Herr Hart, unter der Hart Limes GmbH vertreiben Sie aktuell fünf Marken. Eine davon ist Nutree, unter der Sie seit 2018 für die Drogeriekette Rossmann Cannabidiol-Öle produzieren. Wie viele Flaschen verkaufen Sie täglich und wie hoch ist Ihr bisheriger Umsatz?
PETER HART: Die CBD-Öle sind sehr nachgefragt, an Spitzentagen beträgt der Umsatz über 30.000 Euro. Aber es gibt schon immer wieder Schwierigkeiten mit den Regularien, die in der Konsequenz zu Etiketts-Änderungen führen. Dadurch sind die Produkte auch mal ein paar Wochen nicht im Handel erhältlich. Insgesamt ist das Geschäft mit Cannabidiol-Produkten sehr herausfordernd, durch die enorme Nachfrage für mich als Unternehmer auf vielen Ebenen aber auch äußerst interessant.
Mit Ihrer ersten Marke Dr. Severin, einem Body-Aftershave, schafften Sie es nach Markteintritt im Jahr 2013 schnell auf Platz 1 der Amazon-Verkaufscharts. Bei Nutree setzen Sie dagegen auf den Einzelhandel. Nach welchem Muster wählen Sie Ihre Vertriebswege aus?
Das ist ganz unterschiedlich. Als wir mit Dr. Severin auf den Markt gingen, wollten wir eine garantierte Listung. Diese konnte uns der Einzelhandel seinerzeit jedoch nicht gesichert bieten – Amazon dagegen schon. Bei Nutree war der Weg zum Produkt ein anderer: Rossmann wollte ein Produkt zu einem in der Kosmetik trendenden Inhaltsstoff – Cannabidiol. Wir haben das Produkt dann im Prinzip für Rossmann entwickelt.
Glauben Sie, dass Sie mit Dr. Severin keine Chance im Einzelhandel gehabt hätten?
Das ist rückblickend schwer zu sagen. Grundsätzlich kämpft ja jeder Hersteller um einen Regalplatz im Einzelhandel. Für junge Unternehmer, die ein neues Produkt einführen wollen, bedeutet das aber ein sehr hohes Risiko. Denn es gibt im Einzelhandel fast nur noch große Ketten, ein starkes Oligopol also. Und man sieht ganz oft, dass ein gut funktionierendes Produkt Stück für Stück von den jeweiligen Eigenmarken der Ketten übernommen wird. Auf der anderen Seite hat der Einzelhandel den Vorteil, dass durch die begrenzte Auswahl an Produkten die Wahrscheinlichkeit steigt, dass ein Produkt überhaupt gefunden wird. Wichtig ist, dass sich Marken nicht auf ihrer Listung bei Amazon ausruhen, sondern begreifen, dass dann die Arbeit erst so richtig anfängt. Wir haben uns mit der Marke Dr. Severin bei Amazon darauf fokussiert, eine funktionierende Kette aus Werbung und Absatz zu schaffen.
Wie spiegelt sich das in der Struktur von Hart Limes wider?
Wir haben von der Produktentwicklung über die Produktion bis zur Logistik alle Bereiche bis auf Strategie und Werbung ausgelagert. Unser erfolgreiches Modell aus Werbung und unmittelbarem Absatz bildet den Kern – so funktionieren alle unsere Marken. Sieben von zehn Mitarbeitern sind deshalb im Marketing angesiedelt. Die Hart Limes GmbH agiert dabei mittlerweile fast schon ohne mich. Aktuell wende ich circa zwanzig Prozent für Hart Limes auf, langfristig peile ich fünf bis null Prozent an. Den Großteil meiner Zeit widme ich stattdessen aktuell der künstlichen Intelligenz – sie stellt einen neuen Zeitabschnitt unserer Unternehmensgruppe dar.
Sie haben Anfang 2019 das Beratungsunternehmen Swarm Market Research AI gegründet, das mithilfe von künstlicher Intelligenz Marktforschung betreibt. Wie funktioniert dieses Business?
Unser Fokus liegt auf der frühen Erkennung von Trends. Wir wollen das Radar auf den Dächern des Handels sein. Denn Unternehmen verpassen Trends häufiger, als man denkt – vor allem dann, wenn sie zu sehr in ihrer Materie gefangen sind. Viele Entscheiderinnen und Entscheider nehmen somit relevante Änderungen im Markt schlechter wahr, weil sie so lange mit dem gegebenen Zustand gelebt haben.
Wie gehen Sie bei der Trenderkennung vor?
Wir analysieren Suchdaten im Internet. Unsere belegte These ist, dass kaum ein Trend an den Sucheingaben der Menschen bei Google vorbeikommt. Unsere künstliche Intelligenz „Pythia“ ist darauf trainiert, aus den Sucheingaben Trends zu prognostizieren. Sie analysiert dafür Verläufe aus Millionen von Keywords. Jeder Begriff bekommt dabei eine Note von -10 bis +10. Zusätzlich zu den Google-Suchanfragen werten wir auch Amazon aus und vergeben im Zuge dessen einen E-Commerce-Score. Abhängig von den Kundenwünschen können wir regional, national oder weltweit vorgehen. Wir könnten zum Beispiel für den Beautymarkt den koreanischen Markt analysieren, genauso wie die USA bei Konsumprodukten.
