iPhone XS Max für 1650 Euro – und das Geld nicht wert: Nähert sich das iPhone-Märchen von Apple dem Ende?

1650 Euro. So viel kostet 2018 Apples Smartphone-Spitzenklassemodell, das iPhone XS Max. MEEDIA-Autor Nils Jacobsen, ein iPhone-Besitzer der allerersten Stunde, ist nach drei Monaten vom Premium-Modell wenig begeistert. Der Einbruch der iPhone-Verkäufe ist nur folgerichtig, das Kultsmartphone hat seine Faszination verloren.
Apple hat eine Vielzahl von Innovationen angekündigt.

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Der hymnische Klang von Steve Jobs’ legendären Worten schwingt bis heute nach. „Heute stellen wir gleich drei revolutionäre Produkte dieser Güteklasse vor“, verblüffte Steve Jobs im Januar 2007 die Zuhörer im Moscone Center in San Francisco. „Das erste ist ein Breitbild-iPod mit Touchscreen. Das zweite ist ein revolutionäres Handy“, worauf ein Riesenjubel losbrach. „Und das dritte ein bahnbrechendes Internet-Kommunikationsgerät.“

Drei Produkte auf einmal? „Ein iPod. Ein Handy. Ein Internetgerät.“ Jobs spielte mit der begeisterten Menge und wiederholte die Schlagworte immer wieder. „Versteht Ihr? Das sind nicht drei unterschiedliche Geräte. Es ist nur ein einziges. Und wir nennen es iPhone!“ „Heute erfindet Apple das Telefon neu“, schob Jobs stolz nach – und es sollte tatsächlich die größte Erfindung in der bis heute andauernden 42-jährigen Unternehmenshistorie des Techpioniers aus Cupertino sein.

Ich habe das erste iPhone herbeigesehnt wie Millionen andere Tech-Aficionados, die Mitte der Nullerjahre nicht verstehen konnten, warum man das Internet einfach nicht in die Westentasche bekam und man auch 2006 noch Emails, Börsenkurse und neue Artikelschlagzeilen verkrüppelt und mit noch unerträglich langsamem Aufbau über WAP auf sein Razr gepusht bekam, das Kulthandy seiner Zeit.

Elf Jahre nach dem erstem iPhone ist von der Faszination nicht viel geblieben

Das iPhone veränderte buchstäblich alles. Nie war ich gewillter, für ein Stück Verbraucherelektronik einen Mondpreis zu bezahlen wie für das erste iPhone, das aus heutiger Sicht nahezu wie ein Schnäppchen erscheint. Das Original-iPhone, natürlich aus heutiger Sicht technologisch ein Winzling, kam für 599 Dollar mit 2-Jahresvertrag auf den Markt – ich wäre seinerzeit auch bereit gewesen, 2000 oder 3000 Euro für das Gerät hinzublättern, so revolutionär war das Smartphone, das dem Leben plötzlich eine neue Dimension zu geben schien: Alles, was man mühsam an seinem Mac, vor dem Fernseher oder mit Digitalkamera erledigen konnte, war nun auch mit einem 3,5 Zoll großen Display an (fast) jedem Ort der Welt möglich – was für ein Quantensprung.

Elf Jahre später ist von der Faszination nicht mehr besonders viel geblieben. iPhones sind an jedem Winkel der Welt so weit verbreitet wie Hamburger, sie sind nur mit der Zeit immer teurer geworden. 1650 Euro habe ich für das neuste Premiummodell iPhone XS Max bezahlt (tatsächlich waren es auch nach Vertragsverlängerung immer noch exorbitante 1200 Euro) – ein absurd hoher Preis, den ich mir selbst gegenüber damit gerechtfertigt habe, dass ich das iPhone tagein, tagaus im Arbeitsalltag nutze wie ein Rennfahrer seinen Ferrari, andererseits an der nostalgischen Schwäche leide, mein gesamtes Foto-Archiv immer bei mir haben zu wollen, deswegen die 512 GB Speicher.

