Bei Followfood heuerte Julius Palm als Werkstudent an, heute ist der 30-Jährige stellvertretender Geschäftsführer und leitet den Bereich Strategie und Marke. Als klassischen CMO sieht sich Palm jedoch nicht. Uns hat er erzählt wieso.
Außerdem haben wir mit ihm über die Herausforderungen für mehr Nachhaltigkeit, das Lieferkettengesetz sowie Pennys Werbeaktion „Wahre Preise“ gesprochen.
Herr Palm, kürzlich wurden Sie zum Green CMO of the Year gekürt. Was zeichnet einen solchen aus?
Das Witzige ist, dass ich mich nicht CMO nenne. Wir verwenden den Begriff auch nicht. Das war wohl auch der Grund, warum mir diese Auszeichnung verliehen wurde. Bei uns bedeutet Markenarbeit mehr als Kommunikation. Mit unserem Produkt und unserem Tracking-Code haben wir den größten Hebel, etwas zu verändern. Hier entstehen die Geschichten, die wir für unser Marketing verwenden.
Eine neue Untersuchung besagt, dass CMOs heutzutage über ein größeres Know-how verfügen müssen. Sehen Sie diese Entwicklung auch?
Wir müssen CMO neu definieren. Für uns macht eine klassische CMO-Stelle keinen Sinn. Wir haben aus Gründen der Nachhaltigkeit gegründet und versucht, einen Leuchtturm zu bauen, wie man im aktuellen Wirtschaftssystem nachhaltig wirtschaften kann. Wenn man zur Lösung beitragen will, nützt es nichts, abgekoppelt eine Marketingabteilung zu haben, die Geschichten über Produkte erzählt. Das Problem, was wir aktuell in der Wirtschaft haben, ist: Marketing und das Geschäftsmodell sind nicht unbedingt verzahnt.
Muss man die Unternehmensstruktur ändern, um nachhaltig zu wirtschaften?
Das heißt auch, Jobprofile von Menschen zu verändern. Das braucht es maßgeblich. Wenn wir nicht die Art und Weise verändern, wie wir Marketing denken, wird es nicht möglich sein, Geschäftsmodelle fundamental zu verändern. Sonst werden weiterhin nur Geschichten erzählt, die nichts damit zu tun haben, was in der Lieferkette tatsächlich passiert.
Wie definieren Sie Nachhaltigkeit?
Der Großteil der Gesellschaft definiert Nachhaltigkeit als Handlung mit neutralem Impact, also ohne Schaden zu verursachen. Followfood ist auf der nächsten Evolutionsstufe der regenerativen Nachhaltigkeit. Die Ökosysteme, mit denen wir arbeiten, sind so degradiert, dass ein reines Nachhalten – also nicht mehr zu verbrauchen als nachwachsen kann – nicht mehr funktioniert. Wenn wir Lebensgrundlagen weiterhin nutzen wollen, müssen wir regenerieren. Wir sind an einem Punkt, an dem wir Ökosysteme teilweise erst wieder aufbauen müssen. Nachhaltigkeit muss zum Mindeststandard werden und Regenerativität zur Zielmarke.
Nachhaltigkeit ist ein Kaufargument. Ist der Begriff dadurch verbrannt worden?
Ein Begriff wie dieser, der nicht standardisiert ist und den Organisationen annehmen, obwohl sie ihm nicht gerecht werden wollen, wird leicht verwässert. Nichtsdestotrotz ist es bezeichnend, dass wir ihn immer noch verwenden und darüber reden. Ich glaube deshalb nicht, dass er an Kraft verloren hat. Aber diejenigen, die ihr Geschäft nachhaltig gestalten, haben ihre Positionierung verloren im Vergleich zu vielen Unternehmen, die graduelle Veränderungen als nachhaltig bezeichnen.
Brauchen wir einen neuen Begriff?
Gerade für Unternehmen wie uns macht es Sinn, sich über neue Begriffe Gedanken zu machen. Ich sehe den aus der Landwirtschaft kommende Begriff der Regenerativität am schlüssigsten. Es macht jedoch keinen Sinn, die kleinen Schritte der großen Unternehmen in Richtung Nachhaltigkeit schlecht zu reden. Das System muss langsam transformiert werden. Aber es bedarf einer stärkeren Differenzierung der Unternehmen. Da helfen Begrifflichkeiten.
