Von Frank Puscher
Es wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben, und die heißt Content Marketing. Unternehmen erzeugen und publizieren eigene und hoffentlich relevante Inhalte. Schwarzkopf macht das, Adidas, die Schwenninger Krankenkasse. Ungekrönter, aber viel gepriesener Weltmeister ist Red Bull. Nicht erst seit dem Weltraumsprung. Content Marketing ist Ausdruck des Eingeständnisses der Werber, dass „Schneller, höher, weiter“-Parolen sowieso niemand glaubt – außer sie kommen von Red Bull. Das war vermutlich schon immer so, doch inzwischen bekommen die Parolen-Texter ihre Machwerke via Social Media direkt wieder um die Ohren gehauen. Come in and find out.
Content Marketing ist eine tolle Sache. Die Unternehmen haben verstanden, dass das Internet ein Pull-Medium ist und dass man die Nutzer verführen muss, um sie auf die eigenen Seiten zu locken oder zu Facebook-Fans zu machen. Dafür gibt es genau zwei handliche Methoden, nämlich die Verlosung eines iPads oder das Anbieten relevanter Inhalte.
Ein spannendes Lehrstück in Sachen Content Marketing lässt sich derzeit bei Adidas beobachten. Basketball-Star und Adidas Testimonial Derrick Rose verletzte sich gleich zu Beginn der Saison. Für Adidas eigentlich eine kommunikative Katastrophe. Doch das Gegenteil scheint der Fall: Adidas inszeniert derzeit das Comeback. Man hat ein Videotagebuch entworfen, das den Star bei der Reha zeigt. Es gibt den passenden Hashtag #thereturn. Die aktuelle sechste Episode schaffte in 24 Stunden bereits 136 000 Abrufe. Und inzwischen häufen sich unter dem Hashtag #thereturn auch persönliche Comeback-Geschichten der Twitter-Fans, die rein gar nichts mit Basketball zu tun haben. Die Kampagne bekommt ein Eigenleben.
Nachhaltige Strategie?
Die Inhalte, die Marken wie Red Bull oder Adidas produzieren, werden gar nicht oder nur in kleinen wohldosierten Häppchen an die klassischen Medien übergeben. In der Regel publiziert man lieber über die eigene Website, den Blog oder den Youtube-Kanal. Die End-User werden dagegen mit allen Kräften ermuntert, die Inhalte zu verbreiten. Zum Weltraumsprung von Felix Baumgartner gab es jede Menge persiflierende und ironische Fotomontagen. Red Bull schickt eben keine Anwälte los, um das zu unterbinden, sondern lässt die User Links posten. #Missionaccomplished.
Red Bull, Adidas und Coca Cola haben die Kraft, das mit der eigenen Marketingpower durchzudrücken und Reichweite aufzubauen. Die klassischen Medien können auf diese Inhalte auch nicht verzichten, weil die Protagonisten zu populär sind. Es wird spannend sein zu beobachten, ob es klassische Medien gibt, die diese Marken irgendwann als Konkurrenten wahrnehmen. Ein wenig verschnupfter Neid läßt sich aus dem „Zeit“-Artikel von Felix Rohrbeck ja bereits herauslesen (siehe Links). Geschickterweise würde Adidas einen Teil der redaktionellen Leistung vom Corporate Publishing Team von Gruner und Jahr machen lassen, damit sichert man sich hausweit Sympathien. In Sachen kompetentem Wirtschaftsjournalismus müssten da derzeit Überkapazitäten zu finden sein.
Freilich hätte auch dieser Weg ein Risiko. Was macht Axel Springer, wenn Adidas mit der Konkurrenz zusammenarbeitet? Wie reagiert Burda, wenn Schwarzkopf bei Condé Nast die Inhalte für die Website in großem Stil kauft?
Freie Journalisten landauf landab spüren derzeit sehr intensiv, wie es sich anfühlt, wenn Unternehmen eigene Inhalte produzieren. Die Fachmagazine sind voll mit Fachbeiträgen mehr oder minder kompetenter Gastautoren, die den Heften von Firmen kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Tatsächlich gibt es sogar Redaktionen, die aktiv auf freie Journalisten zugehen mit der Frage, ob man nicht mal einen tollen Beitrag für sie schreiben möchte.
„Ja gerne, wie sind denn eure Honorarkonditionen?“
„Äh, Honorar, nein, so etwas gibt es bei uns nicht. Aber durch den Artikel werden Sie ja berühmt“.
Mögliche Nachteile für Unternehmen
Für die Unternehmen kann der Schuss nach hinten losgehen. Ein einmal veröffentlichter Fachbeitrag ist für andere Medien verbrannt, gelegentlich sogar das Gesicht des unterschreibenden Geschäftsführers.
