Der Kulturwandel in deutschen Unternehmen hin zu flachen Hierarchien und mehr Eigenverantwortung zeichnet sich ab, aber die Führung in deutschen Unternehmen ist nach wie vor stark männlich geprägt. Gerade in Großunternehmen und Konzernen werden die Chefs den neuen selbstbewussten Anforderungen der Arbeitnehmer nur mit Einschränkungen gerecht.
Vielfalt Fehlanzeige. Führungspositionen auf allen Ebenen der Unternehmen bleiben eine Männerdomäne
70,1 Prozent der befragten Arbeitnehmer haben einen männlichen Vorgesetzten. Nur 29,9 Prozent der Befragten arbeiten unter der Führung einer Frau. Damit entspricht die Verteilung nahezu exakt der seit 2016 geltenden Quote für Aufsichtsräte von Großunternehmen, die vom Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend vorgeschlagen wurde. Damit ist die Verteilung über alle Führungsebenen zwar paritätischer als an der Spitze von Konzernen, allerdings hätte der Unterschied aufgrund des gemischten Karrierelevels der Befragten (gefragt wurde nach dem direkten Vorgesetzten) durchaus größer ausfallen können. Regional wird die sogenannte „Geschlechterquote“ sogar häufig im Schnitt über alle Führungsrollen unterschritten. In Hamburg und Schleswig-Holstein sind mehr als Dreiviertel (77,3 Prozent) aller Vorgesetzten männlichen Geschlechts – nirgendwo sonst ist der Anteil höher – knapp gefolgt von Baden-Württemberg mit 76,3 Prozent und Rheinland-Pfalz/Saarland mit 72,6 Prozent. Aber es gibt auch Ausreißer nach oben: Deutlich durchmischter und vielfältiger zeigen sich viele Unternehmen in den neuen Bundesländern. Führend in Sachen Frauenanteil sind Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, wo vier von zehn (39,6 Prozent) der Chefs weiblich sind, gefolgt von 38,5 Prozent in Thüringen. In der Bundeshauptstadt Berlin werden 37,2 Prozent der Chefsessel von Frauen belegt.
Zufrieden: Mehr als die Hälfte der Deutschen fühlt sich vom Vorgesetzten wertgeschätzt
Worauf kommt es Arbeitnehmern vor allen Dingen bei ihren Personalverantwortlichen an? Die Antwort ist eindeutig. Rund jeder zweite Beschäftigte (49,1 Prozent) wünscht sich zu aller erst Wertschätzung vom Chef. Unter die „Top 3“ schaffen es auch Führungskompetenz (39,0 Prozent) und die Fähigkeit, die Mitarbeiter zu motivieren und mitzunehmen (30,0 Prozent). Gefragt nach der tatsächlich erfahrenen Wertschätzung durch den direkten Vorgesetzten bescheinigen mehr als die Hälfte (56,1 Prozent) der Befragten, dass sie eine entsprechende Aufmerksamkeit und Würdigung ihrer Person und Leistung erfahren.
Auch in Sachen offener Kommunikation, Authentizität und Loyalität stellen die Befragten den Chefs mehrheitlich ein gutes Zeugnis aus. Allerdings nimmt die positive Bewertung mit der Größe des Unternehmens drastisch ab. Bei Konzernen mit mehr als 50.000 Mitarbeitern vergibt nicht einmal mehr jeder fünfte Befragte (18,3 Prozent) die Bestnote für Wertschätzung an ihren jeweiligen Personalverantwortlichen. Spannend: weibliche Vorgesetzte lassen ihren Mitarbeitern laut den Umfrageergebnissen eine höhere Wertschätzung zu Teil werden. 25,6 Prozent der weiblichen Chefs erhalten die Bestnote in dieser Kategorie, während nur 22,6 Prozent der männlichen Chefs diese erreichen.
Fast Dreiviertel der deutschen Vorgesetzten agieren auf Augenhöhe mit Mitarbeitern
Mit dem Versprechen der flachen Hierarchie schmücken sich viele Unternehmen gerne. Doch wie schaut es hinter den Kulissen aus? Immerhin: Sieben von zehn Befragten (72,4 Prozent) geben zu Protokoll, dass ihnen die direkten Vorgesetzten kollegial auf Augenhöhe begegnen. Mehr als jeder vierte befragte Arbeitnehmer (27,6 Prozent) gibt hingegen an, dass der Chef Wert auf einen deutlichen Abstand zu seinen Mitarbeitern setzt. Weibliche Vorgesetzte zeigen sich dabei nahbarer als ihre männlichen Pendants. Ihnen wird von fast Dreiviertel (74,0 %) der Arbeitnehmer ein kollegiales Auftreten bescheinigt, während nur 71,7 Prozent der männlichen Chefs auf ihre Mitarbeiter zugehen. Dabei legen viele Arbeitnehmer Wert auf flache Hierarchien, da sie mehr Einflussmöglichkeiten für den Einzelnen ermöglichen. So bevorzugen nahezu Zweidrittel (64,9 %) der Befragten diese Organisationsform in ihrem Arbeitsalltag. Mehr als jeder vierte Angestellte (27,6 %) geht gar einen Schritt weiter und plädiert für eine vollständig basisdemokratische Philosophie, in der sämtliche Entscheidungen im Team gefällt werden. Nur 7,4 Prozent der Angestellten wünschen sich deutliche Hierarchien zurück.
