Von Luca M. Schallenberger
Mit „Schlampe“ kommentiert ein ehemaliger Chef das Bild einer Ex-Mitarbeiterin öffentlich auf Facebook. Derjenige, der den Kommentar verfasst, ist aber nicht irgendein Ex-Chef, sondern hochrangiger Mitarbeiter bei Scholz & Friends. Einer der renommiertesten Agenturen Deutschlands, vielleicht sogar der Welt. Ein Einzelfall? Wohl kaum.
Im Sommer 2020 veröffentlichte die „Zeit“ einen Artikel über Scholz & Friends, in dem mehrere Mitarbeiter*innen schwere Vorwürfe gegen die Agentur erheben. Es geht nicht zuletzt um strukturellen Sexismus, der bei Scholz & Friends wohl mindestens geduldet wurde.
Ad Girls Club gegen Sexismus
Der Aufschrei in der Branche ist groß, so groß, dass die Agentur handeln und diverse Maßnahmen anstoßen muss, um dem Sexismus entgegenzuwirken. Fast zeitgleich gründet sich im Sommer 2020 ein – noch – gesichtsloses Kollektiv: der Ad Girls Club. Sie verschreiben sich dem Kampf gegen Sexismus in der Werbebranche. Keine leichte Aufgabe, denn: Scholz & Friends ist nur der Gipfel des Eisberges.
Das Problem Sexismus sitzt tief in der Agenturwelt und bestimmt seit Jahrzehnten den Alltag mit: Frauen in Führungspositionen, gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit? Fehlanzeige. Und das waren nur zwei Beispiele.
Zurück ins Hier und Jetzt. Mittlerweile ist bekannt, wer hinter dem Ad Girls Club steckt: Lisa Eppel und Isabel Gabor. Beide kommen selbst aus der Branche, haben also einen guten Einblick, was ihre Kolleg*innen beschäftigt und welche Probleme die Branche hat. Gabor zum Beispiel arbeitete unter anderem bei Scholz & Friends als Senior Copywriterin, bevor sie 2019 in gleicher Position zu ihrem jetzigen Arbeitgeber Grabarz XCT wechselte. Lisa Eppel arbeitet heute als Senior Account Managerin bei The Goodwins, auch sie war zuvor für Scholz & Friends tätig – als Senior Account Managerin.
Frau Gabor, Frau Eppel, auf Instagram bezeichnen Sie die Sängerin Beyoncé als „Queen“ Ihrer „Herzen“. Wie viel von ihr steckt in Ihnen?
ISABEL GABOR: Sehr, sehr viel.
LISA EPPEL: Ich glaube, in Isabel noch viel mehr als in mir.
Vor Kurzem haben Sie Ihr Manifest veröffentlicht. Die Forderungen aber standen größtenteils schon vorher. Wieso haben Sie sie noch einmal in ein Manifest gegossen?
Gabor: Wir wollten schon lange mit den Agenturen zusammenarbeiten und wir haben uns überlegt, wie das möglich wäre: Wie können wir von Agenturen Bekenntnisse bekommen, die nicht nur von innen nach außen getragen werden, sondern auch von außen kontrolliert werden können. Was Agenturen nämlich sagen und dann tatsächlich machen, sind zwei unterschiedliche Dinge.
Eppel: Uns war es wichtig, dass unsere Forderungen mehr Substanz bekommen, sie handfester werden. Und nicht nur eine Floskel sind, die so dahergesagt wird.
Damit messbar ist, ob die Forderungen erfüllt werden?
Eppel: Nicht unbedingt anhand einer konkreten Zahl bis zu einem gewissen Zeitpunkt. Jede Agentur muss wirtschaften. Und wir müssen mit unserem Manifest so viele Agenturen wie möglich einschließen. Für eine kleine Agentur mit zehn Personen sind die Ziele eine größere Herausforderung als für eine Netzwerkagentur mit 500 Mitarbeiter*innen. Ist es dann sinnvoll, zu sagen, bis 2022 müsst ihr alle diese Quote erreicht haben? Finden wir nicht. Sexismus ist ein strukturelles Problem, das so viele wie möglich versuchen müssen zu lösen. Nicht nur zwei, drei Agenturen.
