Am 16. Januar 2023 erschien auf absatzwirtschaft.de die erste Ausgabe der Nachrichtenkolumne „Work & Culture“. Seither beschreibe und kommentiere ich alle zwei Wochen die spannendsten und/oder relevantesten Neuigkeiten und Trends aus HR, New Work und Culture – mit zunehmendem Interesse von Leserinnen und Lesern. Dafür ein herzliches Dankeschön, gerne machen wir also auch im nächsten Jahr mit „Work & Culture“ weiter.
Heute aber erscheint mit Nr. 25 erst einmal die letzte Ausgabe 2023 und liefert so den perfekten Zeitpunkt für einen ganz persönlichen Jahresrückblick. Gewohnt subjektiv und meinungsfroh hebe ich heute nochmal jene Menschen hervor, die mich in den zurückliegenden Monaten beim Schreiben von „Work & Culture“ besonders beindruckt haben – im positiven oder negativen Sinne.
Flop für Sturm und Rätsch, Top für Seiler und Wegner
Der erste Doppel-Flop des Jahres geht sogleich an mich selbst, gemeinsam mit Christian Rätsch. Angesichts des dramatisch wachsenden Fachkräftemangels entdeckten Anfang 2023 immer mehr Branchenleute das Thema Ageism und bekundeten möglichst öffentlichkeitswirksam ihr Herz für ältere Mitarbeitende.
Rätsch war damals gerade 50 Jahre alt geworden und auf dem Karrieresprung vom Saatchi & Saatchi-CEO zum Chef der BBDO-Gruppe. Auf LinkedIn schlug er seinerzeit eine #Ü50-Quote vor und schaffte damit fast 500 Likes. Was ich wiederum zum Anlass nahm, in der ersten „Work & Culture“ im Januar zu schreiben: „Gut möglich, dass nach New Work und New Normal 2023 das Jahr des New Old wird.“
Heute sind wir alle ein bisschen schlauer. Die große „Boomer Liebe“ auf dem Arbeitsmarkt ist ausgeblieben, viel Positives hat sich auf dem Feld der Altersdiskriminierung nicht getan. Meine These vor zwölf Monaten war also deutlich zu steil, Rätschs Quoten-Idee war nicht sehr viel mehr als gute heiße PR-Luft.
Einen deutlich besseren Riecher hatte die Deutsche Bahn, als sie Anfang 2023 eine neue Employer Branding-Kampagne startete und potentielle Mitarbeitende darin ganz unverblümt fragte: „Was ist Dir wichtig?“ Diese konsequent zielgruppenfixierte Herangehensweise kam in der HR- und Marketingbranche sehr gut an. Martin Seiler, Personalvorstand Deutsche Bahn, und Kerstin Wegner, Vice President Talent Acquisition Deutsche Bahn, haben somit gleich zu Beginn 2023 die Messlatte für gutes Employer Branding ganz schön hochgelegt und sich ein klares Doppel-Top in diesem Rückblick verdient.
Top für Dumas, Flop für Photon Meissener
Das nächste Top des Jahres geht an Susanne Dumas, Vertriebsmitarbeiterin beim Metallunternehmen Photon Meissener, nahe Dresden. „Dumas, wer?“, fragen Sie sich jetzt vielleicht. Die Frau hat im Februar ein Urteil beim Bundesarbeitsgericht (BAG) erstritten, wonach der Equal-Pay-Grundsatz nicht ausgehebelt werden dürfe, bloß weil ein Kollege besser verhandeln könne.
Konkret hatte Dumas ihren Arbeitgeber verklagt, weil sie für die gleiche Arbeit rund 1000 Euro weniger monatlich verdiente als ein männlicher Kollege. Die fadenscheinige Begründung des Arbeitsgebers: Der Mann hätte einfach „besser verhandelt“. So nicht, entschied das BAG. Eigentlich müsste man den Metallbetrieb also nicht nur wegen unfairer Gehaltszahlungen verklagen, sondern auch wegen besonders dümmlicher Begründungen. Da das aber nicht geht, gibt’s heute wenigstens ein offizielles Flop von mir.
Top für Salah-Eldin und von Stuckrad-Barre, Flop für Döpfner und Reichelt
Seit Sommer 2022 ist Niddal Salah-Eldin im Vorstand von Axel Springer für „Talent & Culture“ des Medienkonzerns verantwortlich. Kaum ein Jahr später, im April 2023, fiel ihr dann die Causa Mathias Döpfner/Julian Reichelt vor die Füße, in der es – Sie werden sich erinnern – unter anderem um Machtmissbrauch und Sexismus sowie um Lästern über Angela Merkel, ostdeutsche Landsleute und Muslime ging.
Salah-Eldin bemühte sich immer wieder um Schadensbegrenzung. Auf LinkedIn schrieb sie: „Was gerade passiert, hat mit der ganz großen Mehrheit der Menschen bei Axel Springer gar nichts zu tun.“ Das kann man ihr glauben. Muss man aber nicht. Im gerade erst erschienen Interview mit der Fachzeitung „Journalist“ jedenfalls antwortet Salah-Eldin auf die Frage: „Wie erleben Sie denn die Kultur und das Miteinander im Axel-Springer-Vorstand?“ schlicht mit der Gegenfrage „Was glauben Sie denn?“ – und lacht. Ich finde: Für Loyalität und Humor hat Salah-Eldin mindestens ein Top des Jahres verdient.
