Frau Hendricks, wie umweltfreundlich ist der Konsum der Deutschen in Zeiten von Inflation, Krieg und Klimawandel?
Die gestiegenen Lebenshaltungskosten haben das Konsumverhalten der Deutschen signifikant verändert, insbesondere in Bezug auf umweltfreundlichen Konsum. Wir haben hier einen Rückgang des in nahezu allen Kategorien gesehen. Zwar brachte die hohe Inflation auch positive Effekte wie eine Reduktion des Wasser- und Energieverbrauchs, diese resultierten jedoch eher aus Kostensparzwängen als aus einem gesteigerten Umweltbewusstsein.
Sie haben in Ihrer Studie die Einstellungen von Verbraucher*innen zu Nachhaltigkeit im Alltag untersucht. Welche Rolle spielt die finanzielle Situation in Bezug auf Nachhaltigkeit?
Die finanzielle Situation spielt eine wichtige Rolle. Verbraucher*innen, die finanziell bessergestellt sind, neigen dazu, ihren Lebensstil als umweltfreundlicher einzuschätzen und sind auch eher bereit, nachhaltige Produkte zu kaufen. Ihre finanzielle Situation spiegelt sich in einer höheren Bereitschaft wider, für Nachhaltigkeit auch höhere Preise zu zahlen.
Und finanziell schwächere Verbraucher*innen?
Konsument*innen mit geringerem Einkommen empfinden häufig ihren eigenen Lebensstil als weniger umweltfreundlich und sie kaufen auch weniger umweltfreundliche Produkte. Diese Gruppe sieht sich oft durch die höheren Kosten nachhaltiger Produkte benachteiligt, was zu einem sogenannten „Eco-Gap“ führt. Diese Lücke zwischen denjenigen, die sich umweltfreundlich verhalten wollen, und denen, die es sich leisten können, wächst. Es ist daher wichtig, nachhaltige Optionen erschwinglicher zu machen, um Inklusion zu fördern.
Kann man also sagen, dass Nachhaltigkeit kein Kaufargument ist?
Nachhaltigkeit ist in der Regel nicht das entscheidende Kaufkriterium. Konsument*innen legen bei Kaufentscheidungen mehr Wert auf Faktoren wie den Preis, den Geschmack oder die Bequemlichkeit. Ein gutes Beispiel dafür ist der sogenannte „Present Bias“, den wir insbesondere im Bereich der Mobilität beobachten. Hier entscheiden sich viele Menschen trotz ihres Umweltbewusstseins doch häufig für das Auto, weil es bequemer ist und in dem Moment kurzfristige Vorteile bietet, obwohl sie wissen, dass es negative Auswirkungen auf die Umwelt hat. Nachhaltige Produkte werden zudem oft als teuer wahrgenommen, was sie für viele unattraktiv macht.
Gibt es Unterschiede in den Kaufentscheidungen zwischen verschiedenen Altersgruppen?
Ja, diese Unterschiede sind sehr ausgeprägt. Während jüngere Verbraucher*innen oft als besonders umweltbewusst wahrgenommen werden, zeigt unsere Forschung, dass ihr umweltfreundliches Verhalten häufig auf solche Verhaltensweisen beschränkt ist, die sichtbar und „trendy“ sind, wie etwa der Kauf von Secondhand-Kleidung oder die Nutzung von Sharing-Diensten. Wenn es jedoch um weniger sichtbare, aber ebenso wichtige umweltfreundliche Maßnahmen geht, wie das Sparen von Wasser oder Energie im Haushalt, sind es eher die älteren Generationen, die diese Verhaltensweisen konsequent umsetzen. Das mag auch an den Erfahrungen liegen, die diese Generationen in der Nachkriegszeit gemacht haben.
Gibt es auch eine unterschiedliche Priorisierung nach Produkten?
Generell wird Umweltfreundlichkeit in Bereichen bei Produkten wie Lebensmitteln oder Haushaltsprodukten höher bewertet, während Verbraucher*innen bei Technologie oder digitalen Medien weniger darauf achten. Das zeigt, dass der Anspruch auf Nachhaltigkeit nicht in allen Lebensbereichen gleich hoch ist. Insbesondere Jüngere finden es auch in Ordnung, Umweltfreundlichkeit in bestimmten Bereichen zu priorisieren, und sie in anderen zu vernachlässigen.
Was bedeutet das für die Kommunikation von Marken, die nachhaltige Produkte vermarkten möchten?
Marken müssen sich bewusst sein, dass die Ansprüche und Prioritäten der Konsument*innen je nach Alter, finanzieller Situation und Produktkategorie stark variieren. Eine effektive Kommunikationsstrategie sollte diese Unterschiede berücksichtigen. Beispielsweise kann es sinnvoll sein, bei jüngeren Zielgruppen stärker auf die Außenwirkung nachhaltiger Optionen zu setzen, während man älteren Zielgruppen konkrete Vorteile und Einsparungen durch den Konsum umweltfreundlicher Produkte aufzeigen kann.
Haben Sie weitere Vorschläge?
Marken sollten darauf achten, den Druck hinsichtlich eines perfekten umweltfreundlichen Lebensstils zu reduzieren. Es ist wichtig zu vermitteln, dass auch kleine Schritte in Richtung Nachhaltigkeit zählen und dass es in Ordnung ist, in einigen Bereichen Abstriche zu machen. Das könnte auch dazu beitragen, dass sich mehr Menschen für nachhaltige Produkte entscheiden, ohne das Gefühl zu haben, dass sie sich vollständig umstellen müssen.
Ist der Begriff Nachhaltigkeit auch durch Greenwashing und fragwürdige Labels negativ besetzt?
Greenwashing und die Vielzahl nicht standardisierter Siegel haben definitiv zu einer gewissen Skepsis bei den Verbraucher*innen geführt. Viele Menschen empfinden es als verwirrend, da sie nicht mehr durchblicken, was wirklich nachhaltig ist. Die EU arbeitet an der Standardisierung dieser Labels, was zu einer Konsolidierung beitragen und den Verbraucher*innen mehr Transparenz bringen wird.
Welche Rolle wird Nachhaltigkeit für Marken in der Zukunft spielen?
Nachhaltigkeit wird wahrscheinlich nach und nach zur Norm werden. Marken müssen sich daher darauf vorbereiten, dass Nachhaltigkeit nicht mehr zur Differenzierung von anderen Produkten herangezogen werden kann. Nachhaltigkeit wird immer mehr als grundlegende Anforderung statt als Verkaufsargument betrachtet. Daher wird sie zunehmend zu einem Hygienefaktor in dem Sinne, dass ihre Abwesenheit zu Unzufriedenheit der Verbraucher*innen führen kann, während sie ihre Funktion als Differenzierungsmerkmal verliert.