Herr Dominicus, auch wenn die Esports-Szene aktuell eher ein gegenteiliges Bild vermittelt, weil der Spielbetrieb während der Corona-Krise ja digital fortgeführt werden konnte: Ihnen müssen doch die Offline-Events in den Stadien und Arenen dieser Welt fehlen?
JAN DOMINICUS: Natürlich vermissen wir die Offline-Events. Diese Veranstaltungen zeigen auch den Esports-Skeptikern immer wieder, wie stark Live-Events im Esports inzwischen sind. Zudem sind die Bilder, die dort entstehen, extrem wichtig für unsere Vermarktung. Es stimmt aber auch, dass anders als in traditionellen Sportarten, uns durch die fehlenden Events kein vorvereinbarter Betrag aus der Medienrechte-Vermarktung wegfällt. Medienumsätze stellen noch keinen signifikanten Anteil in unserem Budget dar. Sponsoring ist mit Abstand die größte Umsatzsäule – und hier haben wir im Prinzip während der Corona-Krise keine Einbußen.
Welche digitalen Formate hat Mousesports geschaffen, nachdem klar war, dass Offline-Events mit Fans für eine längere Zeit ausfallen würden?
Wir haben zum Beispiel jeweils nach unseren „Counter-Strike“-Spielen in der ESL Pro League, die wir vom Status gern mit der UEFA Champions League im Profifußball vergleichen, eine Art Talkshow gemacht. Das müssen wir unseren Spielern auch hoch anrechnen! Es ist alles andere als selbstverständlich, dass Profisportler jeden Tag der Woche ein Match haben und sich dann auch noch im Anschluss mindestens eine Stunde Zeit für eine Zoom-Konferenz nehmen, um öffentlich über das eigene Spiel und ihre Zeit in der Corona-Krise zu diskutieren.
Wie hat sich das Format entwickelt?
Die Show hat irgendwann eine Eigendynamik genommen, bei der wir fast schon keinen Moderator mehr brauchten. Das Ganze hatte eher den Charakter, dass sich Freunde unterhalten, die sich auch mal ein paar Späße untereinander erlaubt haben. Ich stelle einfach mal die These auf, dass etwas Vergleichbares in der Fußballbundesliga schlichtweg unvorstellbar wäre.
Und wie wurde das Format von den Fans angenommen?
Unsere erste Show hatte rund 1000 gleichzeitige Zuschauer. Der Wert hat sich dann im Laufe der ersten Woche fast täglich verdoppelt, sodass am Ende über 10.000 Menschen bei dem Format dabei waren.
Konnten Sie über neue digitale Formate auch Neugeschäft im Sponsoring erzielen?
Nach der Show haben uns abends nicht direkt Marken angerufen und gefragt, wohin sie ihr Geld überweisen dürfen. Aber Spaß beiseite: Solche Formate sind gut für unsere Zukunft. Wir haben in der Corona-Krise Showcases für Content-basierte Einbindungsmöglichkeiten von Partnern geschaffen, die sich möglicherweise in den kommenden Jahren in der Vermarktung rentieren könnten.
Die Corona-Krise hat gezeigt, dass die Esports-Branche in der Lage ist, in kurzer Zeit sehr flexibel und dynamisch individuelle digitale Formate zu kreieren, die Mehrwerte für Partner darstellen. Das macht uns Mut und das ist auch wichtig, denn wir können als Esports-Organisation ja anders als klassische Sportteams keine Bandenwerbung anbieten. Und die Anzahl der Trikotwerbeflächen ist ja auch begrenzt.
Mousesports stellt Mannschaften und Spieler in diversen Esports-Titeln, aber es gibt ein großes Alleinstellungsmerkmal: Sie sind das renommierteste „Counter-Strike“-Team Deutschlands. Was bedeutet diese Positionierung in der Vermarktung?
Es ist nicht so, dass wir uns jüngst dazu entschieden hätten, sondern wir sind ja ein über fast zwei Jahrzehnte gewachsenes „Counter-Strike“-Team. Wir sind mit dieser Positionierung sehr glücklich. Aus meiner Sicht ist „Counter-Strike“ nach wie vor der zuschauerfreundlichste Esports-Titel. Das Spiel hat Tempo und im Vergleich zu anderen großen Spielen wie „League of Legends“ oder „Dota 2“ eine natürliche Dramaturgie in jeder Runde.
