Die Begriffsverwirrung sitzt tief. DCO, die Dynamic Creative Optimisation, ist etwas anderes als Dynamic Creative, aber es gibt große Überschneidungen. Bei DCO nimmt eine Software die Assets des Werbungtreibenden, stellt sie immer neu zusammen und verprobt das Ergebnis mit der Audience. Dynamic Creative möchte hingegen, dass im Werbemittel selbst Live-Daten verwendet werden, das Creative also im Moment der Ausspielung erst entsteht.
Marketing-Berater Erik Siekmann sieht DCO als eine der wichtigsten Zukunftsentwicklungen. Die Nutzung von Live-Daten bleibt indes speziellen Anwendungsfällen wir Re-Targeting im E-Commerce vorbehalten.
Herr Siekmann, was ist für Sie Dynamic Creative und DCO?
ERIK SIEKMANN: Dynamic Creative Optimisation ist ein über einen Automatismus optimierter Prozess. In dem Moment entscheidet nicht ein Mensch, wie eine Komposition zustande kommt, sondern eine Maschine.
Ist Dynamic Creative also nicht das Gleiche wie ein dynamisches Werbemittel.
Die Grenzen sind sehr fließend. Es gibt immer Überlappungen. Das Thema hat ja gerade eine Renaissance erlebt. Das ist immer eine Kette von teil-automatisierten Prozessen, wie Creatives zustande kommen. Teilweise ist es ja nur das Anpassen eines Preises. Und es geht bis zur Iteration einer ganzen Storyline.
So richtig hoch sind die Adaptionsraten in Deutschland nicht, oder täuscht dieses Gefühl?
Ich würde mich nicht trauen, die Adaptionsraten zu beziffern. Was ich mich aber traue, ist zu analysieren, warum dieses Thema so eine neue Bedeutung kriegt. Das liegt daran, dass wir uns über viele Sachen inzwischen bewusst geworden sind. Wir wissen, wie Auktionen funktionieren, wie Targeting geht und dass wir uns vor allem auf 1st-Party-Daten konzentrieren müssen. Die letzte einzusetzende Variable ist eben das Creative.
Und es ist ja wirklich nicht trivial, die Herstellung der Creatives in einer so fragmentierten Media-Landschaft so in Prozesse einzubinden, dass ein vernünftiges Kosten-Nutzen-Verhältnis entsteht.
Aber gerade wenn das Creative den Unterschied macht, ist das doch ein Plädoyer für die Kreativagentur, die eben mehr kann als eine Maschine.
Man muss sich überlegen: An welcher Stelle kann Kreation wirklich den Unterschied machen? Ich hätte das vor drei Jahren auch noch anders gesehen, nämlich als Funktion des richtigen Targetings und Biddings. Aber wenn alle Rahmenbedingungen gleich sind, dann kann die Kreation vor allem in den oberen und mittleren Funnel-Stufen den Unterschied machen. Nur: Was den Unterschied macht, da stellt sich eben die Frage, ob das die Maschine besser weiß oder der Kreative. Ich denke das ist eine hybride Form der Zusammenarbeit.
Steht die Kreativlandschaft einem solchen Paradigmenwechsel offen gegenüber?
Die Frage hat sich bereits erübrigt. Fast alle Advertiser haben dieses Thema verstanden und bringen es in ihren Pitches mit an den Tisch. Es gibt genügend Dienstleister, die sich den Themen 1st-Party-Daten, Targeting und Content-Optimierung so klar verschrieben haben, dass es keine Frage mehr ist, ob man sich dem Thema widmet, sondern nur wie.
Wird durch die Blackbox DCO die Abhängigkeit von den GAFA noch höher?
Das ist eine ganz zentrale Frage. Es steht aber jedem Advertiser frei, die Resonanz auf eine Kampagne selbst zu messen. Die entscheidende Frage ist: Ist die jeweilige Organisation strukturell überhaupt in der Lage, mit den Informationen umzugehen. Befähige ich meine Dienstleister, auf den richtigen Verhaltensdaten der Nutzer zu arbeiten.
Wird DCO Bestandteil jeder Kampagne oder kann man sich den Invest auch sparen?
DCO wird ein ganz normales Grundlageninstrument. Das heißt aber nicht, dass alles dynamisch gemacht wird.
Werfen wir noch einen Blick auf die Kreation selbst. Die dynamische Nutzung von Daten im Werbemittel gilt als Königsdisziplin, aber so richtig dynamisch ist diese Szene nicht.
Und da gibt es auch Gründe für. Wenn ich nur Flat-Data habe wie die Geo-IP, den Browser und Dinge, die man immer herauslesen kann; diese Daten gibt es in rauen Mengen, aber da ist der Mehrwert extrem limitiert. Das ist genau auch der TradeOff zwischen der Skalierbarkeit der Anwendung und der Wertstiftung, die ich eigentlich erreichen möchte.
Würden Plattformen wie Spotify, Netflix vielleicht auch Amazon, die mit ihren Unterhaltungsangeboten auch sehr hochwertige Daten sammeln, das aufbrechen können? Spotify sagt, man kann auf die aktuelle Stimmung der Menschen targeten.
Ich verstehe den Pitch, aber es ist noch zu früh etwas zu sagen. Ich bin da skeptisch. So etwas wie „Stimmung“ ist diffus. Amazon hat dramatisch bessere Daten als Spotify und schauen Sie sich die Ergebnisse der KI bei den Empfehlungen an. Wie gut kann dann Spotify die Stimmung einschätzen? Das kann funktionieren, aber die Kommunikations- oder gar Transaktionsrelevanz liegt vermutlich kaum im messbaren Bereich. Aber das ist erstmal nur eine Hypothese. Das ist etwas, was man leicht testen kann.
Die Audio-Vermarkter von A Million Ads haben mit Bwin Audio-Spots gespielt, die live Geo-Daten gezogen und die ortsnächste Partie beworben haben, inklusive der aktuellen Wettquoten aus der Datenbank. Das hat schon Relevanz.
Meine vielleicht kritische Gegenthese wäre: Das erste Kriterium, das wir rausfiltern müssen, ist doch, ob die Person überhaupt wett-affin ist oder nicht. Wenn Du diesen Filter nicht setzen kannst., ist es vollkommen egal, ob der am Weserstadion vorbeifährt oder nicht. Ich glaube, man müsste mal nebeneinanderlegen Targeting-Versprechen und tatsächliche Targeting-Ergebnisse. Und da glaube ich, die Geo-IP als Targeting-Kriterium, die wird auf Vorträgen deutlich höher promotet, weil sie auch so leicht zu erklären ist, als sie im operativen Targeting überhaupt vorkommt. Ich bin mir relativ sicher, dass die Geo-IP bis auf ganz wenige Anwendungsfälle nicht das ganz große Kriterium ist.
Nehmen wir an, da draußen ist ein Zuhörer, der noch nie DCO gemacht hat. Was würden Sie ihm sagen, wie soll er anfangen?
Fange an, die Grundlagen Deiner Media-Steuerung strukturiert zu testen. Und verabschiede Dich von der großen Kampagnen-Idee sondern setze mehrere Kampagnen auf und verprobe sie in regelbasierten Medien-Szenarien. Um wirklich zu gucken, wo eine Botschaft in einer Zielgruppe das bestmögliche Ergebnis erzielt.