„Sollen wir mal ein Interview mit dem und dem machen?“
„Nein, den hatten wir letztes Jahr zu oft im Heft.“
Außerdem sind freie Journalisten auf derlei Aktivitäten der Unternehmen zu Recht nicht gut zu sprechen, schließlich erodiert es deren Lebensgrundlage. So kann es passieren, dass die Freien diesen Unternehmen ganz aus dem Weg gehen. Nicht aus Bosheit, sondern um den Redaktionen exklusive Inhalte anbieten zu können. Das wiederum kostet das Unternehmen im schlimmsten Fall gleich mehrere Platzierungen, da die Freien ja selten nur für ein Magazin arbeiten. Sie sind darauf angewiesen, eine Verwertungskette aufzubauen, in der sie eine Recherche mehrfach verwenden.
Derzeit gibt es vor allem in der Online-Marketing-Branche einige besonders schlaue Unternehmen. Die bieten die fertigen Fachartikel tatsächlich nicht den Redaktionen, sondern den freien Journalisten an.
„Was soll ich damit?“
„Vielleicht veröffentlichen?“
„Ich bin keine Redaktion, ich habe kein Heft.“
„Aber vielleicht könnten Sie die Kontakte für uns herstellen.“
„Gerne, kostet 100 Euro die Stunde, die ersten 50 sind schon weg.“
„Äh, nein danke. Könnten Sie aber eventuell dafür sorgen, dass wir ab sofort eine Freianweisung bekommen?“
Content Marketing ja, aber richtig
Content Marketing ist toll. Auch für freie Journalisten, die dort neue Einkommensmöglichkeiten und Recherchemöglichkeiten finden. Wer nicht für Firmen ein Whitepaper oder einen Anwendungsbericht schreibt, ist selbst schuld. Da bricht dem Journalisten auch kein Zacken aus der Unabhängigkeitskrone.
Doch Content Marketing bedarf einer langfristigen Strategie. Es geht nicht nur um die Inhalte selbst, die hoffentlich die Interessen der Kunden widerspiegeln. Es geht auch um den Aufbau von Ressourcen. Auf den Facebook-Seiten von Red Bull kann man sehr schön sehen, wie schnell sich User im Kommentarbereich digital an die Gurgel gehen. Eine Firma, die Themen in den Mittelpunkt ihrer Website setzt an Stelle von Produkten, muss damit rechnen, dass die Themen auch diskutiert werden, und das ist streng und rund um die Uhr zu redigieren. Anders als bei Medien-Websites greift auf Unternehmens-Homepages nämlich das scharfe Wettbewerbsrecht. Wird auf der Adidas-Website Puma oder Nike ungerechtfertigt beleidigt, so ist Adidas haftbar.
Strategie ist entscheidend
Neben gutem und zahlreichem Personal bedarf es auch einer Publikationsstrategie. Was wird zuerst auf dem eigenen Blog veröffentlicht? Was gibt man zuerst exklusiv an prominente Blogger oder Redaktionen? Und wie geht es von dort weiter? Red Bull stattete die Stratosphärenkapsel mit 15 Kameras aus, um so viel Material wie möglich zu sammeln, um damit die Medien unterschiedlich bedienen zu können und noch lange nach dem Ereignis Effekte zu erreichen.
Einen der wohl ehrgeizigsten Versuche startete jüngst Coca Cola. Auf der amerikanischen Corporate-Website finden sich jede Menge Artikel auch zu Themen, die mit Coca Cola gar nichts zu tun haben. In der aktuellen Ausgabe der „Opinions“ erscheint ein Bericht von Mary Barra, der Chefin von General Motors, über die Zukunft des Automobils. Man wird sehen, wie die Nutzer das goutieren und wie Coca Cola mit Diskussionen umgeht.
Der kritische Beobachter wird jetzt schon – nach nur vier Wochen – erste inhaltliche Schwächen auf der Seite finden. So stammt das Video, das auf der Startseite angepriesen wird, von einer zugegeben hübschen Marketing-Aktion vom Mai dieses Jahres. Eine halbwegs seriöse Medien-Website hätte sich das nicht getraut.
Auch bei Schwarzkopf, lange Zeit das Paradebeispiel für gelungenes Content Marketing, blättert der erste Glanz ab. Man hatte sich in Vorträgen stets gerühmt, zu themenbezogenen Suchen wie „Haare färben“ bei Google besser platziert zu sein als früher. Zeitweise war man sogar Nummer 1. Das scheint Geschichte. Derzeit erscheint Schwarzkopf nicht mehr auf der ersten Seite. Dort sind praktisch nur noch Medien zu finden: Gofeminin, Bild der Frau, Bild, Fokus und Für Sie. Hhhmm.