Herr Steinhilber, warum glauben Sie so sehr an digitales Leasing als Mobilitätsansatz der Zukunft?
LUKAS STEINHILBER: Das hat vor allem mit dem Nutzungsverhalten jüngerer Generationen zu tun. Die Kunden von morgen wollen nicht kaufen, sondern einen Service nutzen und haben dafür ein monatliches Budget. Genau diesem Bedürfnis begegnen wir mit unserem Leasing-Ansatz. Hinzu kommt unsere durch und durch digitale Lösung. Wer bisher einen Leasing-Vertrag online abschließen wollte, stieß im Internet höchstens auf Kontaktformulare. Und wer Preise vergleichen wollte, musste bis zuletzt wie in den vergangenen fünfzig Jahren von Autohaus zu Autohaus gehen. Diese Schritte sind alle auf unserer Plattform möglich.
Wie differenzieren Sie sich von anderen Plattformen?
Der größte Unterschied ist, dass wir viel Zeit und Ressourcen verwenden, um jeden einzelnen Prozessteil zu digitalisieren. Bei Vehiculum können Leasing-Angebote deutschlandweit transparent verglichen und mit wenigen Klicks abgeschlossen werden. Kunden müssen am Ende also nicht noch bei einem Händler anrufen oder zu einem Autohaus fahren. Bei uns fallen zudem weder Kosten für die Zulassung noch für die Haustürlieferung an, was uns einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz verschafft.
In den ersten knapp vier Jahren hat sich Vehiculum ausschließlich an Geschäftskunden gerichtet. Erst an diesem Dienstag haben Sie Ihre Plattform auch für den Privatkundenmarkt geöffnet. Wie geht es nun weiter?
Wir sind uns sicher, dass sich unser Wachstum in den kommenden Jahren ausschließlich aus dem Privatkundengeschäft ergeben wird. Die Öffnung dafür ist nun eine ganz neue Möglichkeit, uns als „Plattform für alle“ zu positionieren. Um der entsprechenden Nachfrage zu begegnen, haben wir in den vergangenen Jahren auf der Angebotsseite Partnerschaften mit den größten Autohandelsgruppen geschlossen und vermitteln Verträge von den wichtigsten Leasinggesellschaften.
Ein erster Vorbote für den Einstieg ins Privatkundengeschäft war Anfang 2019 eine Vertriebskooperation von Vehiculum mit dem Discounter Lidl, in dessen Online-Shop das Modell Fiat 500 für eine monatliche Leasingrate von 89 Euro angeboten wurde. Nur wenige Tage nach dem Start der Aktion waren die insgesamt 1000 Fahrzeuge komplett vergeben. Was ist Ihre wichtigste Erkenntnis aus dieser Aktion?
Um herauszufinden, wie weit ein Markt ist, kann es sinnvoll sein, wenn man an einem extremen Ende ansetzt. Und wenn man Auto-Leasing über einen Discounter anbietet, dann ist das schon recht weit weg von klassischen Annahmen wie zum Beispiel, dass potenzielle Automobilkunden vor einem Kauf zwingend in einem Showroom eines Händlers gewesen sein müssen und Wert auf einen Verkäufer im Anzug oder eine Testfahrt legen. Der Erfolg der Lidl-Aktion hat uns ganz klar gezeigt, wie groß der Bedarf nach einfachem Online-Leasing ist.
Ein entsprechendes Leasing-Angebot hätte im Prinzip auch jeder Autohändler machen können.
Das stimmt. Aber wir haben das Angebot mit einem selbst entwickelten Prozess kombiniert, den in dieser Form noch keiner hatte – mit einer volldigitalen Antragsstrecke, einer Online-Bonitätsprüfung, einer Video-Identifikation und schließlich auch einer elektronischen Unterschrift. Das alles ist zwar auch immer noch nicht unbedingt eine Raketenwissenschaft, aber im Bereich Auto-Leasing ganz weit weg vom Standard. Wir glauben fest daran, dass Kunden heute einfache, leicht verständliche und vertrauenswürdige Prozesse wollen. Und diesen Zeitgeist wollen wir bedienen.
Werden Sie analog zum Lidl-Case weitere Aktionen dieser Natur starten?
Das ist unser Ziel. Wir prüfen aktuell diverse Formen, wie wir diese Art von Vertriebskooperation wiederholen können. Bis zur Umsetzung wird es aber mindestens noch bis Ende des Jahres dauern.
Der bei Lidl angebotene Fiat 500 war ein vorkonfiguriertes Auto, ohne individuelle Gestaltungsmöglichkeit für den Kunden. Entspricht das auch dem Zeitgeist Ihrer potenziellen Kunden?
