Bereits der letzte Vorstoß der OWM sorgte für heftige Kritik. Der vorgelegte Mustervertrag zwischen Kunden und Mediaagenturen schien vielen Agenturvertretern zu einseitig und ging an der Realität vorbei. Erst im letzten Jahr hatte eine Studie der Unternehmensberatung Accenture gezeigt, dass drei Viertel der 100 befragten Werbetreibenden keinen Handlungsbedarf in Sachen Transparenz oder Vergütung im Mediageschäft sehen. Gebetsmühlenartig bemüht sich der Kundenverband OWM darum, seine Mitglieder dennoch für das Thema zu sensibilisieren.
Zuletzt gab es in der letzten Woche noch eine Pressemitteilung (siehe www.absatzwirtschaft.de), in der die OWM Begrifflichkeiten wie „Eigene Wirtschaftsstufe“, „Transparenz“ und „Fair Share“ definierte und ein Thesenpapier dazu veröffentlichte.
Werner Bitz, Geschäftsführer des Mediaagenturverbandes im Gesamtverband der Werbeagenturen OMG, zeigt sich gegenüber absatzwirtschaft verschnupft über den neuerlichen Alleingang des Kundenverbandes: „Bei der Veröffentlichung der OWM handelt es sich um Binsenweisheiten. Die Verbände hatten sich darauf verständigt, bis zum Abschluss der Gespräche Stillschweigen zu bewahren. Das Ergebnis der Beratungen sollte in einer gemeinsamen Publikation von OWM und OMG veröffentlicht werden.“ In den vergangenen Monaten sind die Gespräche allerdings ins Stocken geraten. Nun hat sich die OWM offenbar zum Alleingang entschieden. „In seiner Publikation wiederholt der Verband bereits hinlänglich bekannte Positionen, die auch schon mehrfach öffentlich diskutiert wurden. Solange die OWM Mitglieder im Tagesgeschäft anders agieren als der Verband es propagiert, sind Gespräche wenig zielführend“, ergänzt Bitz.
Auch der Verband der Mediaagenturen OMG wiederholt sich, denn er verweist bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf die Transparenz in den bilateralen Verträgen zwischen Kunde und Mediaagentur. Der Knackpunkt: Kunden können jedoch nur dann etwas beanspruchen, was sie in vollem Umfang kennen. Viel schlimmer noch: Bis zum Ruzicka-Prozess wurde die bloße Existenz der Agenturrabatte oder Sideletter der Share Deals sogar geleugnet.
Eine Katastrophe, wie sich heute herausstellt. So wurde das größte Mitglied des OMG verklagt, weil es die Basis solcher Verträge nicht rückwirkend offenlegen will. Das Landgericht München entschied, dass auch Agenturrabatte ursächlich mit dem Geld der Kunden erlangt werden, anteilig an diese ausgeschüttet werden müssen, und nicht von anderen Rabatten getrennt werden dürfen.
Einige Mediaagenturen haben damit wenig Freude. Sie müssen Renditevorgaben ihrer Networks von bis zu 30 Prozent erfüllen. Trotz Werbekrise. Das wird umso schwieriger, wenn Großkunden wie Danone oder Reckitt Benckiser zum Pitch laden und noch mehr Rabatte für sich fordern. Procter & Gamble jubilierte erst kürzlich öffentlich, weltweit fünf Prozent mehr Medialeistung mit 500 Millionen Dollar geringerer Spendings erzielt zu haben. Für die betreuende Mediaagentur Mediacom wohl nicht unproblematisch. Hat sie qualitativ gute Arbeit geleistet, Reichweite und Rabatte erhöht, verliert aber dann an Honorar, wenn sich dieses ausschließlich aus dem Nettoschaltvolumen errechnet. Der „Best Price Deal“ von Mediacom im Pitch um Nokia war diesem Kunden nicht genug. Marktführer Mediacom konnte mit Nokia nicht mehr kostendeckend arbeiten und lehnte dem Vernehmen nach eine weitere Teilnahme am Pitch ab. Der Etat ging an Carat.
Steht am Ende das Geschäftsmodell der Mediaagenturen zur Disposition? Colin Gottlieb, CEO der Omnicom Media Group, sagte der britischen Mediaweek: „Die Tage des heutigen – 150 Jahre alten – Provisionssystems sind gezählt. Das fordert Mediaagenturen ihre Vergütungsmodelle schnell weiterzuentwickeln.“ Mediaweek zitiert einen nicht namentlich genannten Mediaspezialisten: „Das traditionelle Mediaagenturmodell arbeitet auf der Basis, dass sehr viel Geld durch das System geht. Sobald das passiert, fällt einiges davon hier und da zur Seite. So machen Mediaagenturen seit Jahren ihr Geld. Jedoch zeigen sich Kunden zunehmend verärgert. Sie mögen den Umstand nicht, dass verstecktes Geld um sie herum fließt.“ Bevor allerdings die Agenturen gezwungen werden, alles offen zu legen, könnte sich eine andere Lösung herauskristallisieren. Ein Agenturvertreter, der nicht namentlich genannt werden will, meint zu den Bestrebungen der Werbekunden, alle Rabatte und Naturalrabatte wie Freispots für sich zu beanspruchen: „Dann lagern wir die Rabatte eben aus!“
In diesem Zusammenhang sorgt ein neuer Begriff für Unruhe im Mediageschäft: „Scaling“. Externe Drittfirmen „schälen“ die Angebote der Medien – und zwar so, dass Werbezeiten und –flächen aufgekauft werden. Auf eigene Rechnung, eigenes Risiko, aber ohne Auftrag eines Kunden. Diese Drittfirmen erzielen hiernach noch größere Rabatte bei den Medien. Diese Drittfirmen könne die dann tatsächlich in ihrem Besitz stehenden Werbezeiten und –flächen zu eigenen Preisen und mit selbst festgelegten Rabatte an die Mediaagenturen ihres Networks oder direkt an deren Kunden verkaufen.
