Sein Jahresbrief liest sich wie ein Management-Ratgeber – mit dem Unterscheid, dass Bezos auf Schwafelei verzichtet und seine Tipps daher auf nur drei Seiten passen. Dass seine Tipps fruchten, zeigt ein Blick auf die Aktien des E-Commerce-Riesen. Die haben im April nämlich ein Allzeithoch erreicht und sind laut CBNC im vergangenen Jahr allein um fast 50 Prozent gestiegen. Bezos ist bekannt für seinen langjährigen Innovationsansatz und versichert den Aktionären seit den 1990er Jahren, dass sich Amazon auf die langfristige Marktführerschaft und nicht auf die kurzfristige Profitabilität konzentrieren werde.
Vermeide Stillstand!
Thema seines diesjährigen Briefes ist die Energie des Tag 1 – der Tag, an dem Unternehmen am Beginn ihres Potenzials stehen – und Tag 2 – der Tag, an dem Unternehmen nie ankommen dürfen. Denn an Tag 2 herrscht nach Bezos Stillstand: „Tag 2 ist Stillstand. Gefolgt von Irrelevanz. Gefolgt von entsetzlichem, qualvollem Niedergang. Gefolgt von Tod”. Unternehmen sollten somit niemals an diesem Tag ankommen. Doch was sollen die Chefetagen tun, um Tag 2 aus dem Weg zu gehen? Zusammengefasst genau vier Dinge. Erstens: den Kunden zur Obsession machen. Zweitens: Proxies aus dem Weg gehen. Drittens: Trends umsetzen und viertens: Entscheidungen treffen – und zwar schnell.
Erstens: den Kunden zur Obsession machen
Warum sollte man von seinen Kunden besessen sein? Weil, so Bezos, „Kunden (..) immer wunderschön, wunderbar unzufrieden“ sind, „auch wenn sie denken sie seien glücklich und das Geschäft liefe großartig: Kunden wollen immer etwas Besseres, auch wenn sie das selbst noch nicht wissen. Dein Wunsch, Kunden zu begeistern, wird dich dazu bringen, in ihrem Namen Neues zu erfinden“. Schließlich habe auch kein Kunde je nach Amazon-Prime gefragt – doch wie man sehe, sei es für viele von ihnen unverzichtbar geworden. Um seine Kunden in gleicher Weise glücklich zu machen wie Bezos, müsse man viel Geduld haben, experimentierfreudig sein und sich nicht von Misserfolgen entmutigen lassen, rät der Amazon-Chef.
Zweitens: Proxies aus dem Weg gehen
Als zweites rät er, Proxies zu vermeiden – doch was meint er damit? Bezos beschreibt mit dem Begriff Prozesse, die Unternehmen einführen, wenn sie größer und ihre Strukturen komplexer werden. Das Problem: „Du hörst auf, die Ergebnisse zu prüfen, und stellst nur noch sicher, dass du die Prozesse korrekt einhälst“, schreibt Bezos. So passiere es schnell, dass Manager Missstände nicht mehr hinterfragen, sondern die Schuld bei den Prozessen suchen, für die sie wiederum nicht verantwortlich seien.
Drittens: Trends umsetzen
Drittens dürfe kein Unternehmen je den Blick in die „Welt da draußen“ verlieren, da es sonst Gefahr laufe, wichtige Trends zu verpassen. Wer Trends bekämpft, bekämpft die Zukunft, wer sie umarmt, habe hingegen Rückenwind. Konkret benennt Bezos maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz als die großen Trends der Gegenwart. Amazon selbst setze sich seit Jahren mit diesen Trends auseinander, was sich bei den Lieferdrohnen, den kassenlosen Supermärkten oder der cloudbasierten AI-Assistentin Alexa zeige.
Viertens: zügige Entscheidungen
Um die Dynamik des erstens Tages zu wahren, rät Bezos zuletzt dazu, Entscheidungen möglichst schnell zu treffen. Besonders wichtig sei dabei der Mut zur Lücke: „ (…) die meisten Entscheidungen sollten getroffen werden, wenn man etwa 70 Prozent der Informationen hat, die man wünscht. Wenn du auf 90 Prozent wartest, bist du in den meisten Fällen wahrscheinlich zu langsam.“ Vor Fehlentscheidungen sollte man dabei keine Angst haben. Denn diese seien oft weniger kostspielig als zu langsam getroffene Entscheidungen. Bezos selbst geben den Mitarbeiten daher oft grünes Licht für Entscheidungen, die ihm missfallen. Denn das spare Zeit.