Aus dem Bauch heraus würde ich diese Frage mit einem „ja“ beantworten. Früher galt noch einhellig die Annahme, dass Kunden ihre Autos bis zur letzten Chromleiste mehrheitlich individuell gestalten wollen. Und ich stelle auch nicht infrage, dass diese Käufergruppe auch heute noch weit verbreitet ist. Aber gerade jüngere Zielgruppen haben eine andere Einstellung zu einem Auto. Etwas pauschalisiert formuliert reicht es den meisten aus, wenn das Auto schwarz ist, ein Navi hat, von A nach B kommt und eventuell noch ein bisschen sportlich aussieht. Aber die Naht vom Sitz beispielsweise muss nicht unbedingt noch eine spezielle Farbe haben. Junge Zielgruppen haben stattdessen andere Interessen, wie unter anderem eine schnelle Verfügbarkeit sowie ein praktisches Produkt mit einer transparenten Preisgestaltung.
Wie sieht denn überhaupt Ihre Kernzielgruppe im Privatkundengeschäft aus?
Auf ganz Deutschland bezogen ist unsere Zielgruppe 30 Jahre und älter. Im ländlichen Raum ist sie dagegen im Schnitt etwas jünger. Ein 18-Jähriger, der in einem Dorf wohnt und täglich 20 bis 30 Kilometer mit dem Auto zur Ausbildungsstätte fahren muss, hat andere Bedürfnisse als Gleichaltrige im urbanen Raum. Da brauche ich nur in unsere Firma reinschauen: Unser Altersschnitt liegt bei circa 27 Jahren. Die meisten der jüngeren Kollegen wollen gar kein Auto mehr besitzen, weil sie hier in Berlin zwischen unzähligen Mobilitätslösungen wählen können. Unsere älteren Kollegen etwa mit Familie haben da schon eher den Bedarf eines Autos zur exklusiven Nutzung. Denn Carsharing hilft beispielsweise einer vierköpfigen Familie nur bedingt, den alltäglichen Mobilitätsanforderungen in einer Großstadt gerecht zu werden – schon gar nicht, wenn man gegebenenfalls obendrein noch dezentral wohnt.
Ihre Geschäfte entwickeln sich positiv: Nach kumuliert 300 Millionen Euro seit der Gründung erwarten Sie allein 2019, womöglich auch getrieben durch den Einstieg ins Privatkundengeschäft, Aufträge im Wert von über 350 Millionen Euro. Was ist Ihre Wachstumsvision für die kommenden Jahre?
Ich würde hier ungern mit großen Zahlen hantieren. Klar ist, dass das Privatkundengeschäft für uns eine elementare Rolle spielen wird. Wir müssen abwarten, wie groß dessen Anteil künftig am gesamten Umsatzvolumen sein kann, das sich bei den 300 Millionen Euro aus dem Jahr 2018 ja ausschließlich auf den Bereich Geschäftskunden bezieht. Wichtig ist für uns im übergeordneten Sinne, dass der Trend im Automobilsektor zu Leasing-Angeboten ausschlagen wird.
Auf welchen Parametern und Zukunftsprognosen für den Automobilmarkt fußen Ihre Annahmen?
Im Privatkundenbereich liegt der Leasing-Anteil aktuell bei rund 20 bis 25 Prozent. Und es ist davon auszugehen, dass diese Zahl bis 2025 auf über 50 Prozent steigen wird. Es gibt aber auch unterschiedliche Marktprognosen. So will Mercedes-Benz wie jüngst bekannt gegeben 25 Prozent seiner Autos bis 2025 online verkaufen, während andere Studien bis dahin gar von einem Anteil von 50 Prozent des automobilen Online-Markts ausgehen. Alle Prognosen haben aber eines gemeinsam: Sie gehen von einem klaren Wachstum des aktuell bei nur knapp fünf Prozent liegenden Online-Anteils aus. Wenn wir nun den wachsenden Online-Markt mit den ebenfalls wachsenden Erwartungen für den Leasing-Markt für unser Geschäftsmodell zugrunde legen, dann sind wie selbstbewusst genug, zu behaupten, dass wir mit unserem Ansatz in den kommenden Jahren viel Spaß haben werden. Allerdings werden wir uns langfristig nicht mehr als reine Leasing-Plattform positionieren.
Sondern?
Wir wollen der Mobilitätsanbieter für alle sein, die ihr Fahrzeug auf monatlicher Basis bezahlen möchten. Auch Abo-Modelle können perspektivisch spannend werden, sie sind aktuell aber einfach noch zu spezifisch für eine breite Öffentlichkeit. Wir investieren nun stark in den Markenaufbau, um Vehiculum deutschlandweit als Mobilitätsplattform bekannt zu machen. Wer an ein neues Auto denkt, soll in Zukunft zuerst an Vehiculum denken. Um dieses Ziel zu erreichen, konnten wir vor kurzem Philipp Perrey als Marketingchef für uns gewinnen, der zuvor die ProSiebenSat.1-Tochter Amorelie vom Start-up zur deutschlandweit bekannten Lifestyle-Brand mit aufbaute.
