Den Leuten gehe es noch immer um den Kern, sagte Dorothee Bär gleich zu Beginn der Diskussion, um die simpelste aller Fragen: „Was ist eigentlich Digitalisierung?” Damit werde sie häufig konfrontiert, so die Staatsministerin für eben jenen gegenwärtig und zukünftig so wichtigen Bereich. Ihr gegenüber saß auf der futuristisch anmutenden Bühne Chris Boos, Experte für KI und Mitglied des Digitalrats der Bundesregierung.
Der CEO von Arago leitete die Diskussion und stellte der CSU-Politikerin diverse Fragen zum Stand der Digitalisierung in Deutschland. Zum Beispiel, ob die Politik in der Lage sei, die Denkweise der Deutschen zu diesem Thema zu ändern. Sicherlich könne die Politik was tun, erwiderte Bär. „Es dürfen nicht immer nur die negativen Punkte in den Mittelpunkt gestellt werden.” Das sei wohl auch einer der Gründe, warum sie dieses Thema derart positiv darstellt. Sie müsse “gegen viele Miesepeter” ankämpfen.
Bär betonte, dass es in der öffentlichen Debatte mehr konkrete Beispiele brauche. „Was hat KI mit mir zu tun?” Sie würde am liebsten mit jedem einzelnen Bürger ein Gespräch führen, um den Menschen die Augen zu öffnen, sagte Bär, nachdem Boos darauf angespielt hatte, dass das Thema Digitalisierung besser verkauft werden müsse. Leider lieferte die Debatte des Duos wenig konkrete Beispiele abseits des autonomen Fahrens. Zu oft bliebt es schwammig und vage, was durch gezielte Fragen eines moderierenden Journalisten womöglich anders gewesen wäre.
Zum Schluss appellierte Boos daran, dass es wieder mehr auf die Inhalte ankommen müsse und stichelte gegen die Berliner Politiker: „Bei meinem ersten Besuch im Kanzleramt wurde lediglich über mein T-Shirt gesprochen.“ Im Übrigen: Dieses Mal trug er ein Shirt mit der Aufschrift “Niveau ist keine Creme.” Am Ende waren sich Bär und Boss einig, dass es bei der Digitalisierung langfristige Planung geben muss und zur Änderung der Denkweise sowohl Politik als auch Kreativwirtschaft gefordert sind, weil sie in kurzer Zeit viele Bürger erreichen müssten.
KI, Digitalisierung und Voice im Fokus
Zuvor hatte sich dem Besucher der Digitalmesse über den Tag verteilt auf fünf Bühnen ein vielseitiges Programm zu den Themen Künstliche Intelligenz, Digitalisierung und Voice geboten – um nur eine kleine Auswahl zu nennen. Zu den namhaften Speakern gesellten sich zudem rund 1.000 Aussteller (darunter Facebook, Google, Spotify), die ihre neuesten Produkte auf ihren Messeständen in den sechs Hallen präsentieren.
So kam bereits am Morgen, nachdem Dmexco-Chefberater Dominik Matyka die Besucher in einem kurzen Impulsvortrag auf die neue Ausrichtung der Messe (absatzwirtschaft berichtete) eingestimmt hatte, mit Tim Höttges der erste Hochkaräter auf die Congress Stage. Der Telekom-CEO ging in seiner Eröffnungs-Keynote auf den digitalen Optimismus ein und bediente damit das diesjährige Motto “Take C.A.R.E. – Curiosity – Action – Responsibility – Experience”. Seine gesellschaftskritische Rede hatte es in sich.
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Die Digitalisierung treibe die Leute vor sich her, „viele sind überfordert von der Situation”, sagte Höttges. Obwohl es der Wirtschaft besser als jemals zuvor ginge und der Wohlstand in der deutschen Gesellschaft groß sei, gebe es diese Szenen wie in Chemnitz und Köthen. „Was zur Hölle ist los in unserer Gesellschaft?”, fragte er. Höttges forderte die Unternehmen auf, mehr gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. In seinem kritischen Plädoyer betonte der 55-Jährige die Bedeutung der Digitalisierung und welche Rolle die Deutsche Telekom dabei spielen möchte.
Man müsse den Leuten die Angst nehmen, dass Roboter bald ihre Jobs übernehmen würden. Europa und Deutschland attestierte er einen fehlenden Zukunftsoptimismus, den es aber dringend brauche, um Veränderungen zu bewirken. Wichtig sei ebenfalls, dass Firmen sich in politisch unruhigen Zeiten positionieren. Sein Arbeitgeber stelle sich beispielsweise mit dem Spruch “Life is for sharing” klar gegen Rassismus und Teilung.
EU-Entscheidung zum Urheberrecht
Im Laufe des Tages verbreitete sich ebenfalls die Entscheidung des EU-Parlaments in der rheinischen Metropole auf der Messe. Dieses hatte für die Einführung des umstrittenen Leistungsschutzrechts gestimmt. Diversen Angeboten wie Google News ist es somit nicht mehr erlaubt, Ausschnitte von Pressetexten ohne Einwilligung der Verlage anzuzeigen. Google-Vorstand Philipp Schindler lieferte auf der Dmexco-Bühne, kurz nach Verkündung der Entscheidung, eine erste Einschätzung: „Natürlich, es ist ein enttäuschendes Ergebnis.” Im Gespräch mit Ex-Bild-Chefin Tanit Koch sagte er zudem, dass es eine schlechte Entscheidung für Kreative und Unternehmer sei, aber sicher auch für Europa und die Bürger. In die Tiefe ging er allerdings nicht. Den Beschluss müsse Google nun erstmal genauer prüfen, so Schindler.
Im Kamineckengespräch mit Koch sprach „Mr.Google”, wie ihn die Rheinische Post einst nannte, ebenfalls das bestimmende Thema der Fachkonferenz an: KI. Es werde in Zukunft immer mehr Assistenten geben, die auf maschinellem Lernen beruhen und mit denen Nutzer natürlicher umgehen können. Gerade im Bereich Voice sei da einiges zu erwarten.
Bereits einige Stunden zuvor hatte Alex Cheng, Vize-Präsident von Baidu, am Beispiel der Open Source-Plattform Baidu Apollo gezeigt, wie KI mit Gesichtserkennung hilft, dass Lastwagenfahrer während der Fahrt nicht einschlafen und so Unfälle vermeiden. Aber auch in der Werbung könne sie eingesetzt werden: „In der nächsten Generation von KI gibt es vertiefendes Lernen.” Das werde die Wirksamkeit von Werbung verdreifachen.
Bei der Dmexco diskutieren an zwei Tagen Vertreter der digitalen Wirtschaft über die neuesten Trends zu Technologie und Vermarktung. Vor Ort sind rund 1.000 Aussteller aus 40 Ländern und mehr als 550 Speaker.