Aber ist der Preis für Otto Normalverbraucher zu rechtfertigen? (Zum Vergleich: Für 1650 Euro bekommt man vier Apple Watches, vier iPads, eineinhalb MacBook Air und ein MacBook Pro.) Oder der Einstiegspreis von kaum weniger happigen 1250 Euro (iPhone XS Max) bzw. 1150 Euro (iPhone XS) für das 64 GB-Modell, dessen Speicher nicht aufstockbar ist? Für die Budget-Version unter den drei neuen iPhone-Modellen, das iPhone XR mit LCD-Display und Aluminium-Gehäuse, verlangt Apple unterdessen zwischen 850 und 1030 Euro – mehr also als fast alle anderen Smartphone-Hersteller für ihr Flaggschiff-Modell. Doch wer gibt schon gerne 1000 Euro für die dritte Wahl unter den neuen iPhones aus? Die Kunden streiken.

Apples Hybris: das iPhone kann nicht teuer genug sein

Nach Apples konzerneigener Logik (und die seiner Großinvestoren) bietet der lange Zeit wertvollste Konzern der Welt seine Smartphones eigentlich noch zu günstig an. Tim Cook erklärte zum Launch des noch günstigeren iPhone X vor einem Jahr, das Modell koste „weniger als ein Kaffe am Tag“.  Großaktionär Warren Buffett ging im Spätsommer noch weiter, als er erklärte: “Ich habe ein Flugzeug, das mich vielleicht eine Million Dollar im Jahr kostet. Aber wenn ich das iPhone wie meine Freunde nutzen würde, würde ich eher auf das Flugzeug als auf das iPhone verzichten.”

Die Zitate belegen eindrucksvoll, wie weit sich Apple in den Jahren an der Sonne von seiner Käuferschaft entfernt hat und immer weiter nach dem Diktat der Gewinnmaximierung der Wall Street an der Preisschraube dreht. Allein: Die Kunden ziehen nicht mehr mit. Wie die erdrückenden Indikationen aus der Zuliefererkette belegen, erleidet Apple in diesen Tagen seinen ersten erdrutschartigen Einbruch in der elfjährigen Geschichte des iPhones. Die Verkäufe geben nicht nach, sie kollabieren regelrecht – von Woche zu Woche dynamischer.  Das liegt nicht nur daran, dass die neuen Modelle viel zu teuer sind – sie nicht einmal besser, sondern teilweise sogar schlechter als die Vorgängervarianten.

Mit drei Killerfeatures versucht Apple bei den gleich drei neuen Modellen zu punkten: Dem brandneuen, randlosen OLED-Display, der verbesserten Kamera und dem Gesichtsscanner Face ID, der bereits beim Prototyp-Modell iPhone X im Vorjahr eingeführt wurde.

Die neuen iPhones sind teilweise unpraktischer als die alten Modelle

Nach dreimonatiger Testphase fällt mein Urteil ernüchternd aus: Nur ein neues Feature rechtfertigt das Upgrade auf das neue Premiummodell iPhone XS Max (nicht aber den Preis) – die Kamera. Die Weitwinkelkamera des iPhone XS Max kann es problemlos mit den meisten Profikameras aufnehmen und liefert exzellente Porträtaufnahmen bei fast jedem Lichtverhältnis.

Das randlose OLED-Display, das größtenteils für den exorbitanten Preisaufschlag verantwortlich ist, ist auf den ersten Blick ein Hingucker, der sich jedoch schnell abnutzt. Nach einer Woche nimmt man den am oberen und unteren Ende des Displays gewonnenen neuen Platz allerdings kaum mehr wahr. Und dass das OLED-Display, wie oft behauptet, knackigere Farben liefern soll, dürfte 99 Prozent der Smartphone-Besitzer in ihrem Anwendungsszenario gar nicht bemerken.

Was mir dagegen schmerzvoll auffällt, sind die Verschlechtbesserungen der neuen iPhones – etwa Face ID. Liegt es am 10-Tage-Bart, an der Brille, an meiner Gesichtsphysiognomie? In 50 Prozent der Fälle (80 Prozent bei Banking Apps) klappt Face ID bei mir auch nach mehrmaligem Neuausrichten schlicht nicht und macht meinen Alltag damit schlechter. Etwa, wenn ich mit zwei vollen Händen in die S-Bahn sprinte, aber nicht über die HVV-App die Fahrkarte gekauft bekomme, weil Face ID mich mit heruntergerutschter Mütze und beschlagener Brille nicht mehr erkennt, wenn es zuvor beim Fingerabdrucksensor noch mein aufgelegter Zeigefinger getan hatte. Also erst in der Bahn Tüten abstellen, das iPhone wie ein Freak vor mein Gesicht halten, die Mütze aus dem Gesicht ziehen und sogar die Brille abnehmen oder die Bahn verpassen – was soll das, Apple? Besteht die Alternative für mich nun darin, komplett ohne Passwortschutz herumzulaufen, weil es mich so sehr annervt, immer wieder den sechsstelligen Passcode einzugeben? Es gibt kein neues iPhone-Feature in den letzten elf Jahren, das ich so gehasst habe wie Face ID. Touch ID fehlt kolossal – wie man inzwischen weiß, hatte Apple zunächst erwogen, den Fingerabdrucksensor ebenfalls zu integrieren.