GroupM geht seit letztem Jahr sogar noch einen Schritt weiter. GroupM Trading trägt weltweite Verantwortung für die Bündelung des Mediaeinkaufs der vier Netzwerkagenturen Mediacom, Mindshare, Mediaedgecia und Maxus. Trading bezieht sich hierbei auf den agenturübergreifenden Handel mit Werbezeiten und –flächen als auch auf die Optimierung der dazugehörenden tariflichen und außertariflichen Vorteile. Was mit großem medialen Aufsehen im Juni 2008 eingeführt wurde, findet inzwischen hinter den Kulissen statt. Offenbar auch, um Wettbewerbshüter milde zu stimmen. Bereits heute gibt es Kritik daran, dass wohl jeder zweite Werbespot im deutschen Fernsehen von GroupM gebucht wird und offenbar über den Tisch von GroupM Trading geht.
Die Omnicom Media Group hat die Einkaufstochter Opera gegründet. Hier wird der Mediaeinkauf der eigenen Agenturen OMD und PHD gebündelt, einschließlich der dadurch erzielten Rabatte. Auch Aegis Media hat zunächst keinerlei Kundenkontakt. Sie tritt dem Vernehmen nach jedoch auch gegenüber den Medien auf und beansprucht Agenturvorteile für die eigenen Agenturen Carat, Vizeum und HMS. Diese Auslagerung macht es Werbekunden schwer, die von den Drittfirmen erzielten Rabatte für sich zu beanspruchen oder auch nur von deren Höhe Kenntnis zu erlangen. Sollte im bilateralen und transparenten Mediavertrag zwischen Agentur und Kunde kein Anspruch auf Rabatte enthalten sein, die über Drittfirmen generiert wurden, könnte es schwer werden diesen Anspruch durchzusetzen. Gleiches gilt für den Einkauf von Werbezeiten und –flächen, der nicht direkt bei den Medien erfolgt, sondern bei Drittanbietern – auch wenn diese nur mittelbar einen Bezug zum Firmenkomplex der Mediaagenturen besitzen, aber selbst keine Medienangebote unterhalten.
Durch den Einsatz von Drittfirmen für Scaling können Mediaagenturen die Preise für Werbezeiten und –flächen frei festlegen. Die Medien haben keinen Einfluss mehr auf die Werbepreise. Vermarkter, die sich darauf einlassen, machen sich selbst überflüssig. Die Kunden, die sich darauf einlassen, haben kaum einen Anspruch auf sämtliche Rabatte. Der TV-Werbezeitenvermarkter SevenOne Media bestätigt, bereits heute etwa drei Prozent seiner Werbezeiten für Scaling zur Verfügung zu stellen. Zunächst in auslastungsschwachen Zeitschienen, was in Zeiten der Werbekrise eine relative Einschränkung ist.
Eine Praxis, die das heutige Marktgefüge auf den Kopf stellt. In Frankreich führte dies zu einem Duopol von zwei Agenturlagern, die den Markt unter sich aufgeteilt und die Preise bestimmt haben. Die Situation gefährdete den Medienstandort und Werbemarkt Frankreichs – bis der Staat im Jahr 1993 eingriff und mit dem Loi Sapin Vorgaben machte. Die Mediaagenturen hatten sich selbst ins Abseits gestellt. Ein Szenario, auf das auch der deutsche Werbemarkt zusteuert. Das Bundeskartellamt hat bei einem vermeintlichen Duopol im Fernsehmarkt bereits eingegriffen. Wenn zwei Agenturlager Werbezeiten und –flächen aufkaufen und die Preise selbst bestimmen können, kann dasselbe Bundeskartellamt nicht tatenlos zusehen. Wohin der Einsatz von externen Drittfirmen, als auch das „originelle und kreative“ Umleiten von Erlösen aus Naturalrabatten führen kann, zeigt zudem der Fall des ehemaligen CEO von Aegis Media, Aleksander Ruzicka. Auch hier griff der Staat ein und durch.
Um diese Szenarien zu verhindern, planen einige Werbekunden eine Rolle rückwärts. Media soll wieder inhouse erledigt werden. Genauso wie der Markt bis in den 1970er Jahren funktionierte, bevor Mediaabteilungen ausgelagert wurden und sich zu den heutigen Mediaagenturen entwickelten. Dass Werbekunden dabei nicht auf Rabatte durch die Bündelung vieler Kundenbudgets verzichten wollen, sondern nach neuen Erlösquellen direkt mit den Medien suchen, ist sehr wahrscheinlich. Mediaagenturen versuchen bereits jetzt auch mittels Scaling zu verhindern, dass sie von Geldflüssen zwischen Kunden und Medien abgekoppelt werden, an denen sie hauptsächlich verdienen. Alles wieder auf Anfang in einem ausufernden Markt um Geld, Macht und Gier.
Michael Ziesmann