Real Time Bidding (RTB) entwickelt sich in Deutschland langsamer als die Industrie es gerne hätte. Stimmt dieser Eindruck?
Oliver Hülse: Im internationalen Vergleich entwickelt sich RTB hier nicht so schnell, wie in anderen Ländern. Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Unter anderem herrscht zum Beispiel in Deutschland eine einzigartige Vermarkterlandschaft. In anderen Ländern vermarkten sich die Medien häufig selbst oder in viel kleineren Vermarktungsgemeinschaften. Hierzulande haben wir den sehr starken Onlinevermarkterkreis, der eine hohe Anzahl an Unique Usern auf redaktionell getriebenen Umfelder bündelt. Dieser ist aus Sicht Vieler nicht so innovationsfreudig wie er sein könnte. Es werden nach wie vor Umfelder TKP basiert vermarktet, die nachweislich sehr hohe Streuverluste in den gewünschten Zielgruppen aufweisen, und das ist für den Werbungtreibenden nicht effizient.
Tatsächlich bietet Programmatic Buying die Chance, Streuverluste zu minimieren und weniger Umfelder, sondern Zielgruppen direkt zu adressieren. The Telegraph in Holland zum Beispiel verdient nach eigenen Angaben inzwischen dank Programmatic Buying und gezielter Inventarsteuerung deutlich mehr. Selbst in Deutschland gab es erste innovative Ansätze seitens einiger Vermarkter. Viele waren jedoch leider nur an einer schnellen Monetarisierung ihres unverkauften Inventars interessiert und haben somit die mittel- bis langfristige Effizienz- und Umsatzsteigerung gar nicht umgesetzt. Eine Modeerscheinung ist Programmatic Buying nicht. Es ist jetzt schon ein fester Bestandteil im digitalen Marketingmix mit hohen Wachstumsraten.
Technologisch hat das Thema aber auch ein gewaltiges Tempo.
Hülse: Ja. Als ich vor zwei Jahren die deutsche Division von Rocket Fuel gegründet habe, stand zunächst nur Display Werbung im Angebot. In der Zwischenzeit sind Werbeformate auch für Facebook, Mobile und Video erhältlich. Ich bin überzeugt, dass wir in Zukunft auch über TV oder Out of Home im Bereich Programmatic Buying reden werden.
Sie sprachen von den Niederlanden, wie sieht es in den USA und Großbritannien aus?
Hülse: In den USA ist es ähnlich wie außerhalb Deutschlands. Hier vermarkten sich viele Online Angebote selbst. Sie sind daher abhängiger von Effizienzoptimierung durch neue Technologien wie Programmatic Buying und sie können nicht so viel Einfluss auf das Marktgeschehen nehmen.
Aber sind die Vermarkter nicht auch Ausdruck von effizientem Wirtschaften seitens der Medien?
Hülse: Das wage ich zu bezweifeln. Die Qualität eines Medienangebots bemisst sich doch heute nicht durch die schiere Reichweite. Es geht um die Qualität der Inhalte oder die Verweildauer auf der Website. Das ist von Seite zu Seite und von Thema zu Thema sehr heterogen, das kann man in der Vermarktung nicht in einen Topf schmeißen.
Programmatic eignet sich wunderbar um Agenturen zu umgehen. Entstehen da bei Ihnen im Haus nicht Zielkonflikte, wenn Sie auch Agenturen beraten?
Hülse: Ich wäre eher gerne noch stärker Dienstleister der Agenturen. Viele lassen sich schnell einen eigenen Bidder bauen, statt auf eine Technologie wie unsere zu vertrauen, in die viel Entwicklungsgeld geflossen ist und vergessen dabei, dass es damit nicht getan ist. MediaTech erfordert permanente Investitionen da gerade in diesem Bereich Innovationen fast an der Tagesordnung sind. Agenturen sollten sich wieder stärker auf Ihre Kernkompetenzen konzentrieren und mit Kreation, Planung und Konzeption Geld verdienen und nicht durch Mediaeinkauf. Leider haben speziell die großen Agenturholdings mit ihren eigenen Tradingdesks den Fokus verschoben.
Auf Dauer werden es sich die großen Werber auch nicht leisten können, auf dieses Knowhow inhouse zu verzichten.
Hülse: Da haben Sie sicher Recht. Wenn wir zum Beispiel von Business Intelligence reden, dann gehört natürlich dazu, dass man zum Beispiel lernt, welche Kanäle und Werbemittel effizienter funktionieren als andere. Einige Agenturen haben sich ihre gute Marktstellung und Datenbasis mit Hilfe der Kundengelder aufgebaut. Das haben die Werbungtreibenden inzwischen erkannt und setzen verstärkt auf die Datenhoheit im eigenen Haus. Das gilt nicht nur für den Bereich Programmatic Buying, sondern für alle digitalen Kanäle. Ein großes Thema bei eCommerce Unternehmen ist aktuell die dynamische Attribution kanalübergreifend.
Gibt es neue Agenturmodelle, die sich daraus ergeben?
Hülse: Ja, die gibt es. Einige kleine und mittlere Agenturen nutzen Technologien wie unsere, um ihren Kunden ein Effizienzversprechen zu geben und zum Beispiel versuchen, mit dem Thema Neukundengewinnung zu punkten. Da sind auch viele Agenturen aus dem Search-Bereich dabei. In diesem Segment ist das Geschäft ja auch viel schwieriger geworden.
Apropos schwieriger: Ist das Thema strukturell-organisatorisch bei den Werbungtreibenden und Agenturen angekommen? Sind die reif für Programmatic?
Hülse: Ich glaube schon, dass das angekommen ist. Man weiß, dass es keine Mode, sondern eine Werbeform auf Dauer ist. Aber der deutsche Markt ist risikoscheu. Man hat Angst sich wieder in neue Abhängigkeiten wie mit Google zu begeben. Aber wir brauchen auf Agentur- und Advertiserseite natürlich einen Zuwachs an KnowHow im technischen Bereich.
Wir reden viel über große Werbungtreibende. Wie steht es mit den kleineren und mittelständischen? Muss man sich intensiver um die kümmern, bevor Google und Facebook mit den großen Xchanges das abgreifen?
Hülse: Nein, die sind teilweise schneller als die Konzerne. Die wissen genau, wo ihre Grenzen sind und gehen dann zum Dienstleister. Sie agieren auch pragmatischer, als die Konzerne, denn da sind viele persönliche Befindlichkeiten im Spiel, die schnellere Innovation verhindern.
Einige Marktteilnehmer beklagen mangelnde Transparenz. Sie würden gerne wissen, wie die Kampagnen im Detail abschneiden und was mit ihren Daten geschieht. Sehen Sie auch einen Mangel an Transparenz?
Hülse: Nein, das sehe ich eigentlich nicht. Wenn ich feststelle, wie granular wir die Informationen zur Kampagne darstellen, stellt sich mir eher die Frage, ob das auf Kundenseite in dieser Detailtiefe genutzt wird. Wir kommen gerne zum Kunden und erarbeiten auf Basis der genannten Information gemeinsam die nächsten Schritte.