Mit welchen konkreten Marketingmaßnahmen wollen Sie Ihre ambitionierten Ziele erreichen?
Wir wollen wie gesagt eine Plattform für alle sein und entsprechend in der Kommunikation auch so auftreten. Wir werden daher bei unseren Maßnahmen dafür sorgen, dass es keinen zu großen Split zwischen Privat- und Geschäftskunden gibt. Im Fokus von Philipp Perrey und dessen Team steht nun der Markenaufbau – sei es über Out of home, TV oder Print-Werbung. Wir schließen keinen Kanal aus und werden einen Multichannel-Ansatz fahren, sodass wir möglichst breit wahrgenommen werden. Im digitalen Bereich sind wir unter anderem mit Google Ads, Google Display, Affiliate Marketing und Social Media schon ganz gut unterwegs. Gerade Bewegtbildinhalte werden wir künftig aber noch stärker produzieren als bisher. Wir haben jetzt von der technischen bis zur personellen Infrastruktur alles, was wir brauchen, um nach draußen zu gehen und auf uns aufmerksam zu machen.
Das hört sich nach signifikanten Investitionen an. Wie groß ist Ihr Marketingbudget?
Absolute Budgetzahlen kann ich Ihnen nicht nennen. Stand jetzt investieren wir rund 25 bis 30 Prozent unseres Umsatzes ins Marketing. Und wir werden unsere ambitionierten Pläne auch weiterhin mit Marketingbudget hinterlegen und diesen Anteil halten. Wenn unsere Umsätze also weiter steigen, kann es gut sein, dass wir 2020 ungefähr das Dreifache der heutigen Summe ins Marketing investieren.
Werden Sie Ihr Konzept nach der Erschließung des deutschen Privatkundenmarkts auch international ausrollen?
Das haben wir zunächst in Europa definitiv vor. Das Gute ist, dass der Autohandel mit wenigen Ausnahmen in den meisten Ländern recht ähnlich funktioniert, sprich: Die Sinnhaftigkeit einer Plattform wie Vehiculum sollte nahezu überall gegeben sein. Aber es gibt keinen Grund in Panik zu geraten, da wir ja glücklicherweise mit Deutschland einen der größten Automärkte weltweit unseren Heimatmarkt nennen dürfen – und hier auch noch genug Arbeit vor uns haben. Vor 2020 werden wir unsere heutigen Internationalisierungsideen also voraussichtlich nicht forcieren.
Lassen Sie uns zum Abschluss übergeordnet auf künftige Mobilitätsbedürfnisse und -lösungen blicken. Hat der klassische Handel in Zeiten von Carsharing-Angeboten, Auto-Abos und digitalen Leasing-Ansätzen ausgedient?
Soweit würde ich nicht gehen. Wir denken in der Regel in Fünf- bis Zehnjahreszyklen und ich glaube nicht, dass bis dahin klassische Händler vom Markt versschwinden werden. Das wäre viel zu extrem und auch kompletter Unsinn. Aber ich bin mir sicher, dass sich die Rolle der Händler wandeln wird. Und es ist auch davon auszugehen, dass eine gewisse Konsolidierung stattfinden wird. Denn die Autoindustrie befindet sich im Umbruch und es herrscht große Unsicherheit, wie wertstabil die Autos von heute bei all diesen unterschiedlichen Antriebsformen morgen überhaupt noch sind.
Welche Mobilitäts- und Vertriebskonzepte werden die Zukunft des Autohandels in Deutschland dominieren?
Wir glauben, dass Konzepte wie der klassische Barkauf und die Finanzierung weniger werden und es stattdessen immer mehr nutzungsbasierte Modelle der Autoanschaffung geben wird. Leasing ist bei deutschen Neuwagenkäufern schon jetzt so beliebt, wie die klassische Finanzierung. Die Frage wird sein, wo bei der Vielzahl an Angeboten von Carsharing über Auto-Abos bis Leasing der jeweilige Grenznutzen für die Kunden ist – immer verbunden mit der Frage, wieviel Flexibilität sie sich leisten können und wollen.
Vehiculum
Sitz: Berlin
Gründungsjahr: 2015
Anzahl Mitarbeiter: 100
Gründer und CEO: Lukas Steinhilber
Gründer und Geschäftsführer: Melchior Bauer
Gründer und CTO: Guy Moller
Chief Marketing Officer: Philipp Perrey
Investor und Advisor: Michael Kern (CEO Polo Motorrad, davor u.a. CEO A.T.U. und Europcar sowie VW Markenvorstand)
Advisor: Philipp Grosse Kleimann (MD Automotive Ergo Mobility Solutions, davor u.a. Senior Partner Automotive Roland Berger und Vorstand Aston Martin)
Umsatzvolumen 2019 (Plan): 350 Millionen Euro
Quelle: absatzwirtschaft