Wie wählen Sie die relevanten Keywords aus?
Es gibt stets zwei Listen. In der einen liefern uns unsere Kunden Keywords, die wir dann analysieren. Die andere beschäftigt sich mit den wichtigsten Trends für die jeweilige Branche unserer Kunden. Wir kaufen dafür große Datenpools für Millionen von Keywords ein und werten diese schließlich über unsere KI aus.
So funktioniert Pythia:
Pythia arbeitet in der Trend-Früherkennung. Dadurch können Unternehmen Trends früher wahrnehmen, klassifizieren und nutzen. Die Datenströme dieser Suchen führen zu Ziel-Keywords, die Produktentwicklern und Marketingentscheidern Trendprognosen liefern. Pythia erstellt dabei auf Grundlage von Suchfrequenzen der vergangenen fünf Jahre eine Prognose für die kommenden 18 Monate. Auf die vom Auftraggeber genannten Keywords hin durchleuchtet die KI große Internetplattformen wie Google und E-Commerce-Anbieter wie Amazon.
Rossmann hält einen Anteil von 25 Prozent an Swarm Market Research AI, die Drogeriekette nutzt die KI für ihre Sortimentsauswahl. Wie sieht der Case im Detail aus?
Rossmann will, wie andere Handelsunternehmen auch, immer die Marken im Regal haben, die am meisten trenden. Dementsprechend liefern wir ihnen monatlich für die verschiedenen Branchen wie Beauty oder Nahrungsergänzungsmittel eine Übersicht aller Marken, die gerade auf- und absteigen. Grundlage dafür ist die Idee, dass die Kaufwahrscheinlichkeit steigt, wenn die Menschen im Einzelhandel finden, was sie zuvor bereits online gesucht haben.
Haben Sie auch ein Anwendungsbeispiel aus dem Markenbereich?
Ein Kunde aus dem Bereich der Nahrungsergänzungsmittel hat beispielsweise ein Kurkuma-Produkt entwickelt. Die Verantwortlichen hatten uns vor Veröffentlichung ihre Etiketten geschickt, um diese mit trendenden Keywords abzugleichen. Hierbei ging es um den Wiedererkennungswert von Begriffen: Wenn Menschen beispielsweise mehrheitlich Kurkuma mit „K“ und nicht mit „C“ suchen, dann tendieren sie beim Kauf im Laden auch eher zum mit „K“ geschriebenen Produkt. Wir haben zwar keine Erkenntnis darüber, was passiert wäre, hätten wir Kurkuma mit „C“ geschrieben. Aber Fakt ist, dass bei den Kunden im Handel die Aufmerksamkeitsspanne pro Produkt ziemlich kurz ist. Und in diesem speziellen Moment kann der Wiedererkennungswert, zum Beispiel durch eine vertraute Schreibweise, der entscheidende Faktor für eine Kaufentscheidung sein.
Was spricht gegen andere, für die Produktauswahl relevante Methoden wie Kundenumfragen und Marktforschungsanalysen – oder schlicht auch die Bewertung der Umsätze einzelner Produkte?
Dagegen spricht im Prinzip gar nichts. Alle von Ihnen genannten Methoden haben ihre Daseinsberechtigung – allerdings auch die Gemeinsamkeit, dass sie reaktiv sind. Hier wollen wir mit unserer Trenderkennung einen zusätzlichen Baustein liefern – und zwar durch die neutrale und rationale Datenbrille. Ganz Deutschland nutzt Google, um sich zu informieren. Wir können also, salopp formuliert, die Produktinteressen eines Pforzheimers, der noch nie an einer Marktforschung teilgenommen hat, genauso wie die des Berliner Hipsters abbilden.
Vita Peter Hart:
Peter Hart ist ein erfahrener Gründer, der unter anderem die Marken Dr. Severin, Nutree und Alpensocken führt. Co-CEO Raphael Kneer ist Rechtsanwalt mit Schwerpunkt auf Steuerrecht und Start-Ups. Er blickt zudem auf Arbeitserfahrungen im deutschen Bundestag und Auswärtigen Amt zurück. Die Expertise im Bereich IT und KI liefert der Betriebswirt und Informatiker Patrick Helmig. Er gründete Unternehmen aus den Bereichen IT-Security, Software Engineering und Machine Learning. 25 Prozent der Swarm Marketing Research AI hält die Rossmann Beteiligungs GmbH.
Erst Body-Aftershave, dann CBD-Öle, nun KI: Was treibt Sie persönlich an?
Ich liebe es, Unternehmen aufzubauen. Wenn ich Unternehmen gründe, dann finde ich es besonders interessant, in ganz neue Bereiche zu gehen. Mein Team und ich haben dadurch eine starke Grundausbildung und sind sehr gut eingespielt. Für uns geht es weniger um romantische Vorstellungen, sondern mehr darum, das richtige Produkt zur richtigen Zeit herauszubringen und tolle Start-ups zu bauen.