Gabor: Seit dem Shitstorm um Scholz & Friends gibt es Agenturen, die sich sehr stark und PR-trächtig positioniert haben. Wir stehen aber nicht auf diesen Einzelkampf. Um einen Wandel in der Branche zu erreichen, müssen alle diesen Wandel wollen. Also grundsätzlich ist jede Maßnahme gegen Sexismus super, aber wenn ich Sexismus nur in meiner Agentur abschaffen will, dann will ich nicht Sexismus abschaffen, sondern mich damit profilieren und es zu meinem Thema machen. Aber dieses Thema sollte keine Agentur ownen, sondern die Branche. Alle gemeinsam. Zusammen. Im Austausch.
In Ihrem Manifest richten Sie sich an die Agenturseite und nicht auch an Kund*innen. Wieso?
Gabor: Weil wir als Agenturen Kund*innen beeinflussen.
Eppel: Ich als Beraterin gehe auf Kund*innen zu und berate sie zum Beispiel zum Thema Gendern. Das kann ich aber nicht als Einzelkämpferin machen, sondern im Idealfall habe ich eine starke Agentur im Rücken, die mit einer ganz klaren Haltung hinter mir steht und sagt: „Ja, Frau Eppel hat recht, wir gendern hier. Und nein, wir werden dieses Bildmaterial so nicht produzieren.“ Deshalb ist es wichtig, die Agenturen auf Linie zu bringen und dann geschlossen an die Kund*innen heranzutreten.
Kurz und knapp zusammengefasst: Wieso ist Gendern wichtig?
Gabor: Weil wir nicht einfach einen Teil der Gesellschaft in unserer Sprache exkludieren können, nur weil es vielleicht bequemer ist. Jeder Mensch hat das Recht, in unserer Sprache abgebildet zu werden. Gleichzeitig ist Repräsentation auch einfach superwichtig, denn Sprache formt Denken.
Zu den ersten Unterzeichner*innen des Manifests gehören namhafte Agenturen wie Grabarz & Partner, Brandneo oder The Goodwins. Haben sich schon weitere bei Ihnen gemeldet?
Gabor: Ja, tatsächlich sind sehr viele Anfragen bei uns eingegangen. Auch von vielen namhaften Agenturen. Wir freuen uns riesig darüber. Aber natürlich kann nicht jede*r unterkritzeln, das ist ja der Unterschied. Wir checken alle Agenturen. Es bringt nichts, wenn wir hundert Agenturen auf einem Manifest haben und 50 Prozent davon meinen es nicht ernst.
Es ist also ein Prozess, den Sie mit den Agenturen durchlaufen.
Beide: Genau.
Sie haben gerade gesagt, „sehr viele“ haben sich gemeldet. Wie viele genau?
Eppel: Um die 30 auf jeden Fall.
Kommen wir auf den GWA zu sprechen. Sie haben gefordert, dass der Verband Ihre Forderungen unterstützt. Das macht er auch. Unterschrieben aber hat er das Manifest nicht. War das ein Kompromiss für Sie?
Gabor: Nein. Der GWA kann nicht für alle Mitgliedsagenturen unterschreiben. Dann hätten wir wieder genau das, was wir nicht wollen: Agenturen, die zwar drauf-, aber gar nicht dahinterstehen.
Wie gehen Sie mit einer Agentur um, die sich zu Ihren Zielen committet, aber im Nachgang kein ernsthaftes Interesse an den Tag legt?
Eppel: Dann sagen wir: „Mach’s gut.“ Wir gehen aber davon aus, dass die Agenturen, die sich melden, es auch ernst meinen.
Wenn wir einen Blick auf die Unternehmensseite werfen: Warum sollten Marketing-Entscheider*innen darauf achten, dass sich eine Agentur gegen Sexismus einsetzt und Themen wie das Gendern ernst nimmt?
Eppel: Sich gegen Sexismus einzusetzen, sollte ja wohl selbstverständlich sein. Wir denken, Sexismus kann nur da entstehen, wachsen und gedeihen, wo er durch sexistische Strukturen entweder gefördert oder zumindest geduldet wird. Unternehmen sollten sich dort klar positionieren und entsprechenden Druck aufbauen. In der von Agenturen geschaffenen Werbung wird schließlich ihre Marke repräsentiert. Abgesehen davon glauben wir daran, dass eine Marke, die sich stark gegen Diskriminierung positioniert, eine viel stärkere Strahlkraft hat und erfolgreicher ist.