Ebenfalls bemerkenswert in diesem Kontext: Benjamin von Stuckrad-Barre und sein Buch „Noch wach“. Darin beschreibt der Mann – natürlich rein fiktiv – zu wieviel Menschenverachtung jahrelanger Machtmissbrauch und Sexismus in einem großen Medienkonzern führen können. Seine Motivation für das Buch beschrieb von Stuckrad-Barre gegenüber dem „Spiegel“ mit dem hübschen Satz: „An bestimmten Weggabelungen geht es ganz simpel darum, kein Arschloch zu sein.“ Was bitte sonst soll diese Haltung sein, als Top?!
Apropos: Wenn Sie mich fragen, ist die Causa Döpfner/Reichelt der kapitalste Doppel-Flop des Jahres, zumindest wenn es um Dinge wie Anstand, Arbeitskultur und Aufarbeitung in einem internationalen Medienkonzern geht.
Flop für Neubauer, Flop für David + Martin
Im Mai dann Floppte Luisa Neubauer auf der Bühne des OMR-Festivals. In ihrer Keynote „Cut the Bullshit“ prangerte die „Fridays for Future“-Frontfrau massiv das weltweite Greenwashing an – und fand auch schnell die Haupt- und Mittäter: Unternehmenslenker und deren Marketingverantwortliche, die die Öffentlichkeit nachweislich und wissentlich betrügen und belügen. „Macht da nicht mehr mit“, rief Neubauer in den rappelvollen OMR-Saal, und forderte die versammelte Digitalmarketingszene zur Kündigung auf.
Schade nur, dass Neubauer auf Nachfragen später sehr vage und einsilbig wurde – und die Konsequenzen ihres Aufrufs nicht wirklich zu Ende denken wollte. Und so roch ihr kollektiver Kündigungsappell doch eher nach kalkulierter Provokation, statt nach ernsthafter Auseinandersetzung. Mein Fazit: Unterm Strich leider ein Flop.
Im Juli dann hat sich die Kreativschmiede David + Martin meiner Ansicht nach total verfloppt – pardon: verrannt. Mit der Kampagne #BesserArbeitslosAlsKinderlos haben sich die Werber gemeinsam mit The Female Company in die Debatte um geplante Kürzungen beim Elterngeld eingemischt und Mitarbeitende aufgefordert: Erst Kündigen, dann Kind kriegen, dann Arbeitslosgengeld kassieren. „So bleiben sie sozial- und krankenversichert, bekommen aber bis zu 2.400 Euro Arbeitslosengeld statt bis zu 1.800 Euro Elterngeld“, schrieb Martin Eggert auf LinkedIn. Für so viel Abgehobenheit und zur Schau getragene „Der Ehrliche ist der Dumme“-Haltung gibt es von mir heute ein dickes #BesserFlopalsgarnichtimJahresrückblick.
Flop für Faeser, Top für Kugler
Einen besonders betrüblichen Flop landete im Oktober Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die bei der Wahl zum hessischen Landtag als SPD-Ministerpräsidentin kandidierte. Im Einladungsschreiben zu einer Pressekonferenz (PK) wünschte sich die Profipolitikerin, dass die Redaktionen bitte schön Journalistinnen schicken mögen. Schließlich seien auch alle Speakerinnen weiblich – neben Faeser die drei SPD-Ministerpräsidentinnen Malu Dreyer, Anke Rehlinger und Manuela Schwesig. Das Medienecho auf die Männer- und Diversityfeindliche PK-Einladung reichte von “lachhaft” bis “empörend”. Und ich kommentierte seinerzeit: „Was für ein Bärinnendienst! “. Heute also sage ich: Flop.
Janina Kugler hätte Faesers ausladende Einladung indes wohl eher mit den Worten „Was für eine Alibi-Aktion“ kommentiert. Die Multiaufsichtsrätin und ehemalige Siemens-Vorständin beklagte bereits ein paar Monate zuvor im „Manager Magazin“: „Diversity verkommt zur Show. Es gibt Marketingkampagnen mit tollen Fotos, aber wenig Inhalt.“
Gegen aufkommende „Diversity Fatigue“ könne nur helfen, „weniger Zeit in inhaltsleere und sich nach Alibi anfühlende Kampagnen zu investieren und stattdessen lieber ernsthaft an Konzepten zu arbeiten, wie man ‚andere‘ Arbeitnehmer*innen für das eigene Unternehmen gewinnen“ kann. Ich finde, damit hat Kugler sehr deutlich Recht. Top!
Jahresdauer-Flop für Musk
Bleibt mir zum Schluss nur noch das zweifelhafte Vergnügen ein besonders dickes Flop für Elon Musk zu vergeben. Was der in den zurückliegenden zwölf Monaten seinen Mitarbeitenden und den Arbeitskulturen von Tesla, X und anderen Bereichen seines Imperiums zugemutet hat, dürfte in vielerlei Hinsicht Negativrekordverdächtig sein. Ob die Suche nach einem „Security Intelligence Investigator“ in der Brandenburgischen Gigafactory, seine unverblümten Drohungen gegenüber Menschen, die im Home Office arbeiten oder sein ganz grundsätzlich eher fragwürdiges Verhalten gegenüber Mitarbeitenden – Musk hat sich Jahres in Sachen „Work & Culture“ den letzten Satz des Jahres und damit den Jahresdauer-Flop 2023 redlich verdient.
In diesem Sinne: Wunderbare Weihnachten, einen flopfreien Rutsch ins Neue Jahr – und bleiben Sie gut drauf!