Für mehr Standardisierung und Transparenz sollte das Anfang des Jahres eingeführte Lieferkettengesetz sorgen. Ist der Markt jetzt nachhaltiger geworden?
Das wage ich zu bezweifeln. Wir sehen, dass manche Unternehmen ihre Verantwortung an ihre Lieferanten abdrücken. Ich hoffe aber, dass wir mehr Wissen und Daten darüber sammeln, was wirklich passiert. Und dass große Unternehmen in die Verantwortung gebracht werden, sich die Mühe zu machen, die wir mit unserem Tracking-Code aufbringen. Wir wollen ja, dass Unternehmen uns kopieren.
Sind die Sanktionsmaßnahmen zu gering, das Gesetz zu diffus formuliert?
Die Sanktionsmöglichkeiten sind überschaubar. Mir ist vor allem ein Rätsel, wie die großen Konzerne in der Tiefe überprüft werden sollen. Mir ist noch kein Konzept präsentiert worden, wie diese Detailarbeit bei tausenden Unternehmen vorgenommen werden könnte. Beratungsfirmen erleben gerade einen Boom, weil die Unternehmen selbst nicht wissen, wie das Gesetz umgesetzt werden soll. Diese Beratungen bewerten die Risiken aber meistens auf der Oberfläche je nach Risiko, weil sie nicht tiefer gehen müssen oder können. Trotzdem ist das Gesetz ein wichtiger Schritt.
Hätte eine Nachweispflicht für Unternehmen nicht mehr Sinn gemacht?
Die wäre zwar durchsetzbar gewesen, aber ich weiß nicht, wie man das bürokratisch hätte umsetzen können. Auch reichen viele bisherige Zertifizierungen oder Indizes einfach nicht aus. Wir haben am Fall Tönnies gesehen, dass man auch in Deutschland unter menschenunwürdigen Bedingungen Arbeiter*innen anstellen und wohnen lassen kann.
Mangelhaft ist auch die Vergleichbarkeit von vielen Siegeln oder Zertifikaten. Wird hier das Vertrauen der Konsument*innen verspielt?
Nicht durch die Siegel per se. Denn die meisten sind sehr seriös und haben eine Wirkung. Viel gravierender finde ich, wenn Siegel beziehungweise Begriffe keinen Regularien unterworfen sind, wie ‚klimaneutral‘ oder ‚fair‘. Hier werden Menschen hinters Licht geführt, weil bei diesen Begriffen keine Organisation dahintersteckt. Dagegen will die Green Claims Directive der EU vorgehen. Aber wie scharf die letztlich sein wird, bleibt abzuwarten. Falls es zu einer Schärfung des Begriffs kommt, dann wird es in den nächsten Jahren gar keine Nachhaltigkeits-Markenkommunikation mehr geben können, wie wir sie heute kennen. Und das ist gut, weil es Greenwashing vorbeugt.
Machen solche Tricks der Unternehmen Sie wütend?
Es ist extrem frustrierend, wenn man mit großer Energie versucht, die Dinge anders zu machen. Und andere Unternehmen verändern nichts und haben durch schlaue Greenwashing-Kommunikation Erfolg am Markt.
Wie fanden Sie Pennys PR-Aktion „Wahre Preise“?
Ich kam durch die Aktion mit vielen Menschen in Kontakt, mit denen ich – aus meiner Sicht überraschenderweise – über „True Costs“, also die tatsächlichen Kosten oder die wahren Preise der Lebensmittelprodukte, geredet habe.
Warum überraschend?
Jene Menschen wurden erst über die Aktion auf die Folgen unseres Konsumverhaltens aufmerksam und dass die vermeintlich billigen Produkte nicht billig sind, die Kosten nur vergesellschaftet werden, beispielsweise über die Steuerzahlungen fürs Gesundheitssystem. Die Aktion hat hoffentlich die Menschen zum Denken angeregt. Aber Penny hat nichts verändert. Wir sehen immer: Die Geschichte des Stunts am Anfang erhält immer mehr Reichweite als das, was hintenraus tatsächlich verändert wird. Eine richtig gute nachhaltige Kampagne wäre es gewesen, wenn Penny einen Plan präsentiert hätte, wie es externe Kosten internalisieren will.