Sie sind beide durch Ihre Vollzeitjobs in den Agenturen eingespannt. Wann bleibt da noch Zeit für den Ad Girls Club?
Eppel: Klar, wir machen das total gern. Gerade aber ist es sehr viel und wir machen das in unserer Freizeit. Wir müssen schauen, ob das in Zukunft noch mit einer Vollzeitstelle vereinbar ist.
Gabor: Wir haben das ganz anders gestartet. Wir sind nicht mit der Meinung rein: „Wir werden mal ein Unternehmen und jede*r wird uns kennen.“ Wir fanden die Strukturen scheiße und haben das sehr offen und radikal mitgeteilt. Wir hatten Glück, das Richtige angesprochen zu haben und dass Mitarbeiter*innen uns sehr vertraut haben. Dass das jetzt eine Professionalität erreicht, die wir nicht geplant haben, bringt auch mit sich, dass wir teilweise überfordert sind.
Gibt es schon konkrete Pläne zur gerade angesprochenen Unternehmensgründung?
Gabor: Ja. Wir merken einfach total, dass es an der Zeit ist, sich weiter zu professionalisieren. Konkreter heißt das, dass wir unser Angebot für Agenturen ausbauen, um gemeinsam den Wandel voranzutreiben. Gleichzeitig bleiben wir aber natürlich Sprachrohr für Mitarbeitende.
Hinter Ihnen liegt ein turbulentes Jahr. Im August haben Sie einjähriges Jubiläum gefeiert, im April sind Sie als Personen an die Öffentlichkeit getreten. Was hat sich seitdem getan?
Gabor: Wir haben uns professionalisiert. Wir sind weg von nur einem Instagram-Account, der aufklärt, und werden bald ein Unternehmen, das wirklich mit Agenturen zusammenarbeitet.
Eppel: Außerdem haben wir unseren Aktionsradius und unsere Schlagkraft vergrößert. Es ist cool und wichtig, als gesichtsloses Kollektiv im Internet rumzupöbeln. Jetzt aber sprechen wir mit Agentur-CEOs und dem GWA über Gender-Leitfäden und strukturellen Sexismus. Das war vorher nicht möglich.
Werden Sie seit Ihrem öffentlichen Auftreten ernster genommen?
Gabor: Nicht unbedingt ernster, aber anders. Dadurch, dass die Leute wissen, wer wir sind, genießen wir mehr Vertrauen. Unternehmen könnten mit einem gesichtslosen Kollektiv nicht über interne Prozesse reden.
Einige Monate weiter zurückgeblickt: Was hat sich seit dem Scholz & Friends-Sexismus-Skandal im August 2020 in der Werbebranche getan?
Eppel: Es gibt viele „Einzelmeister“. Hier wird ein bisschen was gemacht, dort wird ein wenig gegendert. Aber es gibt Themen, die sind noch überhaupt nicht beackert worden. Sexismus ist ein strukturelles Problem und nicht nur „Ich fasse dir an den Hintern“. Da geht es auch knallhart um Teilzeit und Karriere, um Geld, um Beförderung, um Meeting-Verhalten.
Gabor: Der Skandal bei Scholz & Friends war wie eine Abrissbirne, die einmal durch die Agenturlandschaft gegangen ist. Ein paar Agenturen hat sie mitgerissen und die haben auch wirklich was gemacht. Dann aber gibt es auch Agenturen, die sich bis heute ganz weit entfernt haben von dieser Abrissbirne und sich verstecken. Aber: We see them. Je stiller sie sind, umso mehr fallen sie uns auf.
Wie genau meinen Sie das?
Gabor: Am Ende haben wir 50 Agenturen auf diesem Manifest. Und nur drei große sind nicht dabei. Die Branche sieht das und fragt: „Warum seid ihr nicht drauf?“
Eppel: … und dann ist es eine bewusste Entscheidung der Agenturen, nicht dabei zu sein.
Haben Sie da Namen im Kopf?
Gabor: Niemals!
Eppel: Wir machen kein Finger-Pointing, aber die Branche weiß es. (Lacht)
Das Problem Sexismus in der Werbebranche ist nicht neu. Bereits vor Scholz & Friends war es zumindest innerhalb der Branche bekannt. Warum hat es so lange gebraucht, bis es auf der Agenda stand?
