Frau Cordes, wie würden Sie New Work in einem Satz beschreiben?
New Work bedeutet einen Paradigmenwechsel in der Arbeitswelt: weg von Hierarchien, Linienorganisation und begrenzter Verantwortung – hin zu fluiden, demokratischeren und viel stärker eigenverantwortlichen Arbeitsweisen.
Sie unterrichten Studierende seit 2019 im ersten „New Work“-Studiengang in Deutschland. Wodurch grenzt er sich vom klassischen Personalmanagement-Studium ab?
Unser Ansatz dabei ist viel stärker psychologisch und pädagogisch geprägt. Wenn Sie einen Schwarm von hoch qualifizierten Mitarbeiter*innen haben und mit ihnen bestimmte Ziele erreichen wollen, dann müssen Sie viel stärker als psychologisch versierte Führungskraft agieren, anstatt sich auf Zuständigkeiten und Linien in einem Organigramm zu berufen. Es geht bei New Work darum, sich Veränderungen kurzfristig anpassen zu können und dass Mitarbeiter*innen ihre Rollen den Anforderungen entsprechend ändern und sich spontan zu professionellen Projektteams zusammenschließen. Das ist, wie wenn Sie einen Magneten über Metallspäne halten: Es ziehen sich immer genau die richtigen Projektmitglieder temporär zusammen und lösen sich nach Ende der Aufgabe wieder voneinander.
Welche Eigenschaften müssen Unternehmen und Beschäftigte dafür mitbringen?
Die Grundvoraussetzung, dass solche Schwärme effizient funktionieren, sind ein starker Zusammenhalt, eine gute Unternehmenskultur und viel Vertrauen. Der Schlüssel dafür ist positiver Spirit und Enthusiasmus. Die Mitarbeitenden müssen nicht nur hoch qualifiziert, sondern auch stark selbstmotiviert und flexibel im Denken sein und Lust auf Kollaboration haben.
Bedeutet das nicht im Umkehrschluss, dass New Work nur für einen Teil der Arbeitswelt praktikabel ist?
Für Beschäftigte aus dem produzierenden Gewerbe, etwa die Bandarbeiter*innen der Automobilindustrie, ist eine flexible Arbeitsorganisation tatsächlich schwieriger umzusetzen. Aber alles, was mit Wissensarbeit zu tun hat, und das sind weite Bereiche unserer Wirtschaft, ist in meinen Augen prädestiniert für New Work.
Sie lehren nicht nur New Work nicht nur als Wissenschaftlerin, sondern agieren in Ihrer Rolle als Co-Rektorin der IU auch als Managerin in der Praxis. Wie genau?
Ich bin verantwortlich für 250 Mitarbeitende, mit denen ich New Work und agiles Arbeiten praktiziere. Wir haben in den vergangenen Monaten einen Teil der Hochschule komplett auf den Kopf gestellt: Hintergrund ist ein starkes Wachstum in unserem Bereich Fernstudium, das durch die Pandemie nochmal beschleunigt wurde. Mit den bisherigen Strukturen konnten wir diesem Wachstum nicht gerecht werden. Dabei geht es neben dem Bereich Akkreditierung vor allem um die Erstellung und Bereitstellung aller Lehrmedien, von Scripten über Videos bis zu Test- und Prüfungsfragen, damit Studierende zeitlich und örtlich ungebunden, komplett digital studieren können. Wir arbeiten dabei nach dem sogenannten Spotify-Modell.
Das müssen Sie erklären.
Wir hatten vorher klassisch Lektorat, Videoproduktion, Mediendesign und Prüfungsamt, die nacheinander im Prozess dran waren. Daraus haben wir neue, agile Teams gebildet, die immer unter der Leitung eines Akademikers ein Lehrmodul komplett durchproduzieren. Das sind eine Art „Mini-Medienhäuser“ für jede einzelne Studienrichtung von Engeneering über Design bis zu BWL und Marketing.
Was ist denn das größte Missverständnis über New Work?
Es bedeutet nicht, wir arbeiten remote oder jeder kann kommen und gehen, wann er oder sie will. Die Idee dahinter sind flexible Organisationsstrukturen für größtmögliche Effizienz. Damit ist New Work eine Führungsaufgabe und nicht, wie es manchmal in den Medien dargestellt wird, flexible Arbeitszeiten und Homeoffice.