus lernen sie viel besser die Wege des Kunden – online wie offline – in puncto Informations- und Kaufverhalten kennen. Das erfordert eben auch: weg vom bisherigen Silodenken. Bislang konzentriert man sich zu sehr auf die Technik, entwickelt aus dem Kanaldenken heraus Lösungen, statt die Bedürfnisse der Zielgruppe in den Mittelpunkt zu stellen.
Es sind also viele Spezialisten unterwegs, aber die fahren fröhlich durcheinander?
CORNELSEN: Richtig. Der Leiter Social Media optimiert den Facebook-Auftritt, der Webshop-Manager kümmert sich um den Online-Verkauf – das tut jeder für sich. Aber die Kunst besteht in der Verzahnung. Denn Kunden sind der Medienkanal und technische Besonderheiten letztlich egal.
Eine Kernaussage Ihrer aktuellen Studie lautet, dass nicht der Absender, sondern der Empfänger den Kommunikationskanal bestimmt. Das war doch schon immer so.
CORNELSEN: Aber die Folgen sind bei der Fülle an Möglichkeiten erheblich, zumal die digitalen Medien auch zu einer bislang nicht gekannten Kundendemokratisierung geführt haben. Verbraucher sind heute versierter, cleverer im Umgang mit Medien, nutzen Touchpoints vielseitig, sie sind agil und bewegen sich von einem Medium zum anderen. Kunden sind für Werbungtreibende ganz schwer zu orten und zu adressieren.
Und nun?
CORNELSEN: Das ist eine große und spannende Herausforderung für das Customer-Relationship-Management (CRM). Unsere Studie hat dabei einige Vermutungen und Beobachtungen aus der Praxis bestätigt, vor allem, dass je nach Kundenlebenszyklus-Phase Medien und Inhalte sehr unterschiedlich genutzt werden.
Zum Beispiel?
CORNELSEN: Ein digitaler Newsletter kommt bei einem Neukunden noch viel besser an als etwa bei Stamm- oder Nichtkunden. Oder mit anderen Worten: Neukunden zu gewinnen – dafür eignen sich Empfehlungsmarketing, die eigene Website und der Onlineshop gut. Um ihn nachhaltig zu binden, muss man allerdings Ansprache und Kontaktpunkte gekonnt variieren.
Welche Kanäle werden künftig dominieren?
CORNELSEN: Ob man will oder nicht: Die Welt tickt immer mehr online. Das Internet ist die Eingangstür zur Kommunikation, eindeutig. Im digitalen Netz treffen sich die Lebenswelten. Und die Beziehung von Marke und Kunden wird dialogischer.
Wie steht es um die Relevanz von Social Media für das Marketing?
CORNELSEN: Da war ich in der Vergangenheit durchaus skeptisch, muss aber konstatieren: Der Paradigmenwechsel ist vollzogen. Facebook & Co. sind unbestreitbar Verkaufshelfer, wenn auch eher indirekt und schwer messbar. Wir haben in einer Untersuchung festgestellt, dass der Absatz steigt, wenn Personen Fan einer Marke auf Facebook sind. Hinzu kommt, dass der Kern von Social Media „Word of Mouth“ ist, also Empfehlungsmarketing. Und das spielt vor allem für die Gewinnung von Nichtkunden und die Bindung von Neukunden eine wichtige Rolle.
Sie sagen: „Dialog ist künftig überall.“ Was bedeutet das für die Werbungtreibenden?
CORNELSEN: Jeder Kunde hinterlässt Spuren. Auf der Website, im Onlineshop, im Kundenclub. Und bald auch flächendeckend im interaktiven Fernsehen. Intelligentes Dialogmarketing schafft es, Datenbankinformationen mit diesen Online-Spuren zu verbinden – wohlgemerkt unter Beachtung der Datenschutzregeln.
Wie sieht das konkret aus?
CORNELSEN: Wenn Sie sich auf der Kundenclub-Seite einloggen, wissen wir bereits, welche Produkte Sie schon gekauft haben, was Ihre Präferenzen sind und was Sie womöglich noch brauchen können. Wir kennen also Ihren Warenkorb sehr gut und können Gruppen- und Profilvergleiche anstellen. So wird die Informationstiefe über den einzelnen Kunden weiter verfeinert. Das macht ihn einerseits ein Stück mehr gläsern, nutzt ihm aber, weil er individueller angesprochen werden kann. Da sind wir auf dem Weg zu einem in der Tat kundenzentrierten CRM-Targeting.
Wie werden Dialogmarketing-Kampagnen künftig aussehen?
CORNELSEN: Sie werden individueller gestaltet und gezielter ausgeliefert, sind auf jeden Fall crossmedial angelegt, virtuos nach Anlässen und über einzelne Touchpoints gesteuert. Alles wird filigraner und ist auf Rückkopplung ausgelegt. In der höchsten Ausbaustufe wird ein CRM-System so zum Navigator der Kommunikation.