Eppel: (lacht) Alte weiße Männer!
Gabor: Ich habe eine andere Antwort auf die Frage: Weil man in Agenturen immer als Troublemaker dastand, wenn man Konsequenzen gefordert hat.
Wie sollte es stattdessen sein?
Gabor: Indem du kein Troublemaker bist, wenn du Sexismus anprangerst, sondern ein Troublemaker bist, wenn du Sexist bist. Und dieser Wandel, laut sein zu können, dem Geschäftsführer gegenüber Kritik zu äußern, ohne Angst zu haben, nicht mehr beim nächsten Deal mit dabei zu sein. Das müssen wir erreichen.
Also haben Marketing-Entscheider*innen zu lange bewusst weggeschaut?
Gabor: Ja!
Eppel: Ja, klar. Das fängt schon damit an, wie man über Models, Kund*innen oder über Kolleg*innen spricht. Da kann keine*r sagen, er/sie wusste von nichts.
Was sollten diese Entscheider*innen unbedingt beachten, damit das nie wieder passiert?
Eppel: Zuhören. Ich habe erlebt, dass sich Mitarbeitende über Rassismus und Sexismus ihres Vorgesetzten beschwert haben und die HR hat sie damit abgespeist, dass sie das selber klären müssen. Das ist einfach falsch und unprofessionell. Anstatt den Betroffenen zur Seite zu stehen, lässt man sie damit alleine. Auch Aufklärung ist wichtig. Wo fängt Sexismus eigentlich an? Wir sind alle in einer diskriminierenden Gesellschaft sozialisiert worden. Wenn du wirklich Veränderung willst, musst du dich aktiv dagegen wenden. Dich weiterbilden, Betroffenen zuhören, Prozesse und Strukturen etablieren, den Betroffenen Sicherheit geben.
Sie haben mal geschrieben: „Die Generation, die jetzt nachkommt, hat keinen Bock mehr, in einer Industrie zu arbeiten, die so woke ist wie ein CSU-Ortsverein.“ Ist der Kampf gegen Sexismus eine Generationenfrage?
Gabor: Ja, zu 100 Prozent. Wir kennen superviele Frauen, die uns total kacke finden und sagen: „Ich musste hier überall durch und deswegen müsst ihr das auch.“ Das hört man in der jungen Generation gar nicht mehr. Die junge Generation ist auch noch mal viel woker als wir. Das ist eine richtig geile Generation.
Eppel: Klar gibt es Frauen, die sagen, sie mussten ihre Ellenbogen benutzen und anderen raten: „Spitz sie doch an.“ So läuft das aber nicht mehr. Wir rennen, damit die anderen laufen können.
Wenn Sie Marketing-Entscheider*innen Hausaufgaben für 2022 aufgeben dürften: Wo sollten sie dringend handeln?
Gabor: Frauenquote …
Eppel: Unser Manifest unterschreiben.
Gabor: Das können ja nicht alle machen. Aber auf jeden Fall: gendergerechte Sprache.
Eppel: Diversity. Klar, wir sind zwei weiße Cis-Frauen. Dennoch stehen wir für intersektionalen Feminismus. Uns ist es superwichtig, dass das ganze Thema Diversity betrachtet wird und nicht nur die Frauenquote. Denn das ist white Feminism. Wir müssen uns auch die anderen Diskriminierungsformen anschauen. Was ist denn mit Menschen mit Behinderung, was ist denn mit dem Rassismus?
Gabor: Unsere Branche ist nicht nur im Thema Frauenquote so divers wie ein CSU-Vorstand. Da gibt es noch viel zu tun.
Über die Initiatorinnen des Ad Girls Club
Als Senior Copywriterin war Isabel Gabor unter anderem für Scholz & Friends tätig. Im November 2019 wechselte sie zu Grabarz XCT. Gemeinsam mit Lisa Eppel sorgt sie seit August 2020 außerdem für reichlich Diskussionen in der Werbewelt.
Lisa Eppel arbeitet als Senior Account Managerin bei The Goodwins, zuvor war sie unter anderem für Scholz & Friends tätig. Dort lernte sie auch Isabel Gabor kennen.
Das Interview erschien zuerst in der Dezember-Printausgabe der absatzwirtschaft.