Zahlreiche Verschlechtbesserungen beim iPhone XS (Max)

Dann ist da die Sache mit dem Home Button, der ab dem iPhone X fehlt und immer wieder für ungewollte Fehler in der Navigation oder lachhaft komplizierte Anwendungen sorgt (zum App-Laden sind erst zwei Klicks auf die Seitenknöpfe nötig, um überhaupt Face ID zu starten; der Screenshot muss nun mit einem Griff an den linken und rechten Seitenknopf ausgelöst werden). Und immer noch ein Nachteil: Der 2016 abgeschaffte Klinkenstecker führt weiter zu Ladesituationen, bei dem nicht über die kabelgebundenen Kopfhörer Musik gehört werden kann (Apples sanfter Druck in Richtung der sechsmal teureren AirPods).

Doch auch bei der Software patzt Apple. Eigentlich sollte die Einrichtung eines neues iPhones aus dem Backup des alten über die Jahre einfacher werden, doch das Gegenteil ist der Fall. Ich habe bei keinem iPhone in der Wiederherstellung meiner Daten solche Probleme gehabt wie beim iPhone XS Max, das aus den Daten meines Vorgängermodells, dem iPhone 7 Plus, wiederhergestellt wurde.

Ergebnis: Mein Fotoarchiv, das Herzstück und der eigentliche Grund für einen Nostalgiker wie mich zur 512 GB Version zu greifen (wann, wenn nicht auf dem Smartphone, greift man wirklich auf acht, neun Jahre alte Fotos zu? Sicher nicht am Desktop), wurde mit dem Update komplett zerschossen. Obwohl ich aktiv keine Einstellung verändert habe, hat Apple nach einigen Tagen das Fotoarchiv des alten iPhones (72.000 Bilder) durch die iCloud-Version ersetzt. Ergebnis: Das Archiv ist nun auf 173.000 Fotos gewachsen, die natürlich aber selbst für die 512 GB Version zu groß ist.

Apples ungelöstes Software-Problem: immer massivere Bugs

Auch nach dreimaligem Versuch, meine letzte 7 Plus-Backup-Version wiederherzustellen, hat das neue iPhone im Hintergrund nach einigen Tagen auf die iCloud-Version aktualisiert – mit dem Ergebnis, dass die angezeigten Bilder nun „iPhone-speicheroptimiert“ – will heißen: Pixelmatsch – sind. Sitze ich in der Bahn, habe weder WLAN noch eine funktionierende Netzwerkverbindung, sehe ich nun nur noch den verschwommenen Vorschaumodus (vorher: Originalbilder). Mein über zehn Jahre aufgebautes iPhone-Fotoarchiv ist dank des Updates auf iOS 12 verschwunden – neue, auf dem iPhone geschossene Fotos tauchen bizarrerweise zudem teilweise erst Stunden später im Archiv auf.

Das ist zwar kein spezifisches iPhone XS Max-Hardware-Problem, sondern tatsächlich ein Software-Problem, durch das ich als als iPhone-Nutzer vom schlechteren Anwendererlebnis durch das Upgrade auf ein neues, weitaus teureres Modell aber unmittelbar betroffen bin. (Als Bonus legte Apple auch noch einen Monat später beim stinknormalen Update auf macOS 10.14 meinen nicht einmal drei Jahre alten iMac lahm. Er ließ sich nicht mehr starten und musste komplett neu aufgesetzt werden; das Risiko, dass bei der Wiederherstellung Daten verloren gehen, inklusive – ein maximaler Albtraum für jeden Nutzer, dessen Hauptarbeitsgerät mit einem geprüften Update abgeschossen wird.)