Jahresbilanz: Frauen lassen Männer in Sachen Führungskompetenz hinter sich
Was ist in Deutschland wichtiger für den Aufstieg – Fachexpertise oder Führungskompetenz? An dieser Frage scheiden sich häufig die Geister. Die Ergebnisse der Umfrage lassen den Schluss zu, dass es stärker auf die fachliche Qualifikation ankommt. Im direkten Vergleich bewerten die Befragten die Fachkenntnis ihrer Vorgesetzten auf jeden Fall weitaus besser als die Führungsqualitäten. Während 29,0 Prozent der Chefs Bestnoten für ihr Spezialwissen erhalten, können nur 22,2 Prozent mit ihrer Führungskompetenz auf ganzer Linie überzeugen. Das gilt sowohl für Frauen als auch für Männer. Allerdings klafft bei weiblichen Chefs nicht eine so deutliche Lücke zwischen der Bewertung für Fachkenntnis (m: 29,9 w: 26,9 %) und Führungskompetenz (m: 21,4, w: 24,1 %).
Klare Grenzen: Mehr als ein Drittel meidet den privaten Kontakt zum Chef
Lassen neue flache Organisationsformen das Verhältnis zum Chef auch persönlicher und privater werden? Nicht unbedingt: Nur 30,5 Prozent der deutschen Arbeitnehmer pflegen auch außerhalb des Büros Kontakt zu ihren Vorgesetzen, während immerhin 71,5 Prozent der Beschäftigen mit den Kollegen im privaten Austausch sind. Dabei spricht die Wahl der Kommunikationswege bereits eine deutliche Sprache über den jeweiligen Grad der Distanz. Während mit dem Chef bevorzugt verhältnismäßig förmlich über Telefon (73,2 %) und E-Mail (52,3 %) kommuniziert wird, nutzen die Befragten unter Kollegen bereits verbreitet Messaging-Dienste (48,6 %) und soziale Netzwerke (21,9 %). Der Kontakt mit dem Chef bleibt dabei über als privat empfundene Kanäle für die große Mehrheit ein heikles Thema. Nur 21,6 Prozent der Mitarbeiter heißen ihren Vorgesetzten etwa in der Messaging-Gruppe des Teams willkommen.
Nur rund ein Fünftel der Angestellten möchten den Job ihres Chefs machen
Müssen sich die Chefs bei all den Umwälzungen in der Arbeitswelt denn Sorgen machen, dass sie bald überflüssig sind oder gar abgelöst werden? Offenbar sind sich viele Beschäftigte den Herausforderungen von Führungsaufgaben bewusst oder streben sie nicht an. Lediglich eine kleine Minderheit von 18,1 Prozent der Befragten möchte nach ihren Ambitionen gefragt in die Rolle des eigenen Chefs schlüpfen. Bemerkenswert dabei: Frauen (11,1 %) und ältere Mitarbeiter über 50 Jahre (12,3 %) zeigen im Schnitt weniger Interesse als der durchschnittliche Arbeitnehmer, den Job vom Chef zu übernehmen.
Neues Arbeiten im Mittelpunkt der New Work Experience am 30. März 2017 in Berlin
Eine sich verändernde Führungskultur gehört zu einer größeren Entwicklung in Wirtschaft und Gesellschaft mit starken Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, die häufig mit dem Schlagwort „New Work“ beschrieben wird. Im Zuge des Wandels, der durch Digitalisierung, Fachkräftemangel und eine neue Anspruchshaltung der Berufstätigen hervorgerufen wird, erhalten Arbeitnehmer mehr Flexibilität und Selbstbestimmung. Bestenfalls können sie dadurch Beruf und Leben für eine ausgewogenere Work-Life-Balance besser in Einklang bringen. Zu den Veränderungen gehören etwa flexible lebensphasen-orientierte Arbeitskonzepte, flache Hierarchien, Initiativen für mehr Diversität, mehr Demokratie und Mitbestimmung in Betrieben sowie neue Führungsmethoden in Zeiten von Industrie 4.0. All diesen Themen widmet XING mit der New Work Experience am 30. März in Berlin die bisher größte Austauschplattform im Vorfeld der Bundestagswahl mit mehr als 700 Gästen aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Als Höhepunkt vergibt XING zusammen mit einer renommierten Fachjury den vierten New Work Award für die besten zukunftsweisenden Arbeitskonzepte.
Zur Studie: Online-Befragung von 1.803 deutschen Arbeitnehmern durch marketagent.com, durchgeführt im Oktober 2016