In den 90er Jahren hat die Marke Intel Geschichte im Technologiemarketing geschrieben. Intel Inside wurde 1990 mit durchschlagendem Erfolg eingeführt. Über die Jahre hinweg gelang es Intel, mittels einer klaren Strategie eine gut strukturierte Markenarchitektur (Pentium, Xeon, Celeron, Itanium, Centrino, etc.) aufzubauen, damit Synergien für eine Erweiterung des Portfolios systematisch zu nutzen und das gesamte Portfolio zu stärken (Leverage). In dieser Hinsicht war der Intel Ansatz über die Grenzen der bestehenden Technologieindustrie hinaus als bahnbrechend anerkannt. Meiner Ansicht nach ist die Intel Inside Geschichte und damit auch die systematische Erweiterung der Marke Intel auf ein ganzes Portfolio heute ein alter Hut. Viel wichtiger und interessanter ist es zu sehen, wie Intel heute, beinahe 15 Jahre nach der Einführung von Intel Inside, beginnt die Regeln der Markenführung neu zu definieren.
Wir erkennen dabei Grundzüge eines neuen Ansatzes zum Aufbau starker Marken und der Gestaltung der Markenarchitektur. Folgende kritische Erfolgsfaktoren sollen dabei am Beispiel von Intel verdeutlicht werden:
- Neuausrichtung des Portfolios ausgehend von einem tiefen Verständnis des Konsumentenalltages: Seit nunmehr fast 20 Jahren hat Intel zuerst Produkte entwickelt und anschließend entsprechende Kunden für diese Produkte gesucht. Dies begann 1974 mit der Produktion des ersten Mikroprozessors (8080). Als der damalige Wettbewerbsvorteil zu schwinden schien, stellte die „Intel Inside“-Kampagne die ersehnte Lösung dar. Das war damals. Heute hat Intel unter der Leitung von Craig Barrett gerade wieder einen wichtigen Wandel vollzogen. Anstatt sich im Wettbewerb ausschließlich auf Chipleistung zu fokussieren, setzt Intel vielmehr – basierend auf einem tiefen Verständnis des Konsumentenalltages – auf eine Positionierung und Ausrichtung des Portfolios, die über die eines herkömmlichen Chiphersteller hinausgeht. „Business Week“ schreibt: „Vergesst Intel Inside“ – Intel überall, so heisst die neue Marschrichtung aus Santa Clara in Kalifornien, die anstrebt, in allen Bereichen des täglichen Lebens der Konsumenten relevant zu sein. Bei Intel geht es nicht mehr um das vorrangige Ziel der Differenzierung seiner Chips von den Wettbewerbern. Es geht darum, für die Marke „Intel“ und das ganze Portfolio Relevanz im täglichen Leben von Konsumenten zu entwickeln. Seit einigen Jahren schon beschäftigt Intel eine Vielzahl von Akademikern, die diese Zusammenhänge erforschen. So studiert Intel zum Beispiel die täglichen Aktivitäten und Ziele von Dialysepatienten. Folglich ist es bei Intel nicht die Frage, wie man Markenarchitektur klar und logisch gestalten soll, sondern vielmehr wie das Portfolio gestaltet werden sollte, um Relevanz im täglichen Leben des Konsumenten zu garantieren.
- Aggressive Ausweitung des existierenden Portfolios: Bei Intel geht es nicht vorranging darum, das bestehende Portfolio möglichst naht- und reibungslos nach bestehenden Regeln des klassischen Markentransfers oder der Brand Extensions auszudehnen. Während man in Deutschland noch sehr gerne über Markendehnung spricht, setzt Intel auf eine radikale Ausschöpfung der Möglichkeiten des Markenwachstums um fast jeden Preis. Es geht hier um eine stark aggressive (discontinuous) Ausweitung der Marke Intel und der Submarken in Bereiche, die von Computern sehr weit entfernt liegen und nach dem gegenwärtigen Verständnis von Markentechnik einfach nicht in Frage kommen. Intel ein Gesundheitsunternehmen? Intel, eine Marke im Wettlauf mit Sony, Apple und Samsung um die Vorherrschaft in der Unterhaltungselektronik? Intel im Wettbewerb mit Bertelsmann, Viacom and Time Warner? Intel geht sogar noch viel weiter. Das Unternehmen will die Konvergenz der verschiedenen Industrien nutzen, um neue Märkte maßgeblich mitzugestalten. Um die Geschäftstrategie von Intel zu begleiten, müssen Markenverantwortliche die gegenwärtigen Regeln des Markentransfers und der Markendehnung neu überdenken.
- Die Neudefinition von Nachfrage und Märkten: Es ist schon bekannt, dass Intel und Microsoft die Computerbranche stark beeinflussen. Man spricht oft vom sogenannten WINTEL-Effekt. Die neue Portfoliostrategie Intels hat sich möglicherweise ein viel grösseres Ziel gesetzt, als nur Rechenleistung zu erhöhen und somit den Hard- und Softwaremarkt zu stimulieren. Durch das Wissen der Konsumentenbedürfnisse kann Intel Einfluss auf die internationale Nachfrageentwicklung ausüben. Intel kann neue Bedürfnisse entdecken, von denen Konsumenten nicht einmal wussten, dass sie diese Bedürfnisse hatten. Um die Markenarchitektur für Intel zu gestalten ist es deshalb notwendig, zukünftige Entwicklungen zu antizipieren und die Markenstrategie stark an die Geschäftsstrategie zu binden. Marken müssen als Herausforderung für Innovation und Wachstum in neuen Märkten gesehen werden, anstatt nur Träger eines gewissen Images oder emotionalen Nutzens zu sein.
Fassen wir zusammen: Marken wie Intel scheuen nicht, den sicheren Pfad der etablierten Markenarchitektur und des Portfoliomanagements zu verlassen. Es gibt viele andere Unternehmen, die gegenwärtig dabei sind, ähnliche Schritte einzuleiten. Ich bin davon überzeugt, dass das heutige Wissen im Bereich Markenportfolio und Markenarchitektur zu kurz greift. Als Markenverantwortliche müssen wir unsere Methoden und Denkweisen der Markenführung neu reflektieren, um mit den gegenwärtigen Entwicklungen Schritt zu halten.
Über den Autor: Erich Joachimsthaler, Ph.D., ist Gründer und CEO der strategischen Unternehmensberatung Vivaldi Partners (New York / London / München)