Kurzum: Das iPhone XS Max ist zum ersten Mal in der elfjährigen Geschichte des iPhones für mich eine  Verschlechterung – und das bei einem mehr als doppelt so hohem Preis wie das iPhone 7 Plus (mit 128 GB). Jedem, der mich um Rat fragt, rate ich – wenn es denn ein iPhone sein muss – zum Kauf der Vorgängermodelle iPhone 8 oder – für den besten Kosten-/ Nutzen-Faktor – zum iPhone 7 (Plus), die unglücklicherweise seit heute aber nicht mehr in Deutschland erhältlich sind.

Der Must-Have-Faktor des iPhones ist weg

Dass ich damit nicht alleine stehe, belegen Marktforschungsergebnisse in überwältigender Eindringlichkeit: Kunden greifen immer öfter zu älteren, preisgünstigeren Modellen – oder behalten ihre bisherigen Modelle immer länger. Der Must-Have-Faktor, der das iPhone zum Kult werden ließ, ist elf Jahre nach der Einführung schließlich weg.

Für Apple, das sich dank des Reizes des Neuen (iPhones) sieben Jahre auf dem Börsenthron halten konnte, ist das eine ganz schlechte Nachricht – vor allem eine, an der Apple auf absehbare Zeit nichts ändern kann. Mit den gleich drei neuen Modellen sollte für Apple 2018/19 ein neuer Superzyklus starten – tatsächlich scheint daraus nun der größte Einbruch seit fünf Jahren zu werden, der in den nächsten 21 Monaten weiter an Dynamik gewinnen dürfte, denn im nächsten Herbst hat der Kultkonzern aus Cupertino offenbar so gar nichts in der Hinterhand.

iPhone-Launches sind inzwischen zu 3-Jahreszyklen mit dem optisch gleichen Modell geworden. Das iPhone 6 und 6 Plus setzen 2014 den neuen Trend – 2015 und 2016 kamen mit der s-Generation und dem optisch unveränderten iPhone 7 zwei marginale Modifikationen auf den Markt. Genauso verhält es sich mit der iPhone X-Serie, die im vergangenen Jahr mit dem neuen Flaggschiff startete und in diesem Jahr mit dem iPhone XS, XS Max und iPhone XR ihre Modifikationen erhalten hat.

Im Herbst 2019 folgt entsprechend ein weiteres Mini-Update. das nach Analystenschätzungen zu weiteren Absatzeinbrüchen führen dürfte. Im Fiskaljahr 2020 dürfte der stolze Kultkonzern aus Cupertino also kaum mehr Einheiten verkaufen als 2013 – das goldene iPhone-Zeitalter geht damit in diesen Tagen krachend zu Ende, denn dass das übernächste Flaggschiffmodell, das 5G-fähige iPhone in zwei Jahren wie der Phönix aus der Asche zum neuen Verkaufsschlager avanciert, ist alles andere als gesichert.

Apple fehlt der Plan B für das Post-iPhone-Zeitalter

Für Apple muss das Ende des iPhone-Märchens nicht zwangsläufig zum Nokia- bzw. Blackberry-Moment werden – und in der totalen Implosion münden. Das wäre der Fall, wenn ein neues, technologisch komplett überlegenes Modell – oder schlimmer noch: eine neue Geräteklasse, die das Smartphone ersetzt – auf den Markt käme.

Dennoch sollten sich Aktionäre nichts vormachen: Wenn die mit Abstand wichtigste Konzernsparte, die seit sechs Jahren für über 60 Prozent der Konzernumsätze (und zu einem noch größeren Teil für die Gewinne) verantwortlich ist, künftig schrumpft, hat jedes Unternehmen der Welt ein Problem – kleinere Hoffnungsträger  wie die zweistellig wachsende Servicesparte (16 Prozent der Konzernumsätze) hin, die Wearable-Unit „Andere Produkte“ (7 Prozent Umsatz) her.

Der Absturz aus dem Börsenhimmel zollt dieser neuen Zeitrechnung Tribut: In nicht einmal drei Monaten hat Apple an der Wall Street beim Kurssturz von inzwischen 34 Prozent mehr als 350 Milliarden Dollar an Börsenwert vernichtet. Apples Post-iPhone-Ära wirft damit unvermeidlich ihre Schatten voraus – aktuell sieht es nur nicht danach aus, als ob Tim Cook dafür einen Plan B hätte.