„Counter-Strike“ produziert – außer natürlich in der aktuellen Corona-Phase – zudem die erfolgreichsten Esports-Großevents. Die „Counter-Strike“-Turniere Intel Extreme Masters in Kattowitz und ESL One in Köln zählen neben „The International“ (Spiel: „Dota 2“, Anm. d. Red.) und der „League of Legends“-Weltmeisterschaft zu den Flagship-Events der gesamten Esports-Welt. Zu „Counter-Strike“-Events strömen zigtausend Fans in die Arenen. Die globale Begeisterung ist riesig – von Sydney über New York bis Köln. Bei den Veranstaltungen wird regelmäßig eine Atmosphäre wie im Fußballstadion erzeugt, das macht das Spiel als Esports-Titel so einzigartig.
Wie viele Fans verfolgen die Spiele in Ihrer „Champions League“, der ESL Pro League?
Das ist von Markt zu Markt unterschiedlich und hängt auch von den teilnehmenden Teams einer Begegnung ab. Wenn wir beispielsweise gegen russische oder brasilianische Teams spielen, herrscht dort förmlich Ausnahmezustand. Das gucken sich dann schnell mal eine Viertelmillion Zuschauer und mehr im jeweiligen Heimatmarkt an. Ein durchschnittliches Mousesports-Spiel verfolgten in der zurückliegenden „Season 11“ rund 200.000 Zuschauer auf dem englischen Twitch-Stream, hinzu kamen ganz grob rund 10.000 auf dem deutschen, französischen und türkischen Twitch-Stream sowie rund 60.000 Zuseher bei Youtube.
Was sind die entscheidenden Merkmale der „Counter-Strike“-Community rund um Mousesports?
Mousesports hat insbesondere in Deutschland eine extrem starke Basis. Als Rekordmeister prägen wir seit fast 20 Jahren die „Counter-Strike“-Community maßgeblich mit. Der Großteil unserer Fans ist zwischen 16 und 29 Jahren alt. Durch unsere Historie zählen aber auch über 30-Jährige zu unserer Zielgruppe. Inzwischen nehmen wir zudem immer mehr weibliche Zuschauer bei unseren Events wahr – da steuern wir mittlerweile auf die 20 Prozent zu. Die Esports-Community im Allgemeinen ist nach wie vor zwar noch sehr männlich dominiert. Aber in den vergangenen Jahren hat sich das Verhältnis immer mehr angepasst, Esports kommen immer mehr in der Mitte der Gesellschaft an.
Andererseits gibt es hierzulande nach wie vor viele Vorurteile vor allem gegenüber Ego-Shootern wie „Counter-Strike“ …
… das ist ganz offensichtlich so. In dieser Hinsicht schauen wir oft neidisch rüber zu unseren Nachbarn in Dänemark. Dort schickt der Ministerpräsident per Twitter Glückwünsche an erfolgreiche „Counter-Strike“-Spieler. Zudem sind Esports in Dänemark inzwischen ein selbstverständlicher Teil des Schulalltags und namhafte Marken wie McDonald’s machen großflächige Außenwerbung in Bahnhöfen, bei der Menüs nach „Counter-Strike“-Idolen benannt sind. Davon sind wir in Deutschland Lichtjahre entfernt.
Aber wir verspüren immer mehr Offenheit unter anderem in unseren Gesprächen mit der werbetreibenden Industrie. Esports im Allgemeinen und „Counter-Strike“ im Speziellen waren auch vor der Corona-Pandemie keine Themen mehr, bei denen Marketing-Entscheider völlige Ablehnung signalisiert haben. Das beweist nicht zuletzt auch unser Partnerportfolio, das seit 2018 von Vodafone als Hauptsponsor angeführt wird.
Serie zum Thema Esports
Dieser Artikel ist Teil einer aktuellen Serie auf absatzwirtschaft.de zum Thema Esports. Bisher sind zudem folgende Beiträge erschienen:
- Esports-Sponsoring: Warum fehlt so oft der Mut? Interview mit Carl Kuhn von Jung von Matt/Sports
- Esports-Quoten bei Sport1 vor und nach Corona
- ESL-Chef Ralf Reichert im Interview über die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Esports-Szene
- Interview mit Michael Heina von Nielsen Sports zum Esports-Sponsoring: „Der Zeitpunkt ist immer noch gut!“
- Esports-Team SK Gaming: „Wir sind mehr als Computerspieler“
- Sportfive-Experten über Esports-Sponsoring: „Partner brauchen mindestens ein Jahr“
- Twitch als Plattform für Marken: Corona-Folgen und Cases
Einen ausführlichen Artikel über die Folgen der Coronavirus-Pandemie auf die Esports-Vermarktung lesen Sie in der aktuellen Print-Ausgabe der absatzwirtschaft, die Sie hier bestellen können: https://www.fachmedien.de